EU-Datenschutzgesetz Kommt ein De-facto-Verbot für Smart Contracts?

Kill-Switch, Kontrollmaßnahmen und zentrale Überwachung: Das EU-Datenschutzgesetz bedroht die Dezentralität von Smart Contracts. Blockchain-Verbände schlagen Alarm.

Dominic Döllel
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Smart Contract

Beitragsbild: Shutterstock

| Das EU-Datenschutzgesetz schlägt Wellen. Branchen-Vertreter sind besorgt über die Dezentralität von Smart Contracts

Das Europäische Parlament hat im März im Rahmen des “Data Act” neue Regeln und Anforderungen für Smart Contracts festgelegt. Der darin enthaltene Artikel 30 ist so formuliert, dass der derzeitige Einsatz von Smart Contracts erheblich eingeschränkt werden müsste. Vor allem die besonders vielseitig einsetzbaren, öffentlichen Blockchains würden in ihrer Weiterentwicklung und aktuellen Nutzung stark behindert. Ein De-facto-Verbot für dezentrale Anwendungen und Smart Contracts?

Krypto-Anhänger sind jedenfalls besorgt um die Dezentralität von DeFi-Anwendungen. Doch es gibt Hoffnung: Mehrere Blockchain-Verbände sowie das Internet-der-Dinge-Projekt IOTA haben sich zusammengeschlossen und richten nun das Wort an die europäischen Gesetzgeber.

Data Act soll technologischen Fortschrit garantieren

Das bereits verabschiedete Gesetz zielt darauf ab, den Umgang gemeinsam genutzter Daten zu regeln und diesbezüglich mehr Rechtssicherheit auf EU-Ebene zu schaffen. Nutzer sollen transparenten Zugriff auf die von ihnen erzeugten Daten bekommen. Informationen, die zum Beispiel durch die Benutzung von Sprachassistenten, Chatbots oder IoT-Geräten erzeugt werden, sollen für die Anwender einsehbar sein.

Neben der Nutzersicherheit soll durch einen optimierten rechtlichen Rahmen der Dateninfrastruktur der Weg für künftige Industrien und Tech-Anwendungen geebnet werden. Die neuen Regeln könnten ab 2024 verbindlich für Dienstleister in Europa in Kraft treten. Derzeit befindet sich der Data Act noch im Trilog – ein Verfahren zur Erzielung einer Einigung zwischen den drei Hauptinstitutionen der EU. Entsprechend könnte es noch zu Anpassungen kommen. Darauf zumindest hoffen viele prominente Vertreter der Krypto-Branche, darunter Binance, Kraken, Ripple oder etwa Coinbase, die alle den Brief an die Gesetzgeber unterzeichnet haben.

Dezentralität bei Smart Contracts: Data Act mit Fehlinterpretation

Wie in dem Brief beschrieben, ist die rechtliche Unterscheidung zwischen Smart Contracts und traditionellen rechtlichen Verträgen im Data Act ungenau. Das könnte zu unnötiger Komplexität und Verwirrung bei der Auslegung und Anwendung der Regulierung führen. Das Problem: Eine Fehlinterpretation der Unterschiede zwischen privaten und öffentlichen Netzwerken. Der Data Act wurde nur mit Blick auf private Netzwerke geschrieben, das zeigen die Tatbestände des Gesetzentwurfs. Dominik Schiener, Mitbegründer und Vorsitzender von IOTA, fasst gegenüber BTC-ECHO zusammen:

Die aktuelle Formulierung des Data Act führt aufgrund ihrer Breite zu Unsicherheit über die Rechtmäßigkeit zahlreicher bereits bestehender Smart Contracts. Start-ups und KMUs, die von dieser Technologie abhängig sind, werden dadurch in eine prekäre Lage gebracht. Geschäftsabläufe werden gestört und Geschäftsmodelle gefährdet, was negative wirtschaftliche Auswirkungen zur Folge hat. Wenn Smart Contracts unter Verwendung öffentlicher Blockchains aufgrund einer zu weit gehenden Auslegung des Data Act als gesetzwidrig angesehen werden, entstehen erhebliche negative Folgen für diese Unternehmen.

Erneut, wie zwischenzeitlich mit der MiCA-Regulierung, steht der Krypto-Sektor vor einer großen Herausforderung. Die durch das EU-Datenschutzgesetz aufgeworfenen Probleme könnten die Verwendung von Smart Contracts in der europäischen Wirtschaftszone nachhaltig verändern – und das nicht zum Guten.

Mehr Schaden als Nutzen?

Betroffen seien dem Brief zufolge die größten Smart-Contract-Protokolle im Kryptomarkt: Ethereum, Cardano, Polkadot, die Binance Chain und zahlreiche andere. Durch das Gesetz müssten beispielsweise Compliance-Anforderungen erhöht und Code-Funktionalität entsprechend angepasst werden, so Schiener. Das wiederum bedeutet: zusätzliche Testläufe, Audits und Verifizierungen zur Sicherstellung der Einhaltung der potenziellen neuen Vorschriften.

Zudem beeinflusse der Data Act die Unveränderlichkeit von Smart Contracts und den uneingeschränkten Zugang zu diesen, wie Schiener erklärt. Das Gesetz verlangt demnach die Aufnahme eines “Kill Switch” in den Smart Contract Code, der bei Bedarf aktiviert werden kann. Solche Notfallmechanismen werden in der Krypto-Szene kontrovers diskutiert.

Die Ungenauigkeit des Gesetzes bei der Definition von Smart Contracts für den Datenaustausch führe außerdem zu Unsicherheiten hinsichtlich der Anwendung. Das argumentiert der IOTA-Mitbegründer und erklärt auf Anfrage:

Das Gesetz positioniert Smart Contracts im Kontext einer Vereinbarung zur Datenbereitstellung. Das deutet, dass nicht alle Smart Contracts als rechtliche Verträge unter diesem Gesetz betrachtet werden. Diese Unklarheit erstreckt sich auf die Debatte über die Kontrolle des “Kill Switch”.

Denn: Die Aufsicht über diesen Notfallmechanismus könnte bei dem Ersteller des Smart Contracts, aber auch bei öffentlichen Behörden oder gar einem Gericht liegen. Ein herber Schlag für die Dezentralität aller betroffenen Protokolle.

So würden sich Ethereum und Co. unter dem Data Act verändern

Die Einführung des EU-Datenschutzgesetzes könnte erhebliche Anpassungen öffentlicher Protokolle erfordern. Eine mögliche Änderung wäre die gesetzlich verpflichtende Einführung von Compliance-Maßnahmen. Das heißt: Öffentliche Plattformen müssten Mechanismen einführen, um die neuen rechtlichen Vorgaben zu gewährleisten, darunter etwa die Einführung der angesprochenen Kill Switches und Kontrollmechanismen.

Überdies könnten Protokolle wie Ethereum oder Cardano gezwungen sein, “fortschrittlichere Verifizierungs- und Audit-Systeme für Smart Contracts zu entwickeln oder zu unterstützen, um nachzuweisen, dass Smart Contracts den Anforderungen des Gesetzes entsprechen”, so Schiener gegenüber BTC-ECHO. Der IOTA-Mitbegründer führt aus:

Das Datenschutzgesetz war nicht darauf ausgelegt, öffentliche Blockchains negativ zu beeinflussen. Die Folgen des Gesetzes wären jetzt aber erheblich. Wenn die Gesetzgeber auf Zugangskontrollmaßnahmen bestehen, könnte dies die erlaubnisfreie Natur vieler öffentlicher Blockchains grundlegend infrage stellen.

