Polygon-CEO im Interview: Diesen Fehler macht Ethereum

Technik ist Nebensache, Blockspace auf einmal Massenware und Bots werden zu gern gesehenen Gebührenträgern. Auf der Ethereum-Konferenz EthCC in Cannes stellte sich der ehemalige Jura-Professor und langjährige Krypto-Connoisseur den Fragen von BTC-ECHO und räumte dabei gleich mit mehreren vermeintlichen Krypto-Weisheiten auf. Welche Metriken in die Irre führen, warum MiCA eine echte Belastung ist, und was ihn an Ethereum irritiert, erfährst du in den kommenden Zeilen. "Technische Unterschiede zwischen Chains spielen kaum noch eine Rolle" BTC-ECHO: Angesichts der großen Konkurrenz durch leistungsstarke Layer-1-Blockchains wie Solana sowie Layer-2-Konkurrenten wie Arbitrum, stellt sich die Frage, welche Alleinstellungsmerkmale Entwickler davon überzeugen, Anwendungen auf Polygon statt auf diesen anderen Chains zu starten? Marc Boiron: Im ersten Teil der Frage müssen wir davon ausgehen, dass Blockchains heute praktisch nicht mehr durch technische Merkmale unterscheidbar sind. Polygon wird bis Jahresende 5.000 TPS [Transactions per Second] erreichen. Technische Unterschiede zwischen Chains spielen kaum noch eine Rolle. Entscheidend ist vielmehr die Spezialisierung auf einen konkreten Anwendungsfall. Polygon PoS konzentriert sich auf Zahlungen. In diesem Kontext ist sie bereits eine der führenden Chains, nur noch von Tron übertroffen. Tron folgt zwar einem eigenen Ansatz, doch wir haben über viele Jahre eine weltweite Zahlungsinfrastruktur auf Polygon aufgebaut, während andere Projekte sich auf einzelne Regionen oder Produktkategorien fokussieren. In ganz Lateinamerika gibt es in jedem Land FinTechs, die Ein‑ und Auszahlungen über Polygon abwickeln. In Nordamerika arbeitet kaum ein FinTech ohne Polygon‑Integration. In Europa setzt Revolut für sein Überweisungsprodukt ausschließlich auf Polygon. In Südostasien laufen alle regulierten Stablecoins über Polygon. Damit bietet Polygon durchgängig eine robuste User Experience. Auch aus Tooling‑Perspektive ist das Ökosystem stabil: Wer eine Payment‑Lösung starten will, findet dort alles Nötige. Dasselbe gilt für RWA‑Projekte. Immer mehr Akteure erkennen, dass reine Tokenisierung ohne Anwendung keinen Mehrwert bietet. Führende Anbieter wie Apