Nach rund 19 Jahren Investmentbanking bei J.P. Morgan hat sich Olaf Hannemann dazu entschieden, sich ganz auf das Thema Blockchain und Krypto einzulassen. Als Co-Founder vom namhaften Krypto-Wagniskapitalunternehmen CV VC kann er gut beurteilen, wie es um die finanzielle Verfassung der Start-up-Szene bestellt ist. Auf dem World Venture Forum in Kitzbühel haben wir ihn deshalb zum Interview getroffen, um mehr über die aktuelle Lage und seine Insights zum Sektor zu erfahren.
BTC-ECHO: Du warst fast 19 Jahre als Investmentbanker bei J.P. Morgan, bis zum Jahr 2016, tätig. Seitdem widmest du dich dem Blockchain-Sektor. Wie hat sich deine Sicht auf das Finanzsystem in der Zwischenzeit verändert?
Olaf Hannemann: Meine Ansichten haben sich nicht wesentlich geändert. Banken, Versicherungen und Finanzdienstleister bleiben wichtig, könnten aber effizienter sein. Gute Dienstleistungen dürfen ruhig etwas kosten. Liberalisierung und Zugänglichkeit für mehr Investorengruppen sind ebenfalls wichtig. Der Schutz von Anlegern ist heute weniger mein Fokus, da es viele Bereiche gibt, in denen Konsumenten ebenfalls nicht geschützt werden. Früher war ich ein starker Befürworter des Anlegerschutzes, aber heute denke ich, dass dieser oft nur professionelle Investoren schützt, während in anderen Bereichen des Konsumverhaltens, wie Autokrediten oder Glücksspiel, keine solchen Maßnahmen bestehen.
Wie ist die aktuelle Lage im Venture-Capital-Markt im Kryptobereich?
Wir konzentrieren uns auf klassische, langfristige Risikokapital-Investitionen, sowohl in Equity als auch in Token von Start-ups. Der Markt zeigt sich optimistisch, aber vorsichtig. Das bedeutet, dass die Zurückhaltung weiter zurückgeht und auch die Bewertungen wieder ansteigen. Die hohen Zinsen beeinflussen eher die Kryptowährungen und weniger die Equity-Investments in Early-Stage-Start-ups. Mittelmäßige Projekte haben es schwerer als noch im Hype-Jahr 2021. Dafür können frühphasige Projekte, wenn auch nur selektiv, ziemlich hohe Bewertungen erreichen.
Es ist ganz normal, dass viele Start-ups scheitern. Kannst du diesbezüglich Veränderungen ausmachen?
Unsere Portfoliounternehmen nutzen neben klassischer VC-Finanzierung auch Fördergelder und Grants, um sich zu finanzieren, was Verwässerung vermeidet. Die Failure-Rate ist aktuell schwer zu beurteilen, aber die Qualität steigt, sodass schlechtere Projekte gar nicht erst starten. Wir haben bisher keine signifikanten Veränderungen in unseren Abschreibungsraten festgestellt, auch da wir noch relativ früh in vielen Projekten sind.
Im Venture-Capital-Bereich gilt ein Investitionszeitraum von fünf bis zehn Jahren als normal. Verändert sich dieser durch die hohe Dynamik im Krypto-Sektor?
Im Equity-Bereich bleiben klassische Zyklen relevant. Token-Investitionen haben sich durch längere Vesting-Perioden etwas verlängert, aber auch nachhaltiger entwickelt. Heute sind zwei Zyklen nötig, um den langfristigen Erfolg eines Projekts zu bewerten. Traditionelle Risikokapital-Zyklen verlängern sich, aber es wird zukünftig mehr Möglichkeiten geben, eine Firma an größere Investoren zu verkaufen.
Gibt es Themen oder Technologien, die für dich aktuell besonders interessant sind?
Real World Assets sind aktuell ein großes Thema, wobei wir hier vorsichtig sind. Infrastrukturthemen wie Decentralized Social, Physical Infrastructure Networks und Decentralized Science and Health sind für uns spannend. Dezentralisierte Geschäftsmodelle bieten noch viel Potenzial, wobei wirklich gute Infrastrukturlösungen langfristig entscheidend sein werden, um gute Anwendungen zu entwickeln. Trotz vieler Hype-Themen bleibt die Umsetzung im großen Stil aktuell oft schwierig.
Welche Rolle spielt die MiCA-Regulierung für eure Investitionen?
MiCA sorgt für mehr Klarheit, was gut für Europa ist. Wir investieren global und prüfen, wo unsere Projekte tätig sein dürfen. Start-ups sind flexibel in ihrer Standortwahl und suchen sich die Regionen mit den besten Bedingungen aus. MiCA ist für uns relevant, wenn es um die Geschäftstätigkeit in verschiedenen EU-Ländern geht.
Welche Regionen findest du aktuell besonders spannend für Investitionen?
Afrika bietet interessante Möglichkeiten im Bereich „Banking the Unbanked“ und Smart Cities. Die spannendsten Projekte global kommen für uns aktuell aus den USA und aus Europa. Asien ist weniger in unserem Fokus, da wir noch nicht so nah am Markt sind. Grundsätzlich investieren wir in Regionen, wo wir uns nah am Markt fühlen, die Kommunikation auf sprachlicher und kultureller Ebene passt und spannende Projekte vorhanden sind. Das ist für uns im Moment hauptsächlich Europa, Nordamerika und Afrika.