Bevor Binance-Deutschland-Chef Michael Wild in die Welt der Finanzen eintauchte, war er zwölf Jahre bei der Bundeswehr. Wie es zu dem radikalen Wechsel kam, wie er Familie und Job unter einen Hut bekommt, welche Schritte Binance für Deutschland plant und wie es um die Kryptoverwahrlizenz bestellt ist, wollte BTC-ECHO im Interview wissen.
BTC-ECHO: Bevor du in die Finanzwelt eingetaucht bist, warst du zwölf Jahre beim Militär. Wie kam es zu dem radikalen Wechsel?
Michael Wild: Die Geschichte ist einfach erzählt. Ich bin mit 17 von zu Hause ausgezogen, habe mein Abitur abgebrochen und bin der Bundeswehr beigetreten. Dort wurde ich Unteroffizier und habe dann die Feldwebellaufbahn eingeschlagen. Nach sechs Jahren Dienst wollte ich Offizier werden.
Im Auswahlverfahren wurde ich dann jedoch aufgrund meines Alters abgelehnt. Mit 26 hatte ich die Altersbeschränkung überschritten.
BTC-ECHO: Und dann hast du dich entschieden, in die Finanzwelt einzutauchen?
Wild: Nicht nur aus diesem Grund. Es war gerade die Finanzkrise, als ich von meinem letzten Einsatz zurückkam. Ich fand die Zeiten sehr spannend. Ich wollte wissen, was da los ist. Steht das Wirtschaftssystem wirklich kurz vor dem Zusammenbruch?
Eigentlich wollte ich sowieso nochmal etwas Akademisches machen. Während meiner Zeit bei der Bundeswehr hatte ich mein Abitur erfolgreich abgeschlossen. Nachdem ich damals Berichte auf Frontal21 gesehen hatte, bewarb ich mich bei der Commerzbank, um dort berufsbegleitend zu studieren. Das hat zum Glück geklappt.
BTC-ECHO: Du warst unter anderem in Afghanistan. Was ist denn anstrengender: Auslandseinsatz oder den regulatorischen Ansprüchen der BaFin entsprechen?
Wild: Das sind unterschiedliche Arten der Anstrengung. Damals war es eher eine körperliche Belastung. Zum Glück hatte ich nie psychische Probleme. Es hat mich nicht so sehr in Anspruch genommen. Ich habe es sogar genossen, im Ausland zu sein. Ich kam mit Menschen in Kontakt, konnte ihnen helfen. Im Grunde ist es hier genauso. Binance ist ein People Business, ich interagiere mit der Aufsicht, spreche mit meinen Mitarbeitern und vielen interessierten Unternehmen aus der Blockchain- und Web3-Welt.
Aber um die Frage zu beantworten: Bei der Bundeswehr war es eher physisch und hier ist es eher psychisch, da man sich immer voll konzentrieren muss, um nicht das “nächste große Ding” zu verpassen.
BTC-ECHO: Aber was ist anstrengender?
Wild: Ich finde es hier anstrengender, wenn ich ganz ehrlich bin. Aber das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich jetzt ein alter Knochen bin. (lacht)
BTC-ECHO: Wie viele Stunden arbeitest du eigentlich pro Woche?
Wild: Das ist unterschiedlich. Ich habe mir angewöhnt, mein Handy abends ab 21 Uhr auszuschalten, wenn es nicht brennt. Meine Mitarbeiter wissen das auch. Was über Nacht passiert, ist auch am nächsten Morgen noch relevant. Ich schätze im Durchschnitt zwischen 60 und 70 Stunden, aber ich mache es gerne. Hauptsächlich von Montag bis Freitag und am Wochenende nehme ich mir Zeit für die Familie.
BTC-ECHO: Das war auch schon mal anders, oder? In einem Interview sprachst du von Arbeitswochen von 100 bis 110 Stunden.
Wild: Ja, 100 Stunden, 110 wäre übertrieben. Aber 100 Stunden hatte ich schon. Damals arbeitete ich bei der Credit Suisse in Zürich und London an dem größten Risikoprojekt der Bank. Mehr als vierhundert Leute waren daran beteiligt.
Einmal ging ich spätabends aus der Drehtür hinaus, checkte meine E-Mails auf dem Handy und ging dann wieder durch die Drehtür hinein. Ich sah Lichtblitze in meinen Augen, aber ich musste halt einfach liefern.
BTC-ECHO: Wie oft hast du deine Familie damals gesehen?
Wild: Damals habe ich keine Familie gehabt. Ich hatte eine Freundin. Den Job gab ich auf, als sie meine Frau wurde und wir unsere Tochter bekamen.
Damals war ich fünfzehn Stunden im Kreißsaal, bin herausgekommen, habe meine Chefin angerufen und sollte das Steuerungskomitee für den Vorstand übernehmen. Da stellte ich mir die Frage, ob ich das wirklich auf dem Level weitermachen will. Montag bis Donnerstag in der Schweiz, Donnerstagnacht heimfahren, Freitag Homeoffice, Samstagfrüh noch mal die Hälfte gearbeitet und dann Samstagnachmittag frei und Sonntag schon wieder psychisch darauf eingestellt, in die Schweiz zu fahren.
