Stress ohne Grund  Ledger-Kritik: Jetzt mal alle ganz tief durchatmen!

Um den Hardware-Wallet-Hersteller Ledger ist ein medialer Shitstorm entbrannt. Bei Twitter ist von Verrat und Boykott die Rede. Warum die Kritik überzogen ist. Ein Kommentar.

Sven Wagenknecht
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Ledger-Wallet

Beitragsbild: Shutterstock

| Ledger steht mit einem optionalen Upgrade in der Kritik – berechtigt?

Der Hardware-Wallet-Hersteller Ledger hat eine Todsünde begangen. So lesen sich zumindest die Kommentare zum neu vorgestellten Feature „Ledger Recover“.

Stark zusammengefasst geht es darum, dass Ledger-Kunden optional ein Backup ihrer Seed Phrase – also die bis zu 24 Wörter zur Wiederherstellung des Private Keys – in Auftrag geben können. Die Seed Phrase wird dabei in drei Teile aufgeteilt und an einzelne Dienstleister zu Verwahrung gegeben. Über klassische KYC-Prozesse, also Personalausweis im Video-Identverfahren, können diese dann im Verlustfall wiederhergestellt werden.

Wer mehr zur Funktionsweise und den Hintergründen erfahren möchte, der kann sich unseren Artikel zur Causa Ledger durchlesen.

Ledger und der Verrat

Allein die Möglichkeit, dass Ledger diesen Service optional anbietet, ist für viele orthodoxe Krypto-Enthusiasten ein Unding. Schließlich ist die Selbstverwahrung der Private Keys das oberste Gebot. Die Verwahrung durch Drittdienstleister verstößt hingegen gegen den Imperativ der Autonomie und Dezentralität. Dass nun Ledger, das genau jene Selbstverwahrung mit seinen Hardware Wallets massentauglich gemacht hat, eine Third-Party-Option anbietet, wird in den sozialen Medien als Hochverrat angesehen – Boykott dem Denunzianten lautet die harsche Tonalität.

Mehr Emotionen als Sachargumente

Es ist vollkommen legitim, den Schritt von Ledger zu hinterfragen und zu kritisieren. Ist die neu eingebrachte Schnittstelle durch das Firmupdate wirklich sicher oder öffnet man damit einen gefährlichen Angriffsvektor? Genau solche Fragen gehören jetzt auf den Tisch.

Nicht auf den Tisch gehören hingegen Boykottaufrufe und Beleidigungen. Die emotionalen Reaktionen sind nur damit zu erklären, dass sich einige Krypto-Enthusiasten in ihrer Ideologie angegriffen fühlen. Andernfalls – wenn es nur um die Sachebene gehen würde – wären die Reaktionen nicht so aggressiv. Schließlich wird niemand gezwungen, den neuen Service von Ledger in Anspruch zu nehmen.

Ledger ist keine Glaubensgemeinschaft

Dabei lassen wütende Ledger-Kritiker außer Acht, dass Ledger lediglich auf eine Marktnachfrage reagiert. Ein Unternehmen handelt nicht ausschließlich nach idealistischen Motiven. Unternehmen, die das tun, haben nur eine sehr geringe Lebenserwartung.

Stattdessen versucht Ledger, wie jedes andere erfolgreiche Unternehmen auch, eine Marktnachfrage optimal zu bedienen. Wenn interne Untersuchungen und Marktforschungen ergeben, dass sich viele Krypto-Nutzer nicht zutrauen, selbst eine sichere Verwahrung vorzunehmen, dann ist der Schritt von Ledger Recover nur logisch.

Schließlich hat Ledger erst im März dieses Jahres ein Funding von 100 Millionen US-Dollar erhalten, um vor allem neue Kunden zu gewinnen. Zumal es im Interesse des gesamten Kryptosektors sein sollte, dass die Bitcoin-Adoption weiter voranschreitet. Um dies zu erreichen, sind neue Produkte, im Zweifel mit weniger Selbstverantwortung, notwendig.

Self-Custody: Zwischen Wunsch und Realität

Der Grund dafür ist recht simpel: nicht jeder Mensch möchte die volle Verantwortung für die Verwahrung seiner Vermögenswerte tragen. Aus diesem Grund verwahrt auch nicht jeder seine Goldbarren zu Hause, sondern manche bringen sie lieber in die Schließfächer bei ihrer Bank. Natürlich entstehen dadurch neue Risiken – die Bank könnte beispielsweise den Zugriff verwehren – doch wäre es nicht so, dass es bei der Selbstverwahrung keine Risiken gäbe.

Denn auf der anderen Seite neigen viele Menschen auch zur Selbstüberschätzung. Vor den eigenen Freunden mag manch einer mit Stolz erzählen, dass er seine Private Keys nur selbst verwahrt. In der Realität sieht die Selbstverwahrung allerdings dann oft so aus, dass die Private Keys im Word oder Google Doc auf dem Familien-Rechner, idealerweise noch in der Cloud, niedergeschrieben sind. Einige überzeugte Selbstverwahrer verstauen ihre Private Keys beziehungsweise Seed Phrase so sicher, dass sie sie selbst nicht mehr wiederfinden. Die Dunkelziffer von verloren gegangen Bitcoins durch unprofessionelle Selbstverwahrung lässt sich nur erahnen, hoch wird sie allemal sein.

Wer sich selbst in der Lage dazu sieht und auch bereit ist, die Verantwortung für seine digitalen Vermögenswerte zu übernehmen, der kann den neuen Service von Ledger getrost ignorieren. Hier haben die aufgebrachten Ledger-Kritiker durchaus recht: die Selbstverwahrung ist die sicherste Form der Verwahrung. Mit dem Zusatz: Wenn man es denn auch richtig macht.

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