Vertrauen verspielt Lieferkettengesetz: Von wegen Innovation – Altmeier tritt auf die Bremse

Die Blockchain-Technologie kann nicht alle Probleme lösen. Doch dass mit ihr vor allem Lieferketten überwacht werden können, macht sie zu einem mächtigen Instrument im Kampf gegen umwelt- und menschenverachtende Wertschöpfungsketten. Eigentlich.

Christopher Klee
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Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier

Beitragsbild: Shutterstock

Der hohe Lebensstandard des globalen Nordens basiert in weiten Teilen auf der Ausbeutung wirtschaftlich benachteiligter Menschen und Regionen. Was Menschenrechtsaktivisten seit Jahrzehnten anprangern, scheint nun langsam auch nach Berlin durchgedrungen zu sein. Die 2016 im Rahmen des „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ (NAP) festgelegte Selbstverpflichtung von Unternehmen, bis 2020 eigenverantwortlich die Einhaltung von Sozial- und Umweltschutzstandards entlang der Wertschöpfungskette zu überwachen, hat sich jedoch – die freiwillige Frauenquote lässt grüßen – als Feigenblatt erwiesen.

Welchen Platz ethische Belange auf der Prioritätenliste deutscher Großunternehmen einnehmen, das hat die letzte Stichprobenkontrolle des Auswärtigen Amtes mittlerweile zum zweiten Mal zur Shit-Schau gestellt. Die Behörde befragte 2.200 der über 7.400 Unternehmen, die den NAP bis 2020 umsetzen wollten, nach ihren Fortschritten.

NAP-Kontrolle: Weniger als 50 Prozent der Unternehmen engagieren sich für ethische Arbeitsbedingungen

Das Ergebnis: Gerade einmal 455 Unternehmen lieferten verwertbare Antworten. Weniger als die Hälfte der Firmen erfüllten demnach ihre Verpflichtung, für eine ethisch vertretbare Lieferkette zu sorgen. „Enttäuschend“ nannte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) das Ergebnis – und drückt sich dabei noch diplomatisch aus.

Vor diesem Hintergrund scheint der Vorstoß der Bundesregierung sinnvoll, Unternehmen mit einem Sorgfaltspflichtengesetz, wie es am 14. Juli vorgeschlagen wurde, enger an die Kandare zu nehmen – und bei Verstößen auch haftbar zu machen.

Erwartungsgemäß heftig fällt die Reaktion der Arbeitgeberseite auf den Entwurf zum Lieferkettengesetz aus. Gegenüber dem Online-Magazin enorm macht die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber deutlich, was sie von dem Vorstoß hält:

Ein Gesetz, das Haftung von Personen und Firmen aus Deutschland für das Verhalten unabhängiger Dritter im Ausland begründet, ist absurd. Global tätige deutsche Großkonzerne haben allein in der allerersten Stufe ihrer Lieferkette weit über 100.000 Zulieferer, die sich in den weiteren Stufen zu Millionen aufaddieren.

Die mit dem Lieferkettengesetz verbundene Dokumentationspflicht- und Haftungspflicht sei deshalb, so die BDI gegenüber enorm weiter, eine unzumutbare Belastung für Unternehmen.

Ganz anders sieht das dagegen Bundesumweltministerin Svenja Schulze. Gegenüber dem Deutschlandfunk bricht die SPD-Politikerin eine Lanze für das geplante Lieferkettengesetz:

 Bestimmte Sorgfaltspflichten muss man doch auch von Unternehmen verlangen können. Die wissen doch, wo ihre Produkte herkommen. Sie haben ein Management-System in ihrem ganzen Bereich, was die Qualität der Produkte überwacht, und zur Qualität der Produkte gehört auch, dass sie unter fairen Bedingungen hergestellt werden und dass nicht die Umwelt dafür leidet. Das macht die Qualität eines Produktes aus. Wenn man die restliche Qualität überprüfen kann, dann muss es doch auch möglich sein, das mit zu überprüfen.

Altmeier drückt auf die Bremse

Die Wahrheit liegt, wie sooft, zwischen den Extremen. Denn so einfach, wie es Ministerin Schulze suggeriert, ist die Gewährleistung einer sozial- und umweltverträglichen Wertschöpfungskette für die Unternehmen nicht. Die Überwachung von global kaskadierenden Lieferketten bedeutet zweifelsfrei eine enorme Herausforderung für Unternehmen. Nicht zuletzt wegen Corona, wie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der Handelsverband Deutschland (HDE) in einer gemeinsamen Pressemitteilung zum geplanten Lieferkettengesetz monieren:

Der im Zusammenhang mit dem NAP-Prozess diskutierten Idee der Einführung eines nationalen deutschen Sorgfaltspflichtengesetzes erteilen wir eine Absage. Der internationale Handel und die Lieferkettenbeziehungen durch die Maßnahmen gegen das Coronavirus sind bereits größtenteils erschwert, wenn nicht sogar zum Erliegen gekommen. […] Es müssen nationale Sonderwege mit nationalen Belastungen vermieden werden, um die ohnehin schwierige Wirtschafts-Erholung nicht noch mehr zu verzögern

Dabei ist es nicht so, als stünde die Technologie zur Bewältigung dieser Herausforderung nicht schon längst in den Startlöchern. Die Blockchain mag kein Allheilmittel sein – doch für logistische Anwendungsfälle und die Überwachung von Lieferketten scheint die Technologie geradezu prädestiniert. So gehört die Logistik-Branche nicht umsonst zu den Bereichen, in denen besonders intensiv an Blockchain- und anderen Distributed-Ledger-Technologien geforscht wird. Zwar lassen sich Containerinhalte besser verfolgen als die Wahrung von Menschenrechten; doch auch in diesem Belang gibt es bereits Vorstöße – auch aus Deutschland.

Lieferkette mit menschlichem Antlitz – Dank Blockchain

So gab der deutsche Autobauer Daimler kürzlich seine Kooperation mit dem britischen Blockchain-Start-up Circulor bekannt. Die Zusammenarbeit dreht sich um die Förderung von fair produziertem Kobalt. Die seltene Erde kommt unter anderen in Autobatterien zum Einsatz und wird oft unter menschenunwürdigen Bedingungen geschürft. BMW hat bereits im Juli 2019 angekündigt, für seine Produktionslinie 2020/21 ausschließlich Kobalt aus ethisch vertretbaren Quellen zu verwenden.

Auch in der Textil– und Lebensmittelindustrie – beide nicht gerade für Skandalfreiheit bekannt – haben sich bereits diverse Pilotpartnerschaften formiert, um Wertschöpfungsketten mit menschlichem Antlitz zu erschaffen.

Wer aus diesen Vorstößen jedoch die Hoffnung destilliert, dass sich der Gesetzgeber nun unter Hochdruck an die Förderung von Blockchain- beziehungsweise DLT-Konzepten setzt, hat die Rechnung ohne Wirtschaftsminister Altmaier gemacht. Dieser warnt gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters vor Aktionismus:

Schnellschüsse verbieten sich bei so wichtigen Themen wie diesem. [Menschrechte auch im Ausland beachten] die allermeisten, Deutschland ist hier bereits Vorreiter in Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards,

lässt der Bundeswirtschaftsminister über eine Sprecherin verlauten. Die desaströsen Ergebnisse der NAP-Kontrolle scheinen den CDUler dabei kaum zu beeindrucken. Bei Altmaier scheint das Credo „Don’t trust, verify“ bestenfalls in seiner Umkehrung Anwendung zu finden.

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