Gastbeitrag Tokenisierung: Chancen für den Energiemarkt

In seinem Gastbeitrag widmet sich Prof. Dr. Christof Weinhardt vom Karlsruher Institut für Technologie dem Themenspektrum der Tokenisierung und klärt die Frage, welche Chancen das Feld für den Energiemarkt biete.

Christof Weinhardt
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Energie

Beitragsbild: Shutterstock

Energienetze im Wandel

Um die durch Klimawandel verursachte Erderwärmung zu begrenzen, ist eine Dekarbonisierung unserer Energieversorgung unerlässlich. Die damit verbundenen weltweiten Anstrengungen zur Erzeugung erneuerbarer Energien führen zu einem Wandel der Energiesysteme. Große Kohle- und Atomkraftwerke werden zunehmend durch Wind- und Solarparks, aber auch in immer größerem Maße durch dezentrale Energieerzeugungsanlagen ersetzt. Mithilfe von Biomasse oder privaten Solaranlagen kann Strom lokal produziert und durch eine Elektrifizierung des Energiebedarfs insgesamt z.B. durch Elektrofahrzeuge auch lokal flexibel verbraucht werden. Setzt man beide Systeme richtig ein, können dezentrale Energiesysteme dabei helfen, Lastspitzen im Netz zu senken und Kosten für den Netzausbau zu verringern. Denn aktuell wird erneuerbarer Strom in Deutschland hauptsächlich von großen Windparks im Norden erzeugt, aber vor allem im industrieschweren Süden benötigt. Dies erfordert den Bau großer Nord-Süd-Stromtrassen, die zum einen viel Geld Kosten, zum anderen insbesondere bei der Bevölkerung unbeliebt sind. Hier besteht also ein großes Potenzial für den Einsatz dezentraler Flexibilitäten. Einsatzmöglichkeiten für Tokenisierung bestehen im Energienetz insbesondere in der Abwicklung solcher dezentralen Märkte und in der Koordination von Nachfrageflexibilitäten und Erzeugungsspitzen.

Tokenisierung ist die digitale Abbildung von Vermögenswerten

Tokenisierung ist ein Prozess, bei dem Vermögenswerte durch digitale Token abgebildet werden. Diese Token können auf einer Blockchain transferiert, gespeichert oder verändert werden und stellen die Eigentumsverhältnisse des Vermögenswerts dar. Damit ist der Begriff der Tokenisierung nicht auf einen einzelnen Markt, wie beispielsweise den Energiemarkt, beschränkt. Es können sowohl physische, als auch nicht-physische Vermögenswerte tokenisiert werden. Bekannte Anwendungsfälle für Tokenisierung sind die digitalen Abbildungen von Immobilien und Rohstoffen, Patent- und Lizenzrechten, Schuldverschreibungen, sowie Kunstgegenständen und anderen Luxusgütern.

Tokenisierung ermöglicht neue Märkte, erhöht Markteffizienz und schafft klare Eigentumsververhältnisse

Es gibt zahlreiche Vorteile von Tokenisierung. Sie erleichtert den Handel mit Vermögenswerten, die zuvor nur schwer oder gar nicht gehandelt werden konnten, wie z.B. digitaler Kunst oder von Echtzeitzertifikaten erneuerbarer Erzeugung. Tokenisierung schafft damit nicht nur neue Märkte, sondern erhöht auch die Liquidität in zuvor illiquiden Märkten. Investoren haben zudem die Möglichkeit, einen Teil eines unteilbaren Vermögenswertes unkompliziert zu erwerben. Durch den direkten Transfer auf der Blockchain fallen Intermediäre weg, was die Markteffizienz erhöht. Außerdem wird der Handel mit Vermögenswerten sicherer. Die Blockchain ist ein öffentliches und unveränderliches Register, in dem die Eigentumsverhältnisse von Vermögenswerten eindeutig geklärt sind und jederzeit eingesehen werden können.

