Um ein Auseinanderbrechen der europäischen Wirtschaft und Staatspleiten zu verhindern, ist die Europäische Zentralbank gezwungen, die Zinsen unten zu halten – oder zumindest einen negativen Realzins zu gewährleisten. Dadurch provoziert die EZB nicht nur einen Anlagenotstand, da es kaum noch positiv verzinsliche Staatsanleihen gibt, sondern drückt auch die Zinsmarge der Kreditinstitute. Vor allem Sparkassen und Volksbanken, die oft mehr als dreiviertel ihrer Erträge durch die Vergabe von Krediten generieren, entzieht man damit immer mehr die Geschäftsgrundlage.
Doch auch Privatbanken wie Commerzbank oder Deutsche Bank können nur schwer eine sinkende Zinsmarge durch andere Geschäftszweige wie das Wertpapiergeschäft kompensieren. Zumal auch hier die Margen immer weiter unter Druck geraten. Sei es durch immer margenärmere Finanzprodukte wie ETFs, zunehmende Konkurrenz aus dem FinTech-Bereich oder eben ein Anleihegeschäft, das immer weniger Zinsen abwirft. Stellenkürzungen in großem Stil sind die Folge.
Kommen dann noch makroökonomische Turbulenzen hinzukommen, die hohe Kreditausfälle verursachen, dann stößt die ohnehin schon niedrige Eigenkapitalquote vieler Institute schnell an ihre Grenzen. Doch die Lage ist nicht nur aus makroökonomischer Sicht ernst.
Technischer Wandel: Mehr Floskel als Verständnis
So scheint es vielen Banken immer noch nicht bewusst zu sein, dass sie vor dem größten Strukturwandel aller Zeiten stehen. Was das Internet mit der Musikbranche oder dem Verlagswesen gemacht hat, droht nun dem Finanzsektor. Anstatt um die reine Informations- und Kommunikationsebene wie bislang in der Internetökonomie, geht es jetzt um neue Infrastrukturen für unser Geld und unsere Vermögenswerte.
Konkret sind damit die drei wichtigsten Kernfunktionen einer Bank betroffen: Zahlungsverkehr, Kredit und Verwahrung. Darüber hinaus schließen sich weitere Funktionen wie das Wertpapiergeschäft an, dessen Infrastrukturen ebenfalls in diesem Jahrzehnt grundlegend umgestellt werden.
E-Euro und Facebooks Diem brauchen neue Infrastrukturen
Konkret wird mit der Umstellung auf digitales Zentralbankgeld auch die Infrastruktur auf das neue Medium Token angepasst. Sowohl ein digitaler Euro im Sinne einer Central Bank Digital Currency (CBDC) als auch in privater Form durch einen Stablecoin müssen dann in neue und programmierbare Infrastrukturen eingebettet werden. Jede Bank muss mit Blockchain-artigen Infrastrukturen – auch wenn diese nur wenig mit einer offenen Blockchain à la Bitcoin zu tun haben – zurechtkommen. Sei es für den Zahlungsverkehr oder das Kredit- und Wertpapiergeschäft.
Schließlich bedingt diese Umstellung auch eine Abkehr von der bisherigen Urkundenpflicht. Immer weniger Wertpapiere werden in den nächsten Jahren noch über die alte Infrastruktur abgewickel werdent.
Sind unsere Behörden innovativer als unsere Banken?
Erst im Dezember hatte die Bundesregierung mit ihrem Gesetz zu elektronischen Wertpapieren einen ersten Schritt getätigt. Bereits im ersten Quartal 2021 dürften damit vollends digitale Schuldverschreibungen auch vor dem Gesetz via Token und Blockchain-Register ausgetauscht werden. Langfristig bedeutet dies, dass das Wertpapierdepot der Zukunft auch eine Wallet-Funktion benötigt, um digitale Wertpapiere (Security Token) verwahren zu können. Äquivalente Umstellungen durch eine Token-bedingte Entmaterialisierung und Automatisierung, bei der Smart Contracts manuelle Vorgänge ersetzen, sind nur eine Frage der Zeit. Wie groß dabei die Einsparpotentiale sind, hatte bereits eine kleine Studie von den FinTechs Finoa und Cashlink gezeigt.
Mit den zunehmenden regulatorischen Rahmenbedingungen wird der Weg für eine token- und blockchainbasierte Finanzökonomie frei. Aktuell sieht es dabei nicht so aus, dass die gegenwärtigen Marktanteile bei den bisher dominierenden Banken verbleiben. Zwar gibt es einzelne Zahlungsverkehrspiloten mit Stablecoins und bei der Commerzbank findet ein Teil der Wertpapierabwicklung über eine Distributed-Ledger-Infrastruktur statt. Doch das ist zu wenig, um mit der Innovationsdynamik aus dem FinTechs respektive Blockchain-Sektor mithalten zu können.
