Dem Krypto-Standort Deutschland könnte ein massiver Attraktivitätsverlust drohen. Grund dafür: Ein scheinbar angespanntes Verhältnis zwischen Teilen der Krypto-Industrie und der Finanzaufsicht BaFin. Das zumindest berichten mehrere mit der Angelegenheit vertraute Personen gegenüber BTC-ECHO, die allesamt anonym bleiben wollen. Im Kern geht es um vermeintlich rechtswidrige Praktiken der Behörde im Zuge des Genehmigungsprozesses für eine Kryptoverwahrlizenzen. Doch was ist eigentlich passiert und welche Auswirkungen hat der Zwist auf den Krypto-Standort Deutschland? Hat die BaFin gar ein strukturelles Problem, wenn es um die Beaufsichtigung von Krypto-Unternehmen geht? Und was sagt die Behörde zu den Vorwürfen?
Um die dicke Luft zwischen der Branche und der Behörde nachvollziehen zu können, ist es zunächst wichtig, zu verstehen, was die Kryptoverwahrlizenz überhaupt ist: Wer Kunden in Deutschland die Verwahrung von Kryptowährungen anbieten will, benötigt eine entsprechende Erlaubnis der BaFin. Laut Datenbank der Behörde verfügen aktuell zehn Firmen über eine solche Lizenz. Zwei weitere Genehmigungen gab es zudem für die Großbanken Commerzbank und die V-Bank durch die Europäische Zentralbank.
Durch die Kryptoverwahrlizenz will der Gesetzgeber sicherstellen, dass Unternehmen beispielsweise Kunden-Assets strikt vom eigenen Betriebsvermögen trennen, um ein Fiasko wie bei FTX zu vermeiden.
In der Theorie lief der Prozess so: Als die Erlaubnispflicht für Kryptoverwahrung 2020 eingeführt wurde, zeigten die Unternehmen der BaFin an, dass sie dieses Geschäft bereits in der Vergangenheit ausgeübt haben. Hierdurch gelangten sie in eine Übergangsfrist, innerhalb derer sie einen Erlaubnisantrag stellen konnten. Bis zum Abschluss der Prüfung durften sie ihren Geschäftsbetrieb fortsetzen. Grundsätzlich sollte nach einer Prüfzeit von zwölf Monaten darüber entschieden sein, ob der Antrag bewilligt oder abgelehnt wird.
In der Praxis sei hier aber in mehreren Fällen deutlich von dieser Frist abgewichen worden, sagen Kritiker. BTC-ECHO ist mindestens ein Fall bekannt, bei dem nach Antragstellung 2020 über eineinhalb Jahre keine Rückmeldung seitens der BaFin erfolgte. Nach über drei Jahren Wartezeit empfahl die Behörde dann, den Antrag doch besser zurückzuziehen. Dem hätte das betroffene Unternehmen zwar nicht folgen müssen, hätte dann aber mit einer formellen Ablehnung der Behörde leben müssen, was nicht nur einen Imageschaden, sondern auch rechtliche Konsequenzen auf einen Neuantrag nach sich gezogen hätte. Einmal abgelehnt, wäre eine erneute Beantragung nicht möglich gewesen und hätte auch negative Auswirkungen für einen MiCA-Antrag bedeutet.
Der Sachverhalt scheint jedoch kein Einzelfall. Bereits im Dezember sprach BTC-ECHO mit Antragstellern, die von ähnlichen Erlebnissen mit der BaFin berichteten. Sie erzählten von Einschüchterungsversuchen, Drohungen und mangelnder Kommunikation im Allgemeinen.
Wie viele Krypto-Anträge sind noch offen?
Wie viele Unternehmen insgesamt Anträge zurückzogen, ist nicht bekannt. Es gibt kein öffentliches Register, wie viele Anträge der Finanzaufsicht überhaupt zur Bearbeitung vorlagen. Die BaFin soll verschiedenen Akteuren auf Nachfrage keine Auskunft zu dem Sachverhalt gegeben haben. Auch auf Nachfragen von BTC-ECHO bat die Behörde um Verständnis, “dass die BaFin grundsätzlich keine Zahlen zu eingegangenen Erlaubnisanträgen veröffentlicht”.
BTC-ECHO weiß jedoch aus Kreisen der Behörde, dass im März noch etwa zehn Anträge der BaFin zur Prüfung vorlagen. Im Mai sollen Mitarbeiter am Rande eines Treffens im Bundestag zum Finanzmarktdigitalisierungsgesetz (FinmadiG) erklärt haben, dass sich die Anzahl der offenen Anträge auf drei reduziert habe. Sofern die Zahlen korrekt sind, bedeutet dies, dass in nur zwei Monaten sieben Unternehmen ihren Antrag zurückzogen. Eine Genehmigung gab es laut BaFin-Datenbank in diesem Zeitraum nicht. Grund für den plötzlichen Rückgang könnte eine interne Deadline der BaFin sein. Wie Quellen aus dem Umfeld der BaFin berichten, sollen die Anträge zur Kryptoverwahrlizenz bis zum 30. Juni abgearbeitet sein.
Strukturelle Probleme bei der BaFin?
Sowohl die lange Bearbeitungszeit der Anträge als auch die plötzlichen Empfehlungen zur Rücknahme werfen Fragen zum Zustand der BaFin auf. Wie kann es sein, dass eine Behörde unter einem Finanzministerium, das sich offen für den Ausbau des Krypto-Standorts Deutschland ausspricht, bei der Genehmigung der Anträge so im Verzug zu sein scheint? Ein Blick in die Strukturen der BaFin könnte Antworten liefern.
Die Aufsicht ist in mehrere Referate aufgeteilt, die sich den verschiedenen Sektoren der Finanzbranche widmen. Ein Großteil der Krypto-Industrie wird dabei vom Referat “ZK4” beaufsichtigt. Die Abteilung ist Dreh- und Angelpunkt bei der Vergabe der Kryptoverwahrlizenzen.
Dem Referat soll es allerdings an kompetentem Personal mangeln. Es gebe “einige Wenige, die massiv das kompensieren, was andere nicht leisten”, erzählt eine Quelle aus dem Kreis der Behörde gegenüber BTC-ECHO. Andere berichten von Entlassungen oder freiwilligen Kündigungen seitens der Mitarbeiter. Und auch die Führungsebene sei in den letzten drei Jahren dreimal gewechselt worden.
Neben dem Fachkräftemangel nennen Kritiker aber auch fehlende Anreize für Mitarbeiter der BaFin als Grund, warum Anträge nicht lösungsorientiert zum Erfolg gebracht werden. So gebe es weder Bonuszahlungen noch bessere Aufstiegschancen innerhalb der Behörde. Stattdessen überwiege die Angst vor Fehlern, die im Zweifel negative Auswirkungen auf die eigene Karriere (vor allem im höheren Dienst) nach sich zöge. Eine Folge des Wirecard-Skandals, wie manche vermuten. Für Kritiker drängt sich der Eindruck auf, als wolle die BaFin sich an Krypto nicht die Finger verbrennen.
In Summe lähmten diese Probleme den Genehmigungsprozess und schmälerten allgemein die Wettbewerbsfähigkeit der BaFin mit anderen Aufsichtsbehörden der EU, sagen die Kritiker. Vor allem mit Hinblick auf die kommende MiCA-Regulierung könnte der deutsche Krypto-Standort so an Attraktivität verlieren.
Das sagt die BaFin
Die BaFin widerspricht den Vorwürfen vehement. In ihrer Antwort auf unsere Anfrage weist die Behörde darauf hin, dass sich die Zahl der mit der Thematik befassten Beschäftigten “erheblich erhöht” habe. Im Moment gäbe es im Referat “ZK4” eine “zweistellige Anzahl” an Mitarbeitern, die sich mit der Prüfung von Krypto-Unternehmen beschäftigten. Die Finanzaufsicht hält zudem auch weitere Personalaufstockungen bei Bedarf für möglich.
Zur Fachkompetenz der Mitarbeiter heißt es:
Die Beschäftigten der BaFin im Kryptobereich verfügen über das erforderliche Fachwissen, das sie sich durch ihre Ausbildung, ihre bisherige berufliche Tätigkeit und durch Fortbildungen nachweisbar erworben haben.
BaFin gegenüber BTC-ECHO
Einen Rückstand zu anderen Aufsichtsbehörden sehe die BaFin nicht.
Aber warum hat der Prüfprozess sich so lange gezogen? In manchen Fällen zog sich die Prüfung über Jahre. Dazu sagt die BaFin:
Im Erlaubnisverfahren für das Kryptoverwahrgeschäft sind die Erlaubnisunterlagen in den allermeisten Fällen unvollständig, so dass wir teils mehrfach Informationen und Unterlagen nachfordern müssen.
Zum Teil waren umfangreiche Abstimmungen mit und Nachfragen bei den Antragstellern erforderlich, z.B. aufgrund mangelnder Qualität der Unterlagen. Das beeinträchtigt die Verfahrensdauer.
BaFin gegenüber BTC-ECHO
Laut der Behörde seien zudem manche Antragsteller erstmalig mit der Umsetzung und Einhaltung aufsichtsrechtlicher Vorgaben konfrontiert gewesen, was ebenfalls Auswirkungen auf die Dauer des Prüfprozesses gehabt hätte.
Streitpunkt “Vollständigkeit”
Aber gerade bei dem Punkt über die Vollständigkeit der Unterlagen herrscht zwischen den Parteien Uneinigkeit. Vonseiten der Unternehmen heißt es, dass auch bei der vorläufigen Erlaubnispflicht, die während der Übergangsfrist in Anspruch genommen werden konnte, der eingereichte Antrag vollständig sein musste. Und tatsächlich fordert der Gesetzestext als Voraussetzung für eine vorläufige Lizenz einen “vollständigen Erlaubnisantrag”. Widerspricht dieser Umstand dann nicht der Argumentation der BaFin, dass die Anträge “unvollständig” seien? Ein Sprecher der BaFin schreibt dazu auf Anfrage:
Die BaFin hat bei den Instituten, welche die Übergangsregelung des § 64y KWG in Anspruch genommen haben, die Erlaubnisanträge zunächst insbesondere unter formalen Gesichtspunkten beurteilt. Eine vertiefte materielle Prüfung, bei der dann häufig Unvollständigkeiten aufgefallen sind, erfolgte erst im Nachgang.
BaFin gegenüber BTC-ECHO
Der Umstand der nachträglichen materiellen Prüfung sei tatsächlich eine Entscheidung “zugunsten der Unternehmen” gewesen, damit diese ihr Geschäft zunächst fortführen konnten, heißt es weiter.
Abschließend betont die BaFin:
Eine BaFin-Erlaubnis muss ein Gütesiegel sein, das für Seriosität steht. Bei Krypto-Dienstleistungen müssen die spezifischen Risiken angemessen berücksichtigt werden, z.B. in der Geschäftsorganisation und der Mindestkapitalausstattung. Das spiegelt sich auch in der Länge der Erlaubnisverfahren wider.
BaFin gegenüber BTC-ECHO
Krypto-Unternehmen kehren Deutschland den Rücken
Der Plan der betroffenen Unternehmen lautet nun, zu warten, bis die Beantragung einer MiCA-Lizenz möglich ist. Die Krypto-Verordnung der Europäischen Union trat im Sommer vergangenen Jahres in Kraft und soll effektiv ab dem ersten Quartal 2025 angewendet werden. Sie erlegt Krypto-Unternehmen verschiedene Regeln auf, was beispielsweise die Verwahrung von Assets, Rücklagen bei Stablecoins oder allgemeine Whitepaper-Pflichten angeht. Die Lizenz kann in einem beliebigen EU-Mitgliedstaat beantragt werden und gilt dann für die komplette Wirtschaftszone. Die Aufsicht übernimmt im Regelfall die Behörde, bei der der Antrag eingereicht wurde. Bei besonders großen Krypto-Unternehmen übernehmen die Aufgabe entweder die europäische Bankenaufsicht EBA oder die Börsenaufsicht ESMA.
Der Umstand, dass die Unternehmen, die eigentlich in der Bundesrepublik, den Weg regulatorisch mit der BaFin begleiten wollten, nun den Exodus ins EU-Ausland suchen, hat verschiedene Konsequenzen – sowohl für die Firmen als auch für den deutschen Krypto-Standort.
Auf der Unternehmensseite muss der Geschäftsbetrieb zunächst ruhen. Das bedeutet nicht nur Umsatzeinbußen, sondern im Zweifel auch den Verlust von Kunden, wie das jüngste Beispiel rund um Bitvavo verdeutlicht. Die niederländische Krypto-Börse zog Ende April ihren Antrag auf eine Kryptoverwahrlizenz zurück und stellte das Geschäft in Deutschland ein. Kunden mussten sich nach Alternativen umsehen. Bitvavo erklärte zwar, über MiCA zurückkehren zu wollen. Die Rückgewinnung der Kunden könnte sich jedoch als schwierig erweisen.
Wie hoch der finanzielle Schaden ausfällt, lässt sich nicht eindeutig sagen und unterscheidet sich sicherlich von Fall zu Fall. Er dürfte aber in die Millionen gehen.
Für den deutschen Krypto-Standort bedeutet der Weggang der Unternehmen aber in jedem Fall einen Verlust von Tech-Talenten. Kritiker meinen: die BaFin hätte eine Chance vertan, ein Krypto-Ökosystem aufzubauen, das sie direkt beaufsichtigt hätte. Die Unternehmen gehen nun ins Ausland und entziehen sich damit dem direkten Zugriff der Behörde. Diesen Trend bestätigt uns auch der Krypto-Anwalt Alireza Siadat: “2020 hatte ich noch viele internationale Player erfolgreich nach Deutschland gebracht, heute empfehle ich meinen Mandanten Österreich.”
Die BaFin beobachte bei deutschen lizensierten Instituten oder Antragstellern zumindest “keine massiven Abwanderungstendezen”. Wie es um diejenigen steht, die ihre Anträge zurückzogen haben, dazu gab es keine Antwort. So oder so: Der Traum vom Krypto-freundlichen Standort Deutschland scheint für einige geplatzt zu sein.