Tokenisierung ermöglicht eine sichere Abwicklung dezentraler Energiemärkte

Auf lokalen Energiemärkten können Haushalte untereinander lokal generierten Strom handeln. Dadurch werden die Teilnehmenden stärker in ihre eigene Erzeugung involviert und lokale Wertschöpfung rückt in den Fokus. Mit der Tokenisierung solcher Energiesysteme durch die Blockchain-Technologie lässt sich zum einen der Energiehandel, zum anderen die Steuerung lokaler Energieressourcen dezentral nachvollziehen. Hier gilt dem Schutz der Privatsphäre im Hinblick auf Energieverbrauchsdaten höchste Priorität. Gerade die soziale Nähe in lokalen Energiegemeinschaften sorgt dafür, dass die meisten Teilnehmenden sich persönlich kennen. Aus technischer Sicht sind lokale Energieinitiativen in Deutschland, wie etwa das Landau Microgrid Project (LAMP) des KIT, in der Lage, Blockchain-Technologie bei sich umzusetzen.  Ein grundlegendes Verständnis über die Funktionalität und Architektur einer Blockchain-Anwendung existiert und wurde in Modellversuchen auch bereits umgesetzt. Auch aus der Perspektive des lokalen Marktes, in dem die Koordination von Energieangebot und Nachfrage vermittelt wird, ist eine Tokenisierung möglich. 

Auch in anderen Peer-to-Peer-Energiemarktprojekten wird Tokenisierung mithilfe der Blockchain-Technologie genutzt, um ein hohes Maß an Prozesssicherheit und Transparenz zu gewährleisten. Dazu gehören zum Beispiel das Projekt Pebbles der Allgäuer Überlandwerke oder das im Jahr 2020 abgeschlossene Quartierstrom-Projekt im schweizerischen Kanton St. Gallen.

Tokenisierung als Herkunftsnachweis für erneuerbaren Strom

Durch den Bezug von Ökostrom mit einem Ökostromtarif kann man in seinem Haushalt mit gutem Gewissen ein Elektrofahrzeug anschaffen, schließlich wird der benötigte Strom ja nachhaltig, also klimafreundlich produziert. Aber stimmt das überhaupt? Können Kund:innen nachvollziehen, woher ihr Strom stammt? Zwar lässt sich über den Herkunftsnachweis prinzipiell zeigen, dass ein Stromanbieter sein Angebot aus regenerativen Quellen bezieht, letztlich speisen aber alle Anlagen in dasselbe Netz ein, unabhängig davon, ob der produzierte Strom nachhaltig ist. Eine exakte Zuordnung der geflossenen Strommenge ist somit nicht möglich. Ein Herkunftsnachweis auf Blockchain-Basis könnte hier Abhilfe schaffen. In verschiedenen Pilotprojekten untersucht beispielsweise die EnBW, wie mit solchen Nachweisen der tatsächliche Stromfluss transparent und fälschungssicher nachverfolgt werden kann. Durch den Einsatz intelligenter Stromzähler können Kund:innen damit in Echtzeit sehen, aus welcher Anlage ihr Strom tatsächlich stammt.

Das Potenzial zur Tokenisierung im Energiemarkt ist noch nicht ausgeschöpft

Neben den bereits genannten Einsatzmöglichkeiten von Tokenisierung im Energiesektor sind noch weitere Anwendungsfelder denkbar. Eine Möglichkeit ist die Dokumentation von Bezugsrechten bei gemeinsamer Nutzung einer Solaranlage oder eines Batteriespeichers. Außerdem ermöglicht Tokenisierung eine flexiblere Aufteilung des Stromverbrauchs zwischen mehreren Parteien. Statt wie bisher nur einen Energieversorger zu haben, könnten Haushalte oder die Industrie so Verträge über anteilige Versorgung oder feste Bezugsmengen mit mehreren Energieversorgern schließen. Eine genauere Beschreibung dieser Möglichkeiten liefert ein Whitepaper der EnBW. Eine weitere Einsatzmöglichkeit von Tokenisierung im Energiemarkt ist eine Erweiterung des Blockchain-Herkunftsnachweises über die Sektorengrenzen hinaus. Bei der Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrolyse oder den Betrieb von Wärmepumpen ermöglicht Tokenisierung eine ganzheitliche Nachverfolgung des Weges von der Stromquelle bis hin zum Endverbrauch. 

Prof. Dr. Christof Weinhardt ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Boerse Stuttgart Digital Ventures GmbH.

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