Doppelmoral Können digitaler Euro und Bargeld koexistieren?

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat vergangene Woche ihren Bericht zum digitalen Euro veröffentlicht. Wer Tatendrang und Visionen erwartet hat, wurde enttäuscht. Warum es keinen anonymen digitalen Euro geben wird, was Cannabis und private Währungen gemein haben und warum wir selbst und nicht der Staat für die Abschaffung von Bargeld verantwortlich sind.

Sven Wagenknecht
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Geschreddertes Bargeld (Euro)

Beitragsbild: Shutterstock

Die EZB ist alles andere als schnell, wenn es darum es einen klaren Fahrplan für digitales Zentralbankgeld (CBDC) aufzusetzen. Man ist sich in Frankfurt lediglich einig, dass man Klarheit schaffen möchte und dass der digitale Euro nicht anonym sein soll, wie aus dem letzte Woche veröffentlichten Bericht der EZB hervorgeht. Der Umstand, dass die EZB einerseits keinen wirklichen Plan hat, wie sie eine digitale Zentralbankwährung konkret umsetzen möchte, aber auf der anderen Seite bereits jetzt schon ausschließt, dass die Privatsphäre ähnlich dem Bargeld geschützt wird, kommt nicht von ungefähr.

Kontrolle ist oberste Maxime

Im Gegenteil: Das Handeln der Notenbanken ist absolut nachvollziehbar. Ihre Aufgabe ist es schließlich, das Geldmonopol des Staates durchzusetzen, das sie wiederum als eigenständige Institution verkörpern. Dass sie dieses nun verteidigen, indem sie sich gegen anonymes Zentralbankgeld und Stable Coins aussprechen, ist aus ihrer Sicht sinnvoll. Transaktionsströme nachvollziehen zu können heißt vor allem, die Kontrolle zu behalten. Sowohl Kryptowährungen und Stable Coins als auch anonymes digitales Zentralbankgeld stehen dem entgegen.

Zumal man nicht vergessen darf, dass es nicht primär die Notenbank ist, die ein Interesse an den Informationen hat, sondern der Staat. Die Notenbank fungiert als verlängerter Arm des Staates, wenn auch in einer Demokratie formal unabhängig.

Europol, EU-Finanzminister und EZB ziehen an einem Strang

Aus diesem Grund ziehen beispielsweise Finanzminister Olaf Scholz und EZB-Chefin Christine Lagarde in puncto „Privatsphäre-Fragen“ an einem Strang. Man nimmt eine kritische Haltung gegenüber Stable Coins und insbesondere gegenüber Libra ein – wir haben darüber berichtet.

Um diesen Effekt zu verstärken, ergänzen sich nicht nur Finanzminister und Notenbanker, sondern auch andere Regulierungsbehörden in der EU. So kommt Europol in seinem neusten Bericht zur Internetkriminalität von letzter Woche zu dem Ergebnis, dass anonyme Kryptowährungen – so genannte Privacy Coins – Wallets und Markplätze zu den größten Bedrohungen im Kontext der Internet-Kriminalität gehören.

Insbesondere die Unterstützung von Strafverfolgungsbehörden und der Verweis auf Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Terrorismusfinanzierung wirken als Policy-Verstärker. Natürlich sind die Aspekte nicht aus der Luft gegriffen. Die Krypto-Ökonomie bietet Raum für kriminellen Missbrauch. Deshalb ist es richtig, dass sich die entsprechenden Institutionen auch kritisch damit auseinandersetzen. Dennoch entsteht der Eindruck, dass man mit Totschlagargumenten arbeitet, die eine differenzierte Betrachtung außen vorlassen.

Zumal an der Stelle darauf hingewiesen werden kann, dass unter anderem Geldwäsche nicht per se eine Frage des Transaktions-Mediums beziehungsweise Kanals ist. Die geleakten FinCEN Files dokumentieren verdächtige Transaktionen internationaler Großbanken im Wert von 1,69 Billionen Euro. Bargeld und andere anonyme Zahlungsmethoden sind weniger das Problem als die Missachtung der Vorschriften und Anti-Geldwäsche-Gesetze etablierter Finanzhäuser.

Cannabis und anonymes Geld

Das Unterdrücken von anonymen CBDC oder Stable Coins, die nicht unter staatlicher Kontrolle stehen, verursacht Ausweichbewegungen. Anstatt Anonymität in Maßen und damit Privatsphäre zuzulassen, indem man einen rechtlichen Rahmen für Privatsphäre-schonende Anwendungen findet, schafft man einen Graubereich.

Dabei kann man Parallelen zwischen Privacy Coins und Cannabis ziehen. Anstatt Cannabis zu legalisieren und unter staatliche Aufsicht zu stellen, muss man in Deutschland Cannabis immer noch illegal beim Dealer erwerben. Anstatt Steuereinnahmen, valide Daten und Verbraucherschutz zu ermöglichen, entstehen dadurch hohe Kosten, die vermeidbar wären. Gleiches gilt für Währungen mit einem hohen Privatsphäreschutz. Man kann diese in eine regulierte Zahlungsinfrastruktur integrieren, die in gerichtlich angeordneten Extremfällen eine Strafverfolgung vorsieht, aber sonst nahezu anonymes Bezahlen ermöglicht.

Die richtige Regulierung hat vor allem mit Augenmaß zu tun. Es geht nicht darum, die Vorbehalte der Behörden klein zu reden. Dennoch dürfen Innovation und Freiheitsstreben nicht in einem regulatorischen Korsett zu Tode erstickt werden.

Die Abschaffung von Bargeld: Der wahrscheinlichste Weg

Es ist davon auszugehen, dass das Bargeld nicht unmittelbar, wie von manchen befürchtet, abgeschafft wird. Zumal das Bargeld fest im Gesetz verankert ist und man es nicht mal eben in die Geschichtsbücher katapultiert kann. Stattdessen wird es zusätzlich einen digitalen Euro geben, der klar bevorteilt wird gegenüber Alternativen – bis sein analoges Pendant schließlich obsolet wird.

Auch in zehn Jahren wird man trotz der massiven ökonomischen Verwerfungen, die uns in den nächsten Jahren drohen, frei über Bargeld, Bitcoin und Gold in Europa verfügen können. Sogar Stable Coins wie Libra wird man letztlich nicht vollends verbieten. Trotz aller planwirtschaftlichen Tendenzen befindet leben wir immer noch in einer demokratischen Welt, die maßgeblich von den großen Internetkonzernen geprägt ist. Wenn Facebook und Co. eine digitale Währung herausbringen möchten, dann werden sie das auch tun. Das Ergebnis wird ein großer Kompromiss zwischen Staat und Internetkonzern sein.

Bargeld rutscht in die Bedeutungslosigkeit ab

Weder der Staat noch Facebook haben ein Interesse an Privatsphäre, geschweige denn Bargeld. Entsprechend wird man sich einigen und dafür andere Mitbewerber-Alternativen, wie Privacy Coins und anonyme DeFi-Anwendungen, klein halten.

Zumindest beim Bargeld wird dies nicht über Verbote geschehen – weil es gar nicht nötig ist, Bargeld zu verbieten. Zum einen ist die Digitalisierung ein übergeordneter Trend, der ganz von alleine elektronische Bezahlweisen fördert. In Zukunft werden schlichtweg die Schnittstellen für Bargeldzahlungen fehlen, wenn sich unsere Finanzinfrastruktur weiter digitalisiert und automatisiert. Der einzige und letzte Smart Contract, der mit Bargeld funktioniert, ist der im Geld- oder Zigarettenautomaten.

Zum anderen hat man bereits das Bezahlen mit Bargeld eingeschränkt. So werden große Banknoten nicht mehr ausgegeben und Bezahllimits für Bargeld stetig eingeführt. Angebot und Nachfrage nach Bargeld regulieren sich dadurch ganz von alleine gen Süden. Das bedeutet, dass immer weniger Menschen mit Bargeld zahlen und gleichzeitig Händler in Zukunft Bargeld komplett streichen können.

Wer bereits heute in manchen skandinavischen Gegenden ein Bier bestellen möchte, der kann dies oft nur mit Karte machen. Bargeld wird nicht mehr überall akzeptiert. Aber auch hierzulande bevorzugen immer mehr Menschen die Karten- respektive Smartphone-Zahlung. Der Wunsch nach Privatsphäre ist nicht so groß wie der Wunsch nach Bequemlichkeit. Wenn digitales Bezahlen bequemer ist, wird Bargeld folglich noch weiter an Relevanz verlieren, zumal die Hürden mit Bargeld zu zahlen gleichzeitig steigen werden.

Wir sind selbst Schuld

Auch wenn es im Interesse des Staates ist nicht-anonyme Bezahlformen zu etablieren, so müssen wir uns den Vorwurf gefallen lassen, selbst für die Abschaffung der Privatsphäre verantwortlich zu sein. Wer sich via Facebook bei diversen Online-Plattformen anmeldet, den Restaurantbesuch mit EC-Karte bezahlt und Privacy Coins wie Monero bestenfalls zum spekulieren an Krypto-Börsen verwendet, der braucht sich nicht wundern. Durch unser Handeln fördern wir so Tendenzen, die mit einer Abschaffung der Privatsphäre einhergehen.

Man kann bezweifeln, dass das Gros der Bevölkerung etwas dagegen hat, wenn der digitale Euro keine Anonymität zulässt und wir Bargeld bald nur noch im Geldmuseum finden werden – als gäsenerner

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