Technische und ökonomische Diskussionen um Libra sind längst in den Hintergrund gerückt. Stattdessen dominieren zunehmend die politischen Machtspiele – sowohl in staatlichen Institutionen als auch im Silicon Valley. Es scheint, als liege der Stable Coin von Facebook vorerst auf Eis. Während Lobbyisten in Washington und Brüssel versuchen, der Konzernwährung den Weg freizuschaufeln, zeichnet sich eine Grundsatzdebatte ab, die mit Blockchain und Kryptowährungen nur noch wenig zu tun hat.
Was sind die wahren Gründe hinter PayPals Libra-Distanzierung?
In diesen Diskurs fügt sich auch die Ankündigung von PayPal, sich vorerst aus dem Libra-Netzwerk herauszuhalten. Doch woher kommt der Sinneswandel? Ist es der politische Gegenwind, sind es Zweifel an den Erfolgsaussichten oder einfach die Befürchtung, sich selbst zu kannibalisieren?
Fest steht jedenfalls, dass die Anfangseuphorie von staatlich-institutioneller Seite erfolgreich ausgebremst wurde. Es könne und dürfe nicht ohne Weiteres möglich sein, das staatliche Geldmonopol mit Token inkl. eigener Spielregeln nachzubauen – so die Botschaft von staatlicher Seite. An genau dieser Stelle liegt der neuralgische Punkt von Libra: Wer definiert die Spielregeln und setzt sie durch?
In der Theorie mag diese Frage natürlich einfach zu beantworten sein. Es sind die Unternehmen in der Libra Association. Alle sind gleichrangig. Auch Facebook als Initiator ist nur eine Betreiberfirma unter vielen – dezentrale Governance lässt grüßen.
Alle Node-Betreiber sind gleich, aber manche sind gleicher
Sicherlich findet man bei allen bislang teilnehmenden Unternehmen nachvollziehbare Motive, warum die Teilnahme an Libra perspektivisch sinnvoll sein kann. Auf der anderen Seite kann kein anderes Unternehmen so sehr wie Facebook von einem Libra Coin profitieren. Auch ist davon auszugehen, dass noch kein anderes Unternehmen so konkrete Pläne zur Integration von Libra in das eigene Ökosystem hat wie Facebook. Entsprechend werden sich einige Konzerne fragen, ob sie in erster Linie die Ziele von Facebook unterstützen oder ihre eigenen. Die Zweifel wachsen in der höchst fragilen Libra-Vereinigung. Im Spannungsfeld zwischen der Angst, etwas zu verpassen – FOMO – und der realpolitischen Unternehmensstrategie können so schnell Gruppendynamiken pro oder contra Facebook und Libra entstehen.
Dass PayPal nun zurückrudert, zeigt, dass sich der Zahlungsanbieter auf das eigene Geschäft konzentrieren will, anstatt in einem potenziell konkurrierenden Zahlungsnetzwerk mitzuwirken.
Open Libra – Eine Hard Fork von einer Kryptowährung, die es noch nicht gibt
Vor diesem Hintergrund erscheint der dezentrale Libra-Klon Open Libra als eine nachvollziehbare Reaktion auf die Zentralisierungstendenz beim Libra-Original. So haben 30 Blockchain-Unternehmen diese Woche bekanntgegeben, dass sie Libra forken möchten. Damit soll eine wirklich offene und dezentrale Version das Facebook-Sprösslings, aber eben ganz ohne Facebook selbst, geschaffen werden.
Mit Open Libra formiert sich ein neues Austragungsfeld im Konflikt zwischen den zentralen Plattform-Giganten und den dezentralen Newcomern. Der Kampf David gegen Goliath mündet dabei vor allem in der Frage, wie sich der Privatsphäre-Aspekt bei privaten Stable-Coin-Projekten entwickeln wird.
Apple zeigt klare Kante – Gedanken über eine mögliche Krypto-Strategie
Eine vermeintlich klare Position gegenüber Kryptowährungen vertritt Apple. Trotz mehrfacher Gerüchte gibt es keine Anhaltspunkte, dass Apple zeitnah in den Krypto-Sektor einsteigt. Gründe hätte Apple sicherlich, doch auch einen Plan? Das Risiko, aktuell mit einer Kryptowährung zu scheitern, ist viel zu groß. Man kann nur schwer einen Kryptowährungsplan aufstellen, der mit der Risikoaversion und Trägheit eines Konzernes kompatibel ist. Denn auch Apple weiß: Man hat kurz- bis mittelfristig nur einen Versuch. Es wäre ein großer Schaden, wenn man jedes Jahr versuchen würde, eine eigene Kryptowährung an den Markt zu bringen und damit jedes Mal scheitert.
Das Negieren von Krypto-Plänen kann daher ein durchaus kluger Schachzug sein. Denn eines ist sicher: Apple wird Libra mit Argusaugen beobachten. Zumal Apple gerade erst anfängt, ernsthaft den Finanzsektor zu erschließen. Es ist daher strategisch klug, erstmal mit den klassischen Stärken zu punkten. Bevor also irgendwann mal der Apple Coin herausgeben wird, wird das Apple-eigene Finanzdienstleistungsspektrum ausgebaut. Genau das macht Apple gerade mit seiner Kreditkarte, der Apple Card oder Apple Pay. Es spricht vieles dafür, dass die stylische Kreditkarte nicht nur in den USA, sondern auch in Europa auf starke Nachfrage treffen wird. Apple wird also erst seine Position als Finanzdienstleister ausbauen, bevor es sich wie Facebook auf das risikoreiche Krypto-Terrain einlässt. Über eine mögliche Apple-Strategie lässt sich trefflich spekulieren:
- Vorerst jede Krypto-Ambition unterlassen. An der Seitenlinie stehen und das Krypto-Treiben genau beobachten.
- Facebook und andere Libra-Unternehmen den regulatorischen Kampf austragen lassen.
- Parallel dazu seine Position als Finanzdienstleister ausbauen.
- Von den Fehlern der anderen lernen und Konzepte zur besseren Usability von Token und Token-Ökosystemen entwickeln.
- Gemeinsam mit der Ankündigung eines neuen iPhones das passende „iCoin“-Ökosystem präsentieren, das alle anderen Krypto-Anwendungen in den Schatten stellt – trotz oder gerade wegen des hohen Zentralisierungsgrades.
Die Sache mit dem Marktumfeld: Timing schlägt (noch) Qualität
Jedem Unternehmen, das in der Krypto-Ökonomie aktiv ist, muss eines klar sein: Es kam bislang mehr auf das Timing als auf die Qualität der Dienstleistung bzw. Anwendung an. Das mag sehr hart klingen, aber ist angesichts der letzten Jahre im Krypto-Sektor alles andere als abwegig. Auch das beste Krypto-Produkt hat keine Chance, sich durchzusetzen, wenn es noch kein Ökosystem, keine Nachfrage, keine Schnittstellen, keine Regulierung etc. gibt. So war es auch weniger die Qualität, die in der Vergangenheit entschieden hat, wie viel Kapital ein Krypto-Unternehmen durch einen ICO einsammelt als der Zeitpunkt des Token Sales.
Jedes Unternehmen muss sich die Frage stellen, ob die potentiellen Erträge durch den First-Mover-Vorteil im Krypto-Sektor die hohen Risiken eines Scheiterns rechtfertigen. Für viele innovative Krypto-Unternehmen und Blockchain-Protokolle könnten die externen Faktoren dazu führen, dass sie für einen kommerziellen Erfolg drei bis fünf Jahre zu früh dran sind.