Mit anderen Worten: Die betroffenen Plattformen müssten derartige Kontrollmechanismen einführen, auf die zentrale Instanzen Zugriff haben. Ein Widerspruch in sich: gerade die Dezentralität ist ja der Kern der meisten Krypto-Protokolle. Dominik Schiener sieht das ähnlich:

Die Einführung eines Kill Switches durch das Gesetz stellt das Blockchain-Prinzip der Unveränderlichkeit infrage. Das würde Protokolle vor die Herausforderung stellen, ein solches Feature zu implementieren, ohne die Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit der Blockchain zu untergraben. […] In extremen Fällen könnten einige Protokolle ihre Konsensmechanismen oder andere Kernfunktionalitäten überdenken müssen, um die neuen Anforderungen zu erfüllen.

Eine der zentralen Fragen für die geplanten Änderungen ist bisher ungeklärt: Wer erhält die Aufsicht über die Kill Switches? Die Ungewissheit über die Kontrolle von Smart Contracts birgt Gefahren für die Protokolle selbst, als auch für darauf aufbauende Dienstleister.

Krypto-Exodus aus Europa?

“Die Folge wäre ein Talent- und Investitionsabzug der europäischen Industrie hin zu Jurisdiktionen mit passgenaueren Vorschriften”, erklärt der IOTA-Mitbegründer gegenüber BTC-ECHO. Mehr noch: Der digitale Fortschritt könnte gedämpft werden und Regierungen müssten durch den Industrieschwund finanzielle Einbußen in Kauf nehmen.

Darüber hinaus könnte die unklare Formulierung des Data Act Innovationen unterdrücken. Dies hätte langfristige Auswirkungen – auch auf die Verbraucher. Schiener betont:

Die weite Auslegung von “Smart Contracts” könnte auch solche Smart Contracts betreffen, die den Austausch von digitalen Vermögenswerten ermöglichen. Damit würden Compliance-Herausforderungen geschaffen, die möglicherweise mit anderen Vorschriften im Konflikt stehen.

Eine dieser Vorschriften: MiCA. Die erst vor wenigen Wochen beschlossenen, einheitlichen Regeln sollen Verbraucher schützen und Krypto-Unternehmen nach Europa locken. Mit der ungenauen Definition von Smart Contracts im Data Act stellen sich die europäischen Gesetzgeber selbst ein Bein. Was es jetzt braucht? Einen Kompromiss.

Gesetzgeber bereit für Kompromiss?

In dem Brief stellen IOTA und die verantwortlichen Blockchain-Verbände drei Lösungsvorschläge vor, die die fragwürdige Passage im EU-Datenschutzgesetz eliminieren sollen. Das Ziel: rechtliche Klarheit verbessern, das Prinzip der technologischen Neutralität aufrechterhalten und das Wachstum sowie die Innovation des digitalen Marktes in der EU fördern.

Auf Nachfrage erklärt Dominik Schiener, wie die Chancen stehen. Zwar hätte es vonseiten der Blockchain-Industrie kontinuierliche Versuche gegeben, den Data Act anzupassen. Dennoch sei die Änderung bisher nicht in die Gesetzesentwürfe der Regulierungsbehörden aufgenommen. Weiter heißt es:

Jetzt, angesichts dieses fortlaufenden Problems und dem rasch bevorstehenden Abschluss der Verhandlungen, hat die Industrie ihre Anstrengungen gebündelt und ruft erneut gemeinsam und mit einer stärkeren Stimme zu dieser Änderung auf. Diese gemeinsame Initiative symbolisiert das Engagement und den Wunsch der Branche, rechtliche Klarheit in diesem Gesetzesvorhaben zu erreichen.

Es bleibe allerdings noch Zeit, wie Schiener gegenüber BTC-ECHO erklärt. Der Ball liegt nun bei den Gesetzgebern. Die Blockchain-Verbände seien zuversichtlich, dass die politischen Entscheidungsträger die vorgeschlagenen Empfehlungen berücksichtigen werden.

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