BTC-ECHO: Ist es bei Binance besser geworden?
Wild: Ja, da bin ich ganz ehrlich. Ich bin schon ein Arbeitstier, habe viele Bälle in der Luft und meine Kollegen wissen das auch. Meine Frau und ich haben ein ganz klares Commitment. Unter der Woche soll ich meine Arbeit machen, aber am Wochenende Zeit für die Familie finden.
Das hindert mich jedoch nicht daran, jeden Abend, wenn ich heimkomme, meinen zwei Töchtern einen Kuss zu geben. Da bin ich schon ein Familienmensch.
Ich fahre meine Kleine oft vor der Arbeit in den Kindergarten. Dafür nehme ich mir Zeit. Manchmal bin ich mittags zwei Stunden lang nicht im Homeoffice, weil ich etwas mit den Kindern mache, wenn meine Frau nicht kann. Aber man muss es koordinieren, managen und man muss auch loslassen können. Das habe ich damals nicht gekonnt. Ich wollte alles kontrollieren. Ich war ein absoluter Kontrollfreak.
BTC-ECHO: Neben deinem Engagement für die Familie arbeitest du derzeit an einer Kryptoverwahrlizenz in Deutschland. Wie geht das voran?
Wild: Wir arbeiten nicht mehr daran, wir haben es bereits eingereicht und auch den Eigenhandel für Krypto-Assets beantragt.
BTC-ECHO: Richtig. Es geht jetzt nur noch darum, ob die Erlaubnis von der BaFin auch erteilt wird. Wann ist es denn so weit?
Wild: Das ist ein guter Punkt. Das müsstest du die Aufsicht fragen. Wir haben am 19. August einen Antrag auf Kryptoverwahrung und Eigenhandel abgegeben. Danach haben wir erstmal Urlaub gemacht und arbeiten seitdem an der sogenannten Operational Readiness. Das heißt, Prozesse ausrollen, schriftlich fixierte Ordnungen ausrollen, das Team vervollständigen. Wir haben vor Kurzem einige wichtige Personalien an Bord geholt. Wann es allerdings mit der Kryptoverwahrlizenz soweit ist, kann ich dir nicht sagen.
BTC-ECHO: Wie lange dauert das denn normalerweise, bis man so Lizenz bekommt?
Wild: Bei Coinbase, die als erstes Unternehmen die Lizenz bekommen haben, hat es sechs bis acht Monate gedauert. Wir sind im ständigen Austausch mit der BaFin. Ich habe im Moment noch keinen Einblick.
Wir haben aber eine Eingangsbestätigung erhalten, dass die Aufsichtsbehörden [BaFin und Bundesbank] unsere Unterlagen prüfen. Ich erwarte die Antworten innerhalb der nächsten vier bis acht Wochen. Dann sollten wir eine erste Rückmeldung bekommen.
BTC-ECHO: Hätte Binance die Lizenz vielleicht früher beantragen sollen? Coinbase ging den Schritt bereits sehr früh.
Wild: Leider kann ich dazu nichts sagen, weil ich die alte Strategie nicht kenne. Ich habe von der Geschäftsleitung den klaren Auftrag bekommen, die Lizenz zu bekommen, und daran haben wir uns gehalten.
BTC-ECHO: Wie ist denn allgemein das Verhältnis zwischen euch und der BaFin. Da gab es in der Vergangenheit Reibereien. Wie sieht das heute aus?
Wild: Die Story kennt mittlerweile eigentlich jeder. An meinem zweiten Arbeitstag kam der BaFin-Brief, der sehr sportlich aufgelegt war, was Binance regulatorisch zu erfüllen habe. Diese Erwartungen hoffen wir, mit dem Antrag erfüllt zu haben. Da floss wirklich viel Arbeit rein. Allgemein sind wir, denke ich, professionell miteinander umgegangen. Die Beziehung zur BaFin ist mittlerweile gut.
BTC-ECHO: Im Rahmen der europäischen Verordnung MiCA besteht die Möglichkeit, mit einer Lizenz im gesamten EU-Raum legal zu operieren (sogenanntes Passporting). Ihr habt Lizenzen bereits in Italien und Frankreich. Macht das die Kryptoverwahrlizenz obsolet?
Wild: In Frankreich und Italien haben wir Registrierungen erhalten, keine Lizenzen. Diese sind an sich schon eine Errungenschaft, aber sie würden unter MiCA nicht dem Passporting unterliegen.
Generell begrüßen wir MiCA, weil endlich eine einheitliche Rechtsprechung geschaffen wurde. Dennoch hat sich Binance entschieden, in möglichst vielen Ländern reguliert, registriert oder lizenziert zu sein, weil wir zum Beispiel auch inländischen Kundensupport anbieten wollen. Außerdem gilt die Lizenzierung in Deutschland als der Prime Standard.