Krypto-Mischkonzern  Wendepunkt erreicht: Wie Binance die Spielregeln am Krypto-Markt ändert

Auch die Blockchain-Ökonomie kann sich nicht von Machtkonzentrationen freisprechen. Insbesondere die neuen “Krypto-Konzerne” Coinbase und Binance verändern das Marktumfeld signifikant. Warum langfristig der Wettbewerb im Krypto-Sektor in Gefahr ist, warum von Binance ein systemisches Risiko für den Krypto-Markt ausgeht und wieso der Sektor mehr denn je auf Lobbyismus setzen muss.

Sven Wagenknecht
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Sog im Meer, das ein Boot in sich reinzieht.

Beitragsbild: Shutterstock

Ein Start-up kümmert sich in erster Linie um sich selbst. Es muss sein Geschäft aufbauen. Erst wenn es zu einem etablierten Unternehmen herangewachsen ist, kommt ein signifikanter Ökosystem-Ausbau durch Übernahmen, den Aufbau von Akzeleratoren und Lobby-Aktivitäten hinzu. Vor allem aber ändern sich die wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisse. Bislang war ein Krypto-Start-up, sofern es keinen Retail Token Sale gemacht hat, von den Wagniskapitalgebern wie VC-Firmen oder strategische Investoren wie Banken abhängig. Nun können die einstigen Start-ups selbst zu Investoren werden und ein schlagkräftiges Ökosystem nach ihren Vorstellungen um sich herum bauen. Die ersten Krypto-Unternehmen, die zu dieser neuen Garde gezählt werden können, sind Coinbase und Binance.

Von wegen dezentrale Ökonomie

Trotz des Dezentralisierungs-Narrativs der Blockchain-Ökonomie, entwickeln sich im Krypto-Sektor Zentralisierungstendenzen. Wie auch in anderen Märkten, die sich etablieren, entstehen Marktführer, die immer mehr Anteile für sich gewinnen können. Während kleinere Börsen und Broker geschluckt werden oder aufgeben müssen, bildet sich zusehends eine Oligopolstruktur heraus. So beanspruchen die Krypto-Börsen Binance, Huobi und OKEx zusammen rund 77 Prozent des gesamten Trading-Volumens.

Zwar ist der Netzwerkeffekt nicht so ausgeprägt wie bei den Plattformgiganten aus dem Silicon Valley, doch gerade deswegen wird versucht, ein Dienstleistungsspektrum um die Kernservices herumzubauen, damit die Wechselbereitschaft der Nutzer reduziert wird.

Doch nicht nur bei den Handelsplattformen kann man Zentralisierungstendenzen beobachten. Letztlich ist auch das Ethereum-Blockchain-Protokoll als Smart-Contract-Plattform im DeFi oder NFT-Bereich klar führend. Solange es ausreichend Herausforderer wie beispielsweise Cardano oder Polkadot gibt, als auch Unterscheidungsmerkmale, stellt die aktuelle Ethereum-Dominanz allerdings kein Problem dar. Insbesondere das DeFi-Ökosystem auf der Binance Smart Chain kann immer mehr Marktanteile aus dem ursprünglichen Ethereum-Ökosystem gewinnen.

Ebenfalls lassen sich im Mining-Sektor Zentralisierungstendenzen beobachten. Um wirtschaftlich Kryptowährungen zu schürfen, nimmt mit steigender Mining-Schwierigkeit die Bedeutung von Größeneffekten immer weiter zu. Kleinere Betreiber geraten dabei schnell ins Hintertreffen.

Binance ist einen Schritt voraus

Kein anderes Krypto-Unternehmen verkörpert die “Ökosystem-Strategie” stärker als Binance. So ist Binance in unzählige Krypto-Start-ups investiert und hat besonders mit dem Kauf des Informationsdienstes Coinmarketcap einen gigantischen Übernahmedeal hingelegt. Der reichweitenstärkste Informationsdienst soll Binance 400 Millionen US-Dollar wert gewesen sein.

Anstatt sich ausschließlich auf einzelne Produkte wie Lending oder Staking zu konzentrieren, geht Binance einen Schritt weiter und möchte die gesamte Wertschöpfungskette kontrollieren. Zukünftig kann sich das Unternehmen so unabhängiger vom Margendruck machen und Branchenstandards etablieren.

Krypto-Mischkonzern: Überschreitet Binance bereits eine Grenze?

Auch wenn Coinbase durch sein Direct Listing an der NASDAQ mehr im Rampenlicht steht als Binance, ist die ursprünglich aus China stammende Handelsplattform deutlich breiter aufgestellt. Von eigenen Token, Krypto-Debitkarten, einem Token Launchpad, diversen Kreditservices und sogar einer eigenen Blockchain kann Binance fast jeden Winkel im Krypto-Sektor abdecken. Inzwischen ähnelt Binance mehr einem Krypto-Mischkonzern als einer Handelsplattform. Ein Krypto-Start-up kann auf der Binance Blockchain eine Anwendung bauen, kann anschließend seine Token-Emission über die Plattform abwickeln und sich zu guter Letzt dort listen lassen. Dabei entstehen Abhängigkeitsverhältnisse, wie wir sie sonst nur von Internetplattformen wie Amazon kennen.

Projiziert man das gegenwärtige Wachstum der Krypto-Plattform zwei bis drei Jahre in die Zukunft, dann sind Sorgen hinsichtlich einer gefährlichen Marktabhängigkeit nicht von der Hand zu weisen. Man denke hier nur an den Stablecoin Tether USDT mit Verbindungen zur Krypto-Börse Bitfinex. Das Handelsvolumen von USDT überschreitet gut und gerne die 100 Milliarden US-Dollar-Marke am Tag. Das Wohlbefinden des Krypto-Marktes ist maßgeblich vom Funktionieren des Stablecoins abhängig.

Gefährlich hohe Marktkapitalisierung

Zwar lässt sich die Bewertung von Aktien und Token nur schwer über einen Kamm scheren, dennoch liegt Binance mit seinem Binance Coin (BNB) auch hier gegenüber Coinbase mit rund 100 Milliarden US-Dollar klar vorne. Die Marktkapitalisierung der Coinbase-Aktien kommt gegenwärtig auf “nur” 60 Milliarden US-Dollar. Bedenkt man, dass die Token im Gegensatz zu Aktien keine Investorenrechte inkludieren und rechtlich gesehen nicht viel mehr als bessere Gutscheine sind, ist diese Höhe besonders besorgniserregend. Hinzu kommt, dass Binance deutlich weniger mit der Realwirtschaft verbunden ist, als eine Bank. Schließlich werden mit den Binance-Einlagen keine Immobilien oder Unternehmen finanziert.

Wäre Binance eine Bank, dann wäre sie heute unter den 20 größten Banken der Welt. Würde sich das Kurswachstum der letzten drei Monate noch einmal wiederholen – wovon nicht auszugehen ist – dann wäre die Marktkapitalisierung von BNB größer als die Marktkapitalisierung der weltweiten Nr. 1: JP Morgan, die aktuell auf 390 Milliarden US-Dollar Bewertung kommt.

Dieses Beispiel zeigt, dass geradezu systemische Risiken für den Krypto-Markt von einem Akteur wie Binance ausgehen können.

Mehr Lobbyismus wagen

So besorgniserregend das Wachstum einer Binance ist, kann der Markt von derart potenten Akteuren aus politischer Sicht profitieren. Zumindest gegenwärtig dürfte die Etablierung der Krypto-Konzerne mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringen. Solange ausreichend Wettbewerb gegeben ist, können diese Konzerne eine dringend notwendige Führungsrolle im Krypto-Sektor einnehmen. Die Lobbyinteressen des Krypto-Sektors können nur schlecht durch Start-ups an die Politik artikuliert werden, die dafür schlicht keine Ressourcen besitzen. Auch fehlt es den ehrenamtlich gegründeten Verbänden, wie in Deutschland dem Blockchain Bundesverband (Bundesblock), an finanziellen Mitteln, um schlagkräftige Lobbyarbeit zu leisten.

Das Thema Regulierung wird weiter an Relevanz zunehmen und damit auch die Notwendigkeit der politischen Einflussnahme. Eine nur auf sich konzentrierte Krypto-Start-up-Szene läuft da schnell Gefahr, in den nächsten Monaten an der ein oder anderen Stelle schwer einstecken zu müssen. Der Schaden falscher oder überbordender Regulierung ist gravierend bis existentiell für die Krypto-Unternehmen. Coinbase und Binance sind inzwischen zu groß, um sie – oder ihre Absichten – zu ignorieren.

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