Die Dosis Hopium in Krisenzeiten: Dank Stock-to-Flow-Ratio soll der Bitcoin-Kurs mit dem Halving zu neuen Höhen steigen. Ebenso soll DeFi und spätestens der Wechsel zu Proof-of-Stake Ethereum neue Kursmaxima bescheren.
Möglich, dass dem tatsächlich so ist. Wenn das jedoch die gesamte Wahrheit wäre, stellt sich, wie vor einiger Zeit Rene Pickhardt schon feststellte, eine Frage: Warum verkaufen Investoren noch Bitcoin und Co.? Der Grund ist klar: Weil aktuell die Spekulation noch überwiegt.
Die Spekulation ist zweifelsohne ein zentraler Bestandteil der Preisfindung. Doch wann ist diese Phase vorbei? Auch kurzfristig ist immer wieder von Interesse, zu sehen, ob ein börsennotierter Kurs eher von wildem Spekulatentum herrührt, oder ob langfristige Anleger einen stärkeren Einfluss auf die Preisfindung haben.
MVRV: Das Verhältnis aus Marktapitalisierung und realisierter Kapitalisierung
Wie jedoch die Spreu vom Weizen trennen? Im Krypto-Bereich soll die Antwort in Indikatoren liegen, die sowohl die Preisfindung als auch die On-Chain-Dynamik eines Krypto-Assets betrachten. Ein Beispiel hierfür ist der MVRV-Indikator. Dieser Indikator, den wir schon in älteren Artikeln erwähnten, misst das Verhältnis zwischen Marktkapitalisierung und realisierter Kapitalisierung.
Die Marktkapitalisierung ist einfach erklärt. Sie ist das Produkt aus vorhandener Menge und aktuellem Kurs. In Formelsprache ausgedrückt, würde es einfach eine Summe der Kurse bedeuten, wobei die Anzahl der Summanden gleich dem Supply ist:
Die realisierte Kapitalisierung sucht nach einer intelligenteren Bewertung, indem sie die Kurse aller den Supply bildenden Kurse zum Zeitpunkt ihrer letzten Bewegung aufsummiert. In Formelsprache ausgedrückt bedeutet das, dass die für die einzelnen Token auf der betrachteten Blockchain die Kurse zu verschiedenen Zeitpunkten schaut:
Wenn also ein Bitcoin das letzte Mal vor 5 Jahren bewegt wurde, wird für diesen ein Kurs wie vor fünf Jahren angesetzt.
Meditiert man etwas über diese Definitionen, sieht man, dass die realisierte Kapitalisierung das On-Chain-Verhalten Bitcoins mehr im Blick hat als die Marktkapitalisierung. Auf unsere ursprüngliche Frage bezogen kann man also die Marktkapitalisierung als ein Maß sehen, welches eher für die Spekulanten interessant ist, während die realisierte Kapitalisierung ein Maß ist, welches den Wert misst, den Langzeitinvestoren in dem Asset sehen. Das Verhältnis beider Werte könnte nun ein Maß dafür angeben, welche Investorengruppe – Spekulanten oder Hodler – den Markt aktuell dominieren.
Und genau dies versucht das MVRV-Verhältnis. Es ist der Quotient aus Marktkapitalisierung (Market Value) und realisierter Kapitalisierung (oder Realized Value). Ein MVRV über eins würde entsprechend bedeuten, dass aktuell der Markt von Spekulanten getrieben wird. Ein MVRV unter eins hingegen würde dafür sprechen, dass Langzeit-Investoren den Markt dominieren. Doch Vorsicht: Werte unter eins bedeuten auch, dass aktuell Langzeit-Investoren Verluste machen, bedeutet doch ein kleiner MVRV, dass die Marktkapitalisierung kleiner als die realisierte Kapitalisierung ist. Das wiederum bedeutet, dass die Token-Kurse bei ihrer letzten Bewegung unter dem aktuellen Kurs liegen. Es kann eine Möglichkeit sein, einzukaufen, auscashen sollte man in diesen Zeiten jedoch nicht.
Wie kann man den MVRV bezüglich Investment-Verhalten bewerten?
Das alles klingt einleuchtend, aber grau ist alle Theorie. Schauen wir deshalb genauer auf verschiedene Assetklassen. Wir möchten uns dabei auf „Bitcoin-ähnliche“ Kryptowährungen beschränken.
Das Bild von Bitcoin ist soweit bekannt:
Wir sehen verschiedene Eigenschaften:
- Das MVRV-Verhältnis erreicht mit jeweiligen Kursmaxima einen Höhepunkt. Wir sehen scharfe Peaks jeweils bei den Höhepunkten von Bullenmärkten.
- Im Kontrast dazu scheint der Boden eines Bärenmarkts erreicht zu sein, wenn der MVRV unter 1 fällt.
Wir sehen also scharfe Spikes bei Bullen – und breite Böden bei Bärenmärkten. An sich nachvollziehbar: Die Spikes sind in erster Linie durch das Verhalten der Marktkapitalisierung definiert. Diese verhält sich deutlich verrauschter als die realisierte Kapitalisierung. Umgekehrt ist der Haupteinfluss auf die Bodenbildung in erster Linie die realisierte Kapitalisierung, deren Änderung deutlich träger ist.
