Ende Januar arbeiteten laut einer Studie 114 Länder an einer digitalen Zentralbankwährung. In der EU untersucht die Europäische Zentralbank (EZB) derzeit die mögliche Einführung eines digitalen Euros. In der Krypto-Community sind CBDCs allerdings umstritten. Die einen loben sie als günstige Alternative für den internationalen Zahlungsverkehr, andere fürchten um ihre Privatsphäre. Dabei sei das Thema “eine Frage des politischen Willens”, meint Dr. Jonas Gross von der Digital Euro Association. Was der CBDC-Experte damit genau meint, erklärt er im Interview mit BTC-ECHO.
BTC-ECHO: Was sind für dich die Ideale von Krypto?
Jonas Gross: Bei Bitcoin schätze ich vor allem die Knappheit. Dazu kommt dann noch die Zensurresistenz und der Open-Source-Gedanke. Das sind Themen, die konkrete Probleme lösen und so zu einer gerechteren Gesellschaft beitragen.
Ich würde mich selbst nicht als Bitcoin-Maximalist bezeichnen, eher als Realist. Für mich haben andere Projekte unter bestimmten Bedingungen ebenfalls einen Platz im Ökosystem verdient. Ich schaue mir beispielsweise auch Stablecoins, den digitalen Euro als CBDC der Eurozone und andere CBDCs an. Ich finde generelle Projekte im Zahlungsverkehr spannend, wenn sie Use Cases haben und Antworten auf konkrete Probleme finden.
Du hast die Punkte Zensurresistenz und Knappheit genannt. Werden diese Ideale nicht durch CBDCs gefährdet?
CBDCs haben nicht das Ziel, Knappheit zu gewährleisten. Auch wird ein CBDC-System weniger offen sein als etwa Bitcoin. Die Ideale, die ich für Bitcoin genannt habe, wird eine CBDC nicht erfüllen. Das ist aber auch nicht das Ziel. Ich finde den Vergleich aber auch nicht wirklich passend, weil die Use Cases einfach unterschiedlich sind.
Für viele steht China in diesem Kontext als großes Negativbeispiel dar, vor allem wegen mangelnder Privatsphäre. Welche Learnings zieht Europa daraus?
Das Thema Privatsphäre ist für den digitalen Euro super wichtig. Es hat in Europa einen anderen Stellenwert als China.
Man kann eine CBDC aber auch privater entwickeln und der CBDC die gleiche Privatsphäre geben wie Cash. Von kompletter Anonymität über bestimmte Schwellenwerten für anonymen bis hin zu transparenten Zahlungen, da gibt es verschiedene technologische Möglichkeiten. Somit ist der Grad an Privatsphäre keine technologische Frage, sondern eher eine Frage des politischen Willens. Anstatt CBDCs zu verteufeln, sollte man sich meiner Meinung nach in die Diskussion einbringen und sich für mehr Privatsphäre einsetzen.
Was wären das für Möglichkeiten?
Ein Thema wären Zero-Knowledge-Proofs. Da hatten wir damals ein Konzept ausgearbeitet und einigen Zentralbanken präsentiert. Es gibt aber auch blinde Signaturen, wie bei David Chaums E-Cash. Nicht zuletzt kann man aber auch über Secure Hardware-Elements, also kleine Chips, mehr Privatsphäre ermöglichen.
Konterkariert das nicht den Gedanken, den Zentralbanken bei CBDCs verfolgen, vor allem hinsichtlich Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung? Da wird es doch bestimmt Limits geben.
Ja, hundertprozentig. Das ist auch der Ansatz, den sowohl wir als Autoren der Studie als auch die Digital Euro Association für den E-Euro vorschlagen. Komplette Anonymität bis zu einem bestimmten Limit, und zwar wirklich anonym, getreu dem Motto: Don’t trust, verify. Aber nur bis zu einer bestimmten Schwelle, ab der sich die Person dann auch KYCen muss. Das wird vielen Bitcoiner zwar nicht gefallen, das Thema Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung ist aber einfach zu wichtig.
Die EZB arbeitet derzeit an einem digitalen Euro. Wie ist denn der aktuelle Entwicklungsstand?
Die EZB befindet sich in einer Untersuchungsphase. Die startete formell im Oktober 2021 und läuft noch bis Oktober 2023. Da geht es vor allem um mögliche Designs, die der E-Euro haben könnte. Es geht unter anderem um die Ausgestaltung der Privatsphäre, wie Zahlungen gesettelt werden und welche Rollen Banken dabei spielen sollen. Es gibt viele Diskussionen mit Stakeholdern, Verbänden, Kreditinstituten. Nach der Phase entscheidet der Rat, wie es mit dem Projekt weitergehen soll.
Ist da eine Richtung schon erkennbar?
Offiziell hat sich die EZB noch nicht entschieden, ob sie wirklich einen digitalen Euro eines Tages tatsächlich ausgeben wird. Mein Gefühl sagt mir jedoch, dass der digitale Euro kommen wird, auch wegen der politischen Tragweite. Ich hoffe allerdings, dass sich vor allem beim Privatsphäre-Thema noch etwas tut.
Stellt sich die EZB bei dem Thema aktuell quer?
Nein, sie kann sich prinzipiell schon vorstellen, einen solchen Limit-Ansatz zu verfolgen. Das hat sie in entsprechenden Publikationen bereits kommuniziert. Das würde aber wahrscheinlich erst in einer der Folgeversion des digitalen Euro eintreten. Aus der kommunikativen Perspektive finde ich das etwas schwierig, den Bürger zu überzeugen, dass die CBDC ab einem bestimmten Zeitpunkt auf einmal eine höhere Privatsphäre bietet. Zumal es ja für alle Länder der Eurozone gelten wird.
Gibt eine CBDC einer Zentralbank oder auch Regierungen nicht zu viel Macht über die Bürger?
Das ist natürlich die fundamentale Frage. Ich glaube nicht, dass es in Zukunft die eine Geldform geben wird, die überlebt. Da wird es mehrere geben, die im Wettbewerb miteinander stehen.
Ich teile auch nicht das Narrativ von Kritikern, dass eine CBDC bald kommt und mittelfristig das Bargeld abgeschafft wird. Natürlich verliert Bargeld in der Gesellschaft immer mehr als Zahlungsmittel an Bedeutung, beschleunigt auch durch die Pandemie. Das kann eine Negativ-Spirale in Gang setzen. Wenn die Leute es nicht mehr nutzen, bieten es immer weniger Shops an. Versetzt euch mal in eine Welt, in der Bargeld kaum mehr Verbreitung hat und wir eine CBDC haben, die keine Anonymität bei Zahlungen zulässt. Eine solche Welt, in der die Privatsphäre bei Zahlungen gering ist, ist meiner Meinung nach nicht erstrebenswert. Ich bin ein Fan von digitalen Währungen an sich, ich zahle aber trotzdem fast alles mit Bargeld, weil ich die Privatsphäre schätze.
Vielen Dank für das Gespräch.
Disclaimer: Dieses Interview entstand in Zusammenarbeit mit BTC-ECHO-Redakteur Dominic Döllel.