Neue Geschäftsmodelle für Banken, ohne Wenn und Aber
Eine Konsequenz dieses technologischen Transformationsprozesses sind auch neue Geschäftsmodelle. Sei es das Staking von Kryptowährungen oder die digitale Wertpapieremission von Kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Jede Universalbank, die es ernst mit digitaler Innovation meint – damit sind mehr als cool eingerichtete Innovations Hubs in Berlin gemeint – sollte bereits heute Blockchain-Projekte für jeden der genannten Kernbereiche einer Bank, zumindest in Kooperation mit einem FinTech, vorweisen können.
Genauso wie eine Deutsche Telekom bereits mit Staking herumexperimentiert, muss sich auch eine Deutsche Bank Fragen, wie Staking das Anlagegeschäft ergänzen und wie das Firmenkundengeschäft durch die Tokenisierung von GmbH-Anteilen neue Einnahmequellen erschließen kann. Auch wenn Staking und Tokenisierung im Jahr 2021 wirtschaftlich praktisch noch irrelevant sind, deutet alles darauf hin, dass sich dies in diesem Jahrzehnt ändern wird. Gleiches gilt für das sogenannte Crypto Lending, also dezentrale Kredite, deren Volumen ebenfalls noch irrelevant ist, was sich aber ebenfalls in den nächsten Jahren ändern könnte.
Jeder sollte sich dabei den Werdegang von Bitcoin vor Augen führen, der vor wenigen Jahren ebenfalls noch ökonomisch ohne jede Bedeutung und infrastrukturell unerschlossen war. Heute hat er sich hingegen einen Platz im traditionellen Finanzmarkt erkämpft. Die neueren Krypto-Phänomene wie Staking oder Krypto-Lending stehen da, wo Bitcoin vor ein paar Jahren, 2013 oder 2014, stand.
Zentral meets dezentral
Neben den klassischen CeFi-Angeboten, also Finanzdienstleistungen, die zentral von einem Intermediär bereitgestellt werden, wird sich auch der DeFi-Bereich weiterentwickeln. Diese dezentral organisierten Finanzdienstleistungen werden das zentral organisierte Bankgeschäft so schnell zwar nicht ersetzen, sehr wohl aber ergänzen. Konkret ist also damit zu rechnen, dass Marktanteile auf dezentrale Finanzprotokolle übergehen.
Wäre eine gewisse Disruptionsbereitschaft gegeben, dann könnte man auch als Bank eigene dezentrale Protokolle entwickeln, um Standards mitzuprägen und an der neuen Wertschöpfungsinfrastruktur zu partizipieren. Auch auf die Gefahr hin, dass man die eigenen Wertschöpfungsketten damit angreift, würde diese proaktive Ergänzung zum bestehenden Geschäft, die zukünftige Überlebenswahrscheinlichkeit massiv erhöhen. Es findet eine Verschmelzung zwischen dem traditionellen Banking und der Krypto-Ökonomie statt. Umso früher man das als Bank versteht, desto eher sollte man es schaffen Marktanteile zu halten und Arbeitsplätze zu retten.
Digitales Banking – Programmcode ersetzt Personal
Digitalisierungsverständnis bedeutet nicht, dass man das physische, papierhafte Sparbuch digitalisiert. Stattdessen muss man verstehen, wie künstliche Intelligenz und Blockchain-Technologie die meisten Tätigkeiten in einer Bank ersetzen. Bereits heute hält die Automatisierung von Backoffice-Tätigkeiten Einzug in die Finanzbranche. Auch das Aussterben der Bankfilialen hat schon lange vor Blockchain und Robo Advisors angefangen und beschleunigt sich nun – auch durch den zusätzlichen makroökonomischen Druck – ein weiteres Mal. Neben neuen Geschäftsmodellen ist die Verschlankung der Infrastrukturen oberstes Gebot. Eine Bank, die auch in zehn Jahren noch aus eigener Kraft profitabel arbeiten möchte, wird langfristig nicht darum herumkommen, die aktuellen Mitarbeiterzahlen um 50 Prozent oder mehr zu reduzieren.
Auf der anderen Seite müssen die vorhandenen Ressourcen radikal in die technologische Weiterentwicklung investiert werden. Mit Ressourcen ist auch die Fähigkeit gemeint, zum Null- oder Negativzins bei den Zentralbanken Kapital aufzunehmen. Dieses Geld kann man wiederum nutzen, um beispielsweise smarte Developer anzustellen, Übernahmen von innovativen FinTechs zu finanzieren, Beratungsdienstleistungen einzukaufen und den Personalabbau möglichst sozial gerecht zu gestalten.