Eine weitere Beobachtung bietet sich an: Für Zeiten, in welchen der MVRV unter 1 ist, können wir von einem Bärenmarkt sprechen. Umgekehrt kann man einen Bullenmarkt als die Zeit definieren, in der das MVRV-Verhältnis über 1 liegt.
Für Bitcoin sehen wir dementsprechend größtenteils einen gesunden Zyklus zwischen Bullen- und Bärenmärkten sehen. Dreimal konnte der Bitcoin-Kurs einen Zyklus aus Bären- und Bullenmarkt durchlaufen. Bezogen auf das Investment-Verhalten werden Bullenmärkte von Spekulanten dominiert, während in Bärenmärkten Langzeit-Investoren das Sagen haben.
Bitcoin: Eine Bewegung in Zyklen
Soweit zum MVRV mit Blick auf Bitcoin. Können wir dieses Verhältnis auch bei anderen Kryptowährungen nutzen? Um das zu diskutieren, schauen wir auf Bitcoin und seine zwei größten Forks Bitcoin Cash und Bitcoin SV. Auch bezüglich der Halvings, die Bitcoin Cash und Bitcoin SV jüngst hinter sich brachten, kann eine derartige Betrachtung interessant sein.
Das Bild von Bitcoin ist bekannt:
Der Kurssturz ließ den MVRV temporär in bearishe Gefilde fallen. Spekulanten verließen also den Markt. Interessant ist, dass der MVRV Bitcoins nun nicht längerfristig in diesen bearishen Gefilden blieb. Jedes Absinken unter 1 wurde zuvor mit einer langen Durststrecke in diesem Bereich abgeschlossen. Es kann sein, dass hier das bald anstehende Halving eine Rolle spielt, welches gerade auch für Spekulanten interessante Aussichten sein können.
Bitcoin Cash: Keine Rallye nach Halving?
Ob diese Hoffnung wirklich begründet ist? Möglich, aber Bitcoin Cash stimmt da kritisch:
Der MVRV von Bitcoin Cash liegt trotz Halving weiter unter 1. Zwar war temporär ein Ansteigen des Verhältnisses zwischen den beiden Kapitalisierungen zu sehen, jedoch fiel es seit dem Halving wieder ab. Klar: positiv ist, dass Spekulanten Bitcoin Cash nicht für sich entdeckt haben, Zeichen eines kommenden Bullenmarkts sieht man jedoch auch nicht.
Das mag zwei Gründe haben: Zum Einen mag es für Bitcoin Cash eine schwierige Situation sein. Anders als bei Bitcoin wissen Miner im Bitcoin-Cash-Umfeld, dass es eine ähnliche Kryptowährung mit einer ähnlichen Hash Rate und ungefähr demselben Kurs gibt. Sie nennt sich Bitcoin SV. Ziehen Modelle wie Stock to Flow dann überhaupt noch? Fest steht, dass Miner die Möglichkeit hatten, temporär zu anderen Proof-of-Work-basierten Kryptowährungen zu wechseln.
Zum Zweiten führt Bitcoin Cash, obgleich es eine der größten Kryptowährungen ist, neben Bitcoin und Bitcoin SV eher ein Schattendasein. Bitcoin selbst ist als Mutter aller Kryptowährungen auch vielen Investoren jenseits des Krypto-Marktes ein Begriff, während Bitcoin SV mit Craig Wright als Galleonsfigur genügend Investoren besitzt, die auf jede Äußerung von und jedes positive Gerücht um den angeblichen Satoshi Nakamoto mit einem „All-In“ reagieren. Sicher, es existieren auch normale, langfristig denkende Investoren, die sich an der Entwicklertätigkeit eines _unwriter oder ähnlichen visionären Developern freuen, doch wird sicherlich das Narrativ „Craig Wright is Satoshi Nakamoto“ für viele ein Lockmittel sein.
Bitcoin SV: Die Marke Craig Wright zieht
Kann diese These eines eher von Spekulanten getriebenen BSV-Marktes aufrecht erhalten werden? Das MVRV-Verhältnis spricht jedenfalls eine derartige Sprache:
Seit Anfang 2019 bewegt sich der MVRV von Bitcoin Cash im positiven Bereich. Die Stimmung der Investoren ist also, trotz allem, positiv und der Markt gemäß der obigen Interpretationen primär von Spekulanten dominiert.
Der MVRV – ein kleines Tool zur Bewertung der aktuellen Marktsituation im Bitcoin-Ökosystem
Wie man sieht, kann der MVRV für eine schnelle Abschätzung der Marktstimmung und des Marktverhaltens genutzt werden. Das Verhältnis zwischen Marktkapitalisierung und realer Kapitalisierung kann viel über die aktuelle Marktstimmung (bullish oder bearish) aussagen. Ebenso kann er helfen, um zu sehen, ob der Markt durch Spekulanten dominiert ist oder nicht.
Natürlich hat er auch seine Grenzen. Die realisierte Kapitalisierung erfasst nicht den Handel auf einer Börse. Ebenso wird das Verhalten in Off-Chain-Lösungen wie Liquid oder dem Lightning Network nicht erfasst. Wie jeder andere Indikator ist der MVRV damit ein weiteres interessantes Tool für den Analysten, aber nicht das einzige Hilfsmittel, auf dass er zurückgreifen sollte.