Dollarisierung vorbei? El Salvador: Die wahren Gründe der lateinamerikanischen Bitcoin-Revolution

Diesen Mittwoch, am 9. Juni 2021, wurde Bitcoin zum offiziellen Zahlungsmittel in El Salvador durch den amtierenden Präsidenten Nayib Bukele erklärt. Auch Regierungsvertreter anderer lateinamerikanischer Staaten wie Paraguay, Mexico oder Panama ließen verlauten, dass sie ebenfalls mit der Bitcoin-Integration liebäugeln. Was die wirklichen Gründe für die Krypto-Begeisterung in den lateinamerikanischen Staaten sind und welche langfristigen Folgen dies für die Bitcoin-Etablierung hat.

Sven Wagenknecht
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Bitcoin Lateinamerika

Beitragsbild: Shutterstock

Viele lateinamerikanische Staaten stecken in ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Hohe Staatsschulden und signifikante Geldentwertungen haben vielerorts das Vertrauen in die staatlichen Währungen ruiniert: Man denke an die vielen Schuldenschnitte Argentiniens oder die Hyperinflation in Venezuela. In der Verzweiflung können Staaten zu außergewöhnlichen Maßnahmen greifen. Einen neuen Ausweg, um dem monetären Teufelskreis zu entkommen, sieht man in der Etablierung eines neuen Geldsystems namens Bitcoin.

El Salvador führt lateinamerikanische Bitcoin-Revolution an

In El Salvador soll Bitcoin nicht nur gesetzliches Zahlungsmittel, sondern auch Teil eines ganzen Wirtschaftsprogramms werden. Dass es im Gegensatz zu Venezuelas misslungenem Petro ICO klappen kann, liegt allen voran daran, dass es explizit nicht um eine staatliche Kryptowährung geht – niemand verlangt von den Menschen, dass sie dem Staat oder der Zentralbank von El Salvador neues Vertrauen schenken müssen.

In wohlhabenden Ländern mit einer stabilen Währung mag dies nur schwer zu verstehen sein. Schließlich haben sich Euro oder Schweizer Franken über Jahre hinweg als stabile Währung erwiesen. Dieses Vertrauen konnte allerdings in vielen lateinamerikanischen Ländern nie aufgebaut werden. Zu präsent sind für die meisten Menschen die ständigen Entwertungen ihrer Landeswährung. Wie im Beispiel El Salvadors bleibt dann oftmals nur noch die Nutzung einer Fremdwährung, ergo dem US-Dollar. Dass nun Währungsreformen durchgeführt werden, die das heimische Währungssystem entpolitisieren, ist eine Chance für El Salvador und andere lateinamerikanische Länder mit vergleichbaren Problemen.

Aus der Not eine Tugend machen

Während es in Deutschland aktuell nur wenige Gründe gibt, warum man aus Kosten- und Effizienzgesichtspunkten mit Bitcoin bezahlen sollte, ist dies in El Salvador nicht der Fall. Rund 70 Prozent der Menschen dort besitzen gar kein Bankkonto und können nicht auf die Finanzinfrastruktur zurückgreifen, die für uns selbstverständlich ist. Die Folge ist, dass Zahlungen aus dem Ausland durch Expats, die enorm wichtig für die heimische Wirtschaft sind, durch massive Gebühren der Remittance-Dienstleister – teils 20 Prozent der Transaktionssumme – wie MoneyGram oder Western Union geschmälert werden.

Ein funktionierendes Bankensystem aufzubauen, wäre für das kleine Land viel zu teuer. Aus der Not können daher schlanke Finanzinfrastrukturen auf Blockchain-Basis einen enormen Mehrwert bieten. Der Zugang zu Krediten sowie die Möglichkeit zu sparen, sind schließlich existenziell, um eine Volkswirtschaft zu entwickeln. Aus der Not kann so eine Tugend gemacht werden. Anstatt sich an veralteten Finanzinfrastrukturen aufzuhalten, kann man im Sinne einer Sprunginnovation direkt ein zeitgemäßes Finanzsystem aufbauen.

Ergänzen, nicht ersetzen

Das bestehende System wird nicht ersetzt, sondern lediglich durch Bitcoin ergänzt. Der US-Dollar als Landeswährung bleibt also bestehen, auch wenn es perspektivisch einen Annahmezwang geben soll, der gleichermaßen für Bitcoin gelten soll.

Vielmehr fungiert Bitcoin als zweites Fangnetz. Die Kryptwährung ermöglicht eine größere Unabhängigkeit vom US-Dollar und kann zur Stabilisierung der Wirtschaft beitragen, indem die Menschen eine Ausweichmöglichkeit bekommen. Zumal man im Gegensatz zu klassischen Fiatwährungen auf eine signifikante Aufwertung spekulieren kann. Auch der Staat kann zum Investor werden und durch Akkumulation von Bitcoin dafür sorgen, dass private Haushalte, Unternehmen und öffentliche Kassen von Vermögenszuwächsen profitieren. Wenn man also seine Stromrechnung beim lokalen Versorgungswerk via BTC bezahlt, dann werden, sofern kein unmittelbarer Umtausch stattfindet, Bitcoin-Bestände aufgebaut, die zu einer Wertsteigerung führen können. Passend hierzu auch die Werbung vom Präsidenten El Salvadors, indem er darauf hinweist, dass die günstigen und regenerativen Energien im Land hervorragend geeignet seien, um Krypto-Mining-Anlagen zu errichten.

Man mag dies als verantwortungslos bezeichnen, allerdings ist jede währungspolitische Aktion respektive jede Währungsreform mit einem großen Risiko verbunden. Unter Abwägung der ohnehin risikoreichen Optionen mögen die Chancen die Risiken überwiegen.

Oh wie schön ist Panama: Worum es wirklich geht

Selbst wenn die einzelnen Regierungsverantwortlichen von lateinamerikanischen Ländern Bitcoin-Enthusiasten sein mögen und eine US-Dollar-Alternative begrüßen, dürfte ein entscheidender Faktor für die Bitcoin-Begeisterung ein anderer sein. Dass sich auch Panama sehr positiv auf die Bitcoin-Pläne von El Salvador geäußert hat, deutet darauf hin, dass das Thema Steuern eine zentrale Rolle spielen könnte. Die Steueroase Panama war auch schon vor den sogenannten “Panama Papers” bekannt für ihre “gutmütige” Finanz- und Steuerpolitik.

Schließlich umfasst die Bitcoin-Legalisierung in El Salvador auch eine Abschaffung der Steuern für Kryptowährungen. Ohne Umschweife erklärte daher der panamaische Kongressabgeordnete Gabriel Silva, dass Panama auf keinen Fall im Krypto-Steuerwettbewerb zurückfallen darf. Panama wird im neuen Krypto-Steuer-Standortwettbewerb also wahrscheinlich ebenfalls Schritte unternehmen, um Krypto-Finanzgeschäfte für ausländische Anleger und Unternehmen attraktiv zu machen.

El Salvador “kleiner” als das Saarland

Es geht also auch um Standortpolitik und die Hoffnung, durch attraktive Steuergesetze Unternehmen sowie Kapital ins Land zu holen. Die Hebelwirkung kann für die kleinen Nationen enorm sein. Schließlich beträgt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von EL Salvador gerade einmal 27 Milliarden US-Dollar, das von Paraguay 37 Milliarden US-Dollar und selbst Panama kommt auf lediglich 67 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: Selbst das Saarland bringt es auf umgerechnet 41 Milliarden US-Dollar. Entsprechend unbeeindruckt haben aber auch die Märkte auf die Meldung reagiert.

Vielmehr werden diese von Nachrichten aus den USA und China beeinflusst. Das aktuell harte Vorgehen Chinas gegen die Krypto-Industrie sowie die Zins-Aussagen von Fed-Chefin Janet Yellen respektive die gestiegenen US-Renditen haben einen deutlich größeren Einfluss auf den BTC-Kurs als Staaten, deren BIP gerade einmal ein Bruchteil der Bitcoin-Marktkapitalisierung ausmacht. Dennoch sollten die langfristigen Effekte nicht unterschätzt werden.

Sollte es zu Teilerfolgen durch die Geldreform in El Salvador kommen, dann könnten auch größere Staaten wie beispielsweise Argentinien oder Brasilien folgen. Auch der mexikanische Regierungsvertreter Eduardo Murat Hinojosa wurde vom staatlichen Bitcoin-Fieber erfasst. So vermeldete er auf Twitter, dass für Mexiko ebenfalls ein äquivalentes Gesetz ausgearbeitet werden soll. Spätestens, wenn Länder aus den G20 Bitcoin als offizielles Zahlungsmittel akzeptieren – Brasilien, Mexico und Argentinien gehören dazu –, dürfte der Effekt auf die Märkte signifikant sein.

US-Dollar als Leidtragender

Sollte El Salvador nun einen Bitcoin-Dominoeffekt auslösen, dann hätten die USA am meisten darunter zu leiden. Schließlich zirkulieren viele US-Dollars in Lateinamerika. Wenn durch Ausweichbewegungen die Auslandsnachfrage nach US-Dollar sinkt, bedeutet das eine Schwächung der USA. Schließlich ist der Leitwährungsstatus des US-Dollar ein wichtiger Bestandteil der amerikanischen Dominanz. Entsprechend bleibt nur zu hoffen, dass die USA die lateinamerikanischen Länder nicht unter Druck setzen, von der Bitcoin-Einführung abzusehen.

Mit dem 9. Juni 2021 gibt es von nun an nicht nur einen neuen Feiertag unter Krypto-Enthusiasten, sondern wurde auch ein essenzieller Etappensieg für die vollumfängliche Bitcoin-Anerkennung eingefahren. Die Tatsache, dass ein souveräner Staat Bitcoin zu seiner Staatswährung erklärt, hat weitreichende (positive) Folgen für die Anerkennung Bitcoins als ernstzunehmende Währungsalternative durch andere Staaten, Institutionen und Banken.

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