Viele Anleger verstehen die Welt nicht mehr: die Weltwirtschaft gleitet in eine Rezession und trotzdem steigen die Aktienkurse. Auch die Aussage von Fed-Notenbankchef Jerome Paul, dass die US-Wirtschaft im zweiten Quartal um bis zu 30 Prozent schrumpfen könnte, scheint den Markt nicht zu interessieren.
Da an der Börse nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft gehandelt wird, kann man den Rückschluss ziehen, dass die Börsianer von einem Weltuntergang ausgegangen sind und sich nun freuen, dass es „nur“ zur größten Wirtschaftsrezession seit der großen Depression von 1929 kommt. Zumal die Folgen der noch kommenden Kredit-Ausfälle in den nächsten Monaten noch gar nicht abzusehen sind.
Real- vs. Finanzwirtschaft
Allerdings ist unklar, ob die Börsenteilnehmer von einer realwirtschaftlichen Erholung ausgehen oder lediglich von Aktienkursen, die durch Geldmengenausweitung gestützt werden. Das viele Geld der Notenbanken muss schließlich angelegt werden. Auch hat man eine stabilitätsorientierte Geldpolitik von Seiten der Notenbanken gezwungenermaßen endgültig begraben. Kein schlechtes Börsenumfeld.
Anders als vielleicht in der Schule oder im Wirtschaftsstudium gelernt, spielen fundamentale, ergo realwirtschaftliche Faktoren wie Arbeitslosenzahlen oder Industrieproduktion nur noch eine untergeordnete Rolle. Eine Entwicklung, die sich auch schon vor Corona abgezeichnet hatte, nun aber offensichtlicher denn je wird.
Wie lange diese Abkopplung noch gut geht, kann niemand mit Sicherheit sagen. Nicht umsonst wird die aktuelle Erholungs-Rallye als eine der meistgehassten Rallyes der letzten Jahre von einigen Marktteilnehmern bezeichnet. Schließlich sind viele, die nach fundamentalen und nicht geldpolitischen Analysekriterien gehen, nicht long dabei.
Bitcoin: Beim Reaktionstest ganz vorne dabei
Schnell kommt man daher zu der Annahme, dass die aktuellen Börsenkurse nicht fundamental gerechtfertigt sind. Sollte die erhoffte V-Erholung ausbleiben und nicht unentwegt neue „Munition“ von Notenbanken nachgelegt werden, dann dürfte es auch schnell wieder nach unten gehen. In diesem Kontext mag man sich die Frage stellen, wie der Bitcoin-Kurs und der Krypto-Markt in diesem Umfeld einzuordnen sind.
Es lässt sich nicht bestreiten, dass sich Bitcoin mit einer Marktkapitalisierung von rund 180 Milliarden US-Dollar nicht vollkommen aus dem Finanzgeschehen raushalten kann. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass Bitcoin auf volkswirtschaftliche respektive externe Impulse reagiert und wie alle anderen Assets auch in die Tiefe gestürzt ist.
Dabei fällt auf, dass Bitcoin besonders schnell und heftig in beide Richtungen reagiert. Vom 6. März 2020 bei rund 9.200 US-Dollar ist Bitcoin zur Corona-Hochzeit in nur zehn Tagen auf rund 4.600 US-Dollar abgestürzt. Diesen 50-Prozent-Einbruch hat Bitcoin in seiner anschließenden Erholungsrallye wieder komplett wettgemacht und sich innerhalb von zwei Monaten vollständig auf Vor-Corona-Niveau erholt.
Bitcoin erfüllt damit die Kriterien eines sehr liquiden und volatilen Assets, das fundamental nicht nachhaltig von dem Ereignis (Corona-Krise) betroffen ist. Sollte es also wieder zu einem erneuten Einbruch kommen, dann wäre es nicht unwahrscheinlich, dass Bitcoin wieder besonders stark fällt, um anschließend zu einer besonders starken Erholung anzusetzen.
Geldpolitik: Deshalb geht Bitcoin vorerst leer aus
Wenn nun die Geldmenge weiter angehoben wird, müsste theoretisch auch der Bitcoin-Kurs steigen, mag man denken. Grundsätzlich ist an dieser Annahme, sofern man Bitcoin als Gegenentwurf zum Fiatgeldsystem betrachtet, auch nichts falsch. Sehr wohl falsch ist es aber, eine unmittelbare Auswirkung wie bei den traditionellen Finanzmärkten anzunehmen.
Kauft die Notenbanken Anleihen oder gar Aktien, dann hat das eine stützende Funktion für DAX & Co. Auch tragen institutionelle Anleger im Zuge des billigen Geldes zur unmittelbaren Stützung der Kurse bei. Genau dieser Umstand gilt aber nicht für Bitcoin. Verständlicherweise profitiert Bitcoin also nicht direkt vom Notenbankgeld. Wenn man so will ein unfaires Spiel, das die Kurse verzerrt. Schließlich sind die Kurse am traditionellen Finanzmarkt „gedopt“, während sich der Krypto-Markt nur auf „natürliche Weise“ beweisen kann.
Jeder manipuliert auf seine Weise
Auch wenn der Krypto-Markt alles andere als reguliert und frei von Manipulation ist – man denke hier nur an Wash Trading oder den Einfluss der Bitcoin-Wale – so gewinnt er zumindest in diesem Punkt das Vertrauen der Anleger. Keine Notenbank dieser Welt kann die Kurse am Krypto-Markt so steuern wie sie es aktuell mit den traditionellen Börsen macht. Trotz Wash Trading und einflussreichen Bitcoin-Walen, erscheinen die Kurse von Bitcoin, zumindest relativ gesehen, als weniger manipuliert als die des aktuellen Aktienmarktes. Mit zunehmenden Rettungspaketen von Notenbanken und Staaten, dürfte genau dieser Vertrauenswechsel hin zu Bitcoin angeheizt werden.
Umso mehr verfängt bei Bitcoin das Narrativ des Safe Haven, das während der Corona-Krise zu Missverständnissen geführt hatte. So wurde die Annahme enttäuscht, dass Bitcoin sofort steigen müsste, wenn die Börsen zusammenbrechen. Dies war natürlich nicht der Fall, da sich auch Bitcoin solch extremen Abverkäufen gen Fiatwährungen nicht entziehen kann. An dem Sicheren-Hafen-Narrativ auf mittel- bis langfristige Sicht, hat sich hingegen nichts geändert. Kein anderes Asset dürfte so stark von den finanzpolitischen Auswirkungen der Corona-Krise profitieren wie Bitcoin.
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