Dieser Bullenmarkt ist anders. Institutionelle Investoren dominieren das Kursgeschehen, die Volatilität ist auf einem Rekordtief und von Hype keine Spur. Wir haben mit dem Europachef von OKX, Erald Ghoos, über die Hintergründe dieser 180-Grad-Wende am Kryptomarkt gesprochen – und wieso sich für langfristig orientierte Anlegerinnen und Anleger gerade jetzt eine gute Gelegenheit bietet.
Institutionen im Kaufrausch – Privatanleger in Wartestellung
Die aktuelle Rally am Kryptomarkt wird auffällig stark von professionellen Investoren dominiert. Erald Ghoos, seines Zeichens Europachef von OKX, beobachtet: “Dieser Markt wird vor allem von institutionellen Interessen getragen”. Tatsächlich verzeichneten die Spot-Bitcoin-ETFs in der vergangenen Woche Milliardenzuflüsse, während Privatanleger nur verhalten reagieren. Ghoos räumt ein, dass der erwartete Retail-Hype bislang ausgeblieben ist. Noch vor Kurzem lag das Google-Suchvolumen nach Bitcoin nur bei etwa 20 Prozent des Spitzenwerts von 2021 – obwohl der Kurs bereits auf neue Allzeithochs geklettert war.

Zwar ist der Anteil der kurzfristig orientierten Anleger zuletzt leicht gestiegen, wie obige Grafik zeigt. Auf Cycle-Top-Niveau ist der Markt aber längst nicht.
Derweil verändert sich der Markt durch die immer größere Dominanz professioneller Investoren sichtlich: Die Volatilität von Bitcoin ist auf einem Rekordtief.
“Ist es schon zu spät?” – Psychologische Hürden und Fehlannahmen
Woran liegt diese Zurückhaltung? Ein entscheidender Faktor ist die Wahrnehmung vieler Kleinanleger, den optimalen Zeitpunkt verpasst zu haben. “Ich denke, die magische Zahl ist 100.000 US-Dollar. Jetzt denken die Leute, der Zug ist abgefahren, es ist zu spät”, berichtet Ghoos aus Gesprächen im privaten Umfeld. Diese Einstellung wird durch Stimmen aus der Community bestätigt. So erklärt die Bitcoin-Influencerin Lindsay Stamp, viele würden “den Kurs von einem Bitcoin sehen und denken sich: Ich hab den Anschluss verpasst”.
Dieses Missverständnis – Bitcoin sei nur als ganzer Coin kaufbar – hält sich hartnäckig. “Die Menschen haben die Vorstellung, dass man einen Bitcoin als Ganzes kauft”, so Ghoos gegenüber BTC-ECHO. Durch die Teilbarkeit in Satoshis können auch mit kleinen Beträgen Bruchteile von Bitcoin erworben werden. Doch diese fundamentale Info erreicht viele noch nicht. Ghoos stellt klar: “Jeder kann noch in Krypto investieren. Es ist nie zu spät”.
Neben der gefühlten zu hohen Einstiegshürde spielen auch Angst und Unsicherheit eine Rolle. Die Nachwehen des letzten Krypto-Winters – von Börsencrashs bis hin zu FTX – sitzen tief. In einer Umfrage von 2024 gaben fast zwei Drittel der Amerikaner an, wenig bis gar kein Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit von Kryptowährungen zu haben. Rund 78 Prozent fühlen sich insgesamt unwohl bei dem Gedanken, ihr Geld in Bitcoin anzulegen. Gründe dafür sind die hohe Volatilität, fehlendes Verständnis der Technologie und Sorge vor Betrug oder Regulierungsrisiken. Besonders ältere Anlegerinnen und Anleger und diejenigen ohne Krypto-Erfahrung stehen Bitcoin skeptisch gegenüber. Diese Bedenken dämpfen die Bereitschaft, überhaupt den ersten Schritt zu wagen.

Bildungsdefizit und komplizierte Onramps
Ein weiterer Hemmschuh ist die nach wie vor steile Lernkurve. Ghoos merkt an, die Krypto-Branche müsse dringend in Bildungsarbeit investieren. Viele potenzielle Investoren verstehen schlicht nicht, wie man Bitcoin kauft, verwahrt oder welche Strategien sinnvoll sind. Ohne grundlegendes Know-how bleibt das Vertrauen gering.
Hier setzen inzwischen zahlreiche Initiativen an: von einfacheren Investment-Apps über verständliche Informationsportale bis hin zu seriösen Influencern, die Einsteigertipps geben. Auch große Börsen wie OKX versuchen, mit lokalisierten Angeboten und Kunden-Support in Landessprache die Hürden zu senken. Dennoch bleibt das Gefälle bestehen: Wer nicht ohnehin affin oder jung und risikofreudig ist, scheut oft den Aufwand, sich in Kryptowährungen einzuarbeiten. Ghoos kennt das aus dem Bekanntenkreis: “Wenn ich mit Familie oder Freunden spreche, sagen sie, über 100.000 US-Dollar – das kann ich doch nicht mehr kaufen.” Hier gilt es anzusetzen, um falsche Vorstellungen abzubauen. Denn in Bitcoin kannst du schon ab einem US-Dollar investieren.
Kommt die Retail-Welle noch?
Die große Frage lautet: Bleiben Privatanleger für immer draußen – oder kommen sie doch noch? Historisch gesehen war es oft so, dass die breite Masse erst ganz am Ende einer Rally eingestiegen ist, getrieben von FOMO und Medienhype. Experten sehen genau darin das aktuelle Potenzial: Weil Retail noch fehlt, könnte der laufende Bullenmarkt noch weiter Raum nach oben haben. Sobald die Schlagzeilen vom “Bitcoin-Millionär von nebenan” oder neuen Preisrekorden noch lauter werden, könnte es wieder losgehen.
Allerdings warnt Ghoos vor fatalistischem Zögern: Es sei schade, wenn Leute glaubten, der Zug sei abgefahren – denn es ist nie zu spät, um einzusteigen. Letztlich könnte sich genau diese Zurückhaltung für Geduldige als Segen erweisen: Solange die Massen an der Seitenlinie stehen, ist der Markt nicht überhitzt.

Quellen
- Umfrage zu Krypto-Confidence
- Lindsay Stamp auf X
- Kein Retail Hype weit und breit
- Short-term Holder Supply auf Bitcoin Magazine Pro