Moralisches Dilemma Wer profitiert stärker von Bitcoin: Russland oder die Ukraine?

Noch nie haben Kryptowährungen wie Bitcoin in einem Krieg eine derart große Rolle gespielt. Doch welche Nation profitiert stärker von den Vorteilen der Krypto-Ökonomie, Russland oder Ukraine? Über das moralische Dilemma, gezielte Sanktionen und die Gefahr einer neuen Anti-Bitcoin-Kampagne.

Sven Wagenknecht
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Bitcoin Münze zwischen Ukraine- und Russland-Flagge

Beitragsbild: Shutterstock

Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind zwei Narrative in Bezug auf Kryptowährungen wie Bitcoin entstanden. Einmal positiv belegt als Chance für die Menschen in der Ukraine, um den Zahlungsverkehr trotz einbrechender Infrastrukturen sicherzustellen, schnelle internationale Spenden zu erhalten sowie das eigene Vermögen im Falle einer Besetzung durch Russland in Sicherheit zu bringen.

Konträr dazu steht der kritische Blickwinkel, der Bitcoin und Co. vorwirft, Sanktionen abzuschwächen, da sich schließlich auch der Kreml und seine Oligarchen die Vorteile von Kryptowährungen zunutze machen können. Wie so oft gibt es keine einfache Falsch-oder-Richtig-Antwort. Vielmehr geht es um ein Abwägen, wobei man letztlich sehr wohl zu einem Entschluss kommen kann, dass eines der beiden Narrative mehr überzeugt.

SWIFT kann man ausschalten, die Blockchain nicht

Während man im internationalen Zahlungsverkehr der Banken (SWIFT) umgangssprachlich den Stecker ziehen kann, ist das beim Blockchain-Zahlungsverkehr nicht möglich. Keine Nation der Welt kann Blockchain-Transaktionen unterbinden. Wie ein Uhrwerk generiert beispielsweise die Bitcoin Blockchain alle 10 Minuten einen Block – ganz egal, was auch passieren mag.

Sanktionen könnten daher technisch nichts bewirken beziehungsweise keine Transaktionen verhindern, sondern diese nur für illegal erklären. Wenn Russland also versucht, via Kryptowährungen den SWIFT-Ausschluss zu umgehen, bleiben den Staaten nur Verbote übrig, die derartige Krypto-Zahlungen untersagen.

Präzise Sanktionen dank Bitcoin?

Bei aller naheliegender Kritik muss dies allerdings kein Nachteil sein. Schließlich würde kaum ein Unternehmer riskieren, sich strafbar zu machen, indem er Kryptowährungen von russischen Bürgerinnen und Bürgern annimmt – KYC-Pflicht vorausgesetzt. Vor Erhalt einer Krypto-Zahlung müssten also Unternehmen entsprechend verpflichtet sein, die Identität zu überprüfen und zu dokumentieren. Aus diesem Grund macht das EU-Parlament sowie die EZB auch Druck, die Regulierungsbestrebung MiCA zeitnah durchzusetzen.

Während bei einem SWIFT-Ausschluss pauschal alle Privatpersonen und Unternehmen bestraft werden, die Kunden der betroffenen Bank sind, wäre bei einem Blockchain-basierten Zahlungsverkehr eine Ausdifferenzierung möglich. Durch den SWIFT-Ausschluss bestraft man beispielsweise auch deutsche Unternehmer oder in Deutschland lebende Migranten aus Russland, die nunmehr keine Zahlungen aus Russland erhalten können. Anstatt wie bei SWIFT jede einzelne Bank von SWIFT abzukapseln, könnte man bei Blockchain-Transaktionen also präzise sanktionieren und nur bestimmte Gruppen und Transaktionen untersagen. Aus der Not keinen Mittelsmann beziehungsweise keine zentrale Instanz in die Haft nehmen zu können, kann man so eine Sanktionierung auf der Individualebene umsetzen.  

Liegen die Kryptowährungen bei einer zentralen Verwahrstelle, ergo Börse wie Coinbase oder Binance, dann gibt es sowieso keinen Unterschied zu einer Bank. Schließlich ist ein Kryptoverwahrer als zentrale Entität genauso in der Lage, Kryptowährungen einzufrieren, wie die Deutsche Bank Kontoguthaben und Wertpapiere – entsprechende Sanktions-Vorgaben vorausgesetzt.

Mit Blockchain-Transparenz gegen Putin

Die Transparenz von Kryptowährungen könnte sogar dazu beitragen, noch effizienter gegen Putin und seine Anhänger vorzugehen. Während viele Gelder auf Offshore-Konten liegen, die nicht im Zuge der Sanktionen aufgedeckt werden, wäre das bei Kryptowährungen etwas völlig anderes. Während die Milliarden der russischen Oligarchen gut versteckt in Panama und Co. schlummern, würden Bitcoin-Guthaben durch entsprechende Krypto-Cybercrime-Einheiten, wie sie die USA bereits geschaffen hat, gut ermittelt werden können. Die Analyse von Transaktionsmustern würde dem Westen ein effektives Tool an die Hand geben, die Vermögen nachzuverfolgen.

Anschließend kann man russische Wallets und deren Kryptowährungen auf “schwarze Listen” setzen. Wie bei der Bitcoin-Konfiszierung von Drogenschmugglern, kann auch hier eine Markierung von Kryptowährungen stattfinden.

Bitfinex macht es vor – Verschleierung zwecklos

Man denke hier nur an den bekannten Bitfinex-Raub von 3,6 Milliarden US-Dollar in Bitcoin, wir hatten ausführlich berichtet. Trotz größter Anstrengungen und intelligenter Krypto-Geldwäsche ist es dem Diebes-Pärchen nicht gelungen, die Kryptowährungen unentdeckt vor den Verfolgungsbehörden zu waschen. Jede Bewegung im Krypto-Space hinterlässt ihre Spuren.

Auch wenn der russische Staat selbst durch Bitcoin Mining oder Ransomeware-Attacken mit Bitcoin-Lösegeldforderungen Krypto-Bestände aufbaut, könnten diese für die internationale Gemeinschaft kenntlich gemacht werden. Erst mit Aufhebung der Sanktionen könnten diese markierten Kryptowährungen und Wallets wieder legal dem Finanz- beziehungsweise Krypto-Sektor zugeführt werden.

Bitcoin für das ukrainische Volk

Auch wenn Krypto-Sanktionen Neuland sind und vereinzelt auch Schlupflöcher bieten können, darf man nicht die positiven Aspekte für die ukrainische Bevölkerung vergessen. Man denke hier nur an die Menschen in der Ukraine, die im Falle eines russischen Einmarsches damit rechnen müssen, dass ihr gesamtes Vermögen dem Kreml zum Opfer fällt. Auch ist der Zugriff auf die Bankeninfrastruktur stark eingeschränkt in der Ukraine. In der aktuellen Notlage kann die Kypto-Ökonomie wie ein zweites Fangnetz funktionieren, das man einsetzt, wenn die bestehende Finanzinfrastruktur nicht mehr ausreichend funktioniert.

Zwar mögen dezentrale Infrastrukturen schwieriger zu managen sein als zentrale Entitäten, doch zeigen sie gerade in Krisen- gar Kriegszeiten ihr robustes Wesen. Innerhalb von Sekunden können Spenden direkt auf die Wallets der ukrainischen Regierung und Bevölkerung eintreffen. Neben den offiziellen Krypto-Spendenadressen hat sich beispielsweise auch schon eine Spenden-DAO auf der Solana Blockchain in Zusammenarbeit mit der ukrainischen Regierung gebildet. Sogar NFTs akzeptiert die russische Regierung als Spende.

Über derartige alternative Finanzinfrastrukturen kann zumindest der Geldverkehr für grundlegende Waren, wie Nahrungsmittel und Medizin, aufrechterhalten werden. Während Russland via Cyberattacken sämtliche Infrastrukturen lahmlegen kann, kann es nicht die genutzten Blockchains ausschalten.

Fazit zu Kryptowährungen im Ukraine-Krieg

Es steht außer Frage, dass man alles unternehmen muss, um die finanziellen Sanktionen gegen Russland so einschneidend wie nur irgendwie möglich auszugestalten. Die an sich positive Natur der Zensurfreiheit von Bitcoin und anderen Kryptowährungen mag auf den ersten Blick dem konträr gegenüberstehen. Auch als Befürworter von Kryptowährungen darf man sich diesem Problem nicht entziehen und muss sich der Kritik stellen.

Allerdings zeigt sich auf den zweiten Blick, dass die Transparenz und Verfolgbarkeit die Nachteile der Dezentralität kompensieren, in Teilen gar überkompensieren, können. Selbst wenn Russland mit beispielsweise Bitcoin versuchen würde, den SWIFT-Ausschluss zu umgehen, dann stößt es an das Problem, dass es nur eingeschränkt Import- und Exportgeschäfte mit dem Westen machen kann. Kurz um: Russland kann mit seinen Bitcoins idealerweise nichts anfangen. Auch die Oligarchen-Milliarden, die die letzten Tage in Bitcoin transferiert wurden, sind auf dem Schirm der Verfolgungsbehörden. Schließlich ist es für jeden Menschen einsehbar, wenn auf einmal eine neue Wallet mit beispielsweise 50 Millionen US-Dollar in Bitcoin auftaucht. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass viele dieser neuen Gelder von den zu sanktionierenden Russen stammen.

Entscheidend sind also die gesetzlichen Sanktionen und weniger die technologischen Einschnitte. Es bleibt zu hoffen, dass Politik und Medien nicht versuchen, in der Öffentlichkeit ein Bild vom “bösen Bitcoin” zu kreieren, der dem Russland-Regime dient. Getreu dem Motto: Wir haben es immer schon gesagt, Bitcoin nutzt nur Terroristen, Drogenschmuggler und neuerdings Russlands Oligarchen. Zum Glück gibt es zahlreiche Beispiele über den positiven Einfluss von Kryptowährungen in der Ukraine. In diesem Sinne ist auf eine ausgewogene Berichterstattung zu hoffen, die Kryptowährungen nicht unter Generalverdacht stellt. 

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