Für diejenigen, die noch nicht so lange im Krypto-Sektor aktiv sind, waren die letzten Tage eine harte Probe. Die Kurse kannten seit Herbst 2020 nur eine Richtung: Norden. Nun kam es zur längst überfälligen Korrektur, die “schwache Hände” und hoch gehebelte Positionen mit aller Wucht aus dem Markt gespült hat. So schwer es ist den Zeitpunkt einer Korrektur vorherzusagen, hatten sich in den letzten Monaten die Anzeichen für eine Überhitzung signifikant gemehrt, wie wir bereits vor einigen Wochen erläutert hatten.
Champagnerlaune und Unicorns
Die News der letzten Monate im Krypto-Sektor waren geradezu grandios und haben eine neue Welle der Euphorie entfacht. PayPal ist in den Krypto-Markt eingestiegen, Tesla hat Bitcoin gekauft und der DeFi- sowie NFT-Sektor haben zahlreiche neue Projekte hervorgebracht. Das Ergebnis war eine vollkommen übersteigerte Erwartungshaltung. Wer bei einem Token Sale wie auf coinlist.co mitgemacht hat, konnte sich einer Verhundertfachung seines Einsatzes sicher sein. Projekte wie Flow sind regelrecht durch die Decke gegangen. Protokolle im Beta-Stadium konnten so zeitweise Bewertungen erreichen, die selbst Dax-Konzerne in den Schatten gestellt haben. Als beispielsweise am 10. Mai die Kryptowährung zum Internet-Computer-Protokoll (ICP) zum Handel freigegeben wurde, lag die Marktkapitalisierung zum Start bei 80 Milliarden US-Dollar. Enorme Vorschusslorbeeren sind selbstverständlich bei Blockchain-Protokollen, doch entziehen sich derartige Bewertungen jeglicher Schwerkraft. Gleichzeitig hat sich Coinbase angeschickt zum größten Börsenlisting in 2021 zu werden. So kam der Krypto-Broker auf eine Bewertung von zeitweise über 100 Milliarden US-Dollar.
To the Moon: Skalierung wie im Jahr 2017
Darüber hinaus war das Ethereum-Netzwerk sichtbar überlastet, indem die Transaktionsgebühren absurde Höhen erreicht haben. Wer beispielsweise eine Kryptowährung für ein paar hundert US-Dollar auf Uniswap tauschen wollte, hat schnell 100 US-Dollar oder mehr an Transaktionsgebühren gezahlt. Darüber hinaus hat sich ein nicht nachhaltiges Kredit-System – man könnte auch Kartenhaus sagen – aufgebaut. Im DeFi-Sektor wurden zur reinen Spekulation Kredite aufgenommen und durch überwiegend Ether-Rücklagen abgesichert.
Solange die Kurse stiegen, war das kein Problem. Doch galt die Prämisse, dass allen voran Ether stabil bleiben musste, damit die hinterlegten Sicherheiten nicht zur Neige gingen. Da es gegenwärtig noch an einem realwirtschaftlichen Bezug des DeFi-Sektors fehlt, gab es auch kein fundamentales Fangnetz, das sich der erlebten 30 bis 50 Prozentkorrektur entgegenstellen konnte. Korrespondierend dazu kam auch noch der NFT-Hype dazu. Dieser war und ist ebenfalls durch Überbewertungen geprägt, wie wir bereits im März dieses Jahres erläuterten. Zu hohe Hebel, zu wenig Absicherung von zu vielen Krypto-Neulingen haben den perfekten Cocktail für eine Überbewertung ergeben.
Viele Auslöser, wenige fundamental
Oft reicht der viel besagte Tropfen, um ein Fass zum Überlaufen zu bringen. So auch in diesem Fall. Elon Musk hat Bitcoin-Zahlungen für Tesla-Modelle “storniert”, China hat wie alle Jahre wieder die Zügel für die Krypto-Industrie enger geschnallt, in den Medien war viel Kritik zur Energiebilanz von Bitcoin zu lesen und ein härteres regulatorisches Vorgehen gegen den Krypto-Sektor, insbesondere in den USA und vor allem auch auf steuerlicher Seite, hat sich mehr denn je abgezeichnet. Für sich genommen ist keines der Ereignisse eine Katastrophe. Sicherlich ärgerlich und in Teilen auch fundamental leicht negativ, wenn China härter gegen beispielsweise das Krypto-Mining vorgeht oder eine höhere Steuer für Krypto-Gewinne in den USA eingeführt wird, aber letztlich war auch dies keine Überraschung. Von einem großen und nachhaltigen Schaden kann hier nicht die Rede sein.
Wenn überhaupt, dann liegt der größte Schaden darin, dass einige institutionelle Investoren von der hohen Volatilität des Bitcoin abgeschreckt wurden. Institutionelle oder sehr vermögende Personen, die thematisch weniger bewandert sind, könnte der Erdrutsch nun davon abhalten, geplante Bitcoin-Investitionen zu tätigen. Insbesondere dann, wenn es gilt diese vor einem größeren Gremium zu rechtfertigen. Doch auch dieser Bremsklotz könnte schnell wieder gelöst werden. Wenn in den nächsten Wochen und Monaten bekannt wird, welcher namhafte Investor die Korrektur zum Nachkauf genutzt hat, könnte eine neue Kaufdynamik entstehen.
Die Makrolage: Reiselust und Inflation
Die Makrolage ist derweil sehr widersprüchlich für den Krypto-Markt zu betrachten. Durch die Corona-Lockerungen verändern sich die Präferenzen, was dazu führt, dass weniger investiert und mehr konsumiert wird. Sommerurlaub, Powershopping und Restaurantbesuche bedeuten für viele Menschen weniger Spekulationskapitel, das in den Markt fließen kann. Auch losgelöst von der Corona-Situation waren in den letzten Jahren die Sommermonate eher ruhige Krypto-Monate.
Gleichzeitig steigen die Inflationssorgen, da sie nun auch erstmals für die Realwirtschaft bestätigt wurden. So vermeldeten die USA eine Verbraucherpreisinflation von 4,2 Prozent – Tendenz steigend. Insbesondere Rohstoffe und die temporäre Angebotsknappheit schaffen es, die in Teilen lang erwartete offizielle Inflation zu beleben. Gleichzeitig verbleiben die Einlagenzinsen auf einem noch niedrigen Niveau. Der Druck zu handeln nimmt also zu, sodass hier Bitcoin als Inflationsschutz an Attraktivität zunehmen könnte. Gleichzeitig korreliert Bitcoin aber auch stark mit den Tech-Aktien, die unter der steigenden Inflation eher zu leiden haben. Eine hohe Inflation ist daher nicht per se gut für Bitcoin. Schließlich erhöht sich damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Notenbanken die Zinsen wieder anheben. Ein höherer Zins könnte also auf das Kurswachstum im Finanzsektor und bei Bitcoin drücken.
Bitcoin und Altcoins mit unterschiedlichen Perspektiven
Im Gegensatz zum Aktiensektor sind die Bewertungen der Kryptowährungen viel weniger fundamental zu beurteilen und beruhen vor allem auf hohen Zukunftserwartungen. Fehlt diese Zuversicht, dann gibt es nur wenige Gründe, die die Kurse stützen können. Entsprechend könnten gerade die Altcoins mit ihren partiell nach wie vor hohen Bewertungen weiter gen Süden rauschen. Bei Bitcoin ist die Situation hingegen eine etwas andere. Zum einen finden sich im Gegensatz zu Altcoins auch viele institutionelle und sehr vermögende Investoren unter den Haltern, die nicht während einer Marktpanik verkaufen. Anders sieht es bei den Kleinanlegern aus, unter denen sich besonders viele “schwache Hände” befinden. Auch ist Bitcoin etablierter als jede andere Kryptowährung und hat sich beziehungsweise seinen Use Case bereits bewiesen. Die zuletzt gesunkene Bitcoin-Dominanz hat so gute Chancen in den nächsten Monaten wieder anzusteigen.
Was spricht für eine Rückkehr der Bullen?
Die Angst, dass es wie im Jahr 2017 nach dem Platzen der ICO-Blase zu einem über zwei Jahre andauernden Bärenmarkt kommt, ist übertrieben. Neuere Krypto-Innovationen wie DeFi, NFT, Security Token, Social Token, Stablecoins, Tokenized Stocks etc. sind nicht mehr wegzudenken und entwickeln sich weiter, auch wenn die Kurse mal heftig korrigieren. Neben namhaften Unternehmen wie Facebook oder Microstrategy, die sich im Krypto-Sektor engagieren, findet der Transformationsprozess hin zum Medium Token auch auf staatlicher Ebene statt. Seien es digitale Wertpapiere oder digitales Zentralbankgeld. Diese Entschlossenheit und Anwendungsvielfalt gab es in den Jahren 2017 und 2018 schlichtweg nicht. Aktuell wird heiße Luft aus dem Kessel gelassen und das ist gut so.
Nach einer kleinen Pause und dem Durchlaufen des sogenannten “Tals der Enttäuschung” können neue Impulse wieder schnell eine Rallye entfachen. Sei es die Genehmigung eines Bitcoin ETF durch die US-Wertpapieraufsicht SEC, der Einstieg eines Plattformgiganten in Bitcoin oder Facebooks Diem-Konsortium – es gibt genug Gründe für neue Impulse.
Fazit
Ob man nun seine Kryptowährungen verkaufen sollte, ist salopp formuliert ziemlich einfach zu beantworten. Hat man seine Meinung zu seinen Krypto-Investments fundamental geändert, dann sollte man sich fragen, woran das liegt. Sind es rationale und fundamentale Gründe, die einem zu einem Verkauf bewegen oder ist es lediglich die Marktstimmung. Sollte man nun verkaufen, ohne dies rational begründen zu können, dann muss man sich eingestehen, wahrscheinlich auch nicht aus rationalen Gründen gekauft zu haben, sondern einem Hype hinterhergelaufen zu sein. Zumindest gilt dies für Anleger, die nicht aktiv Traden, sondern einen langfristigen Anlagehorizont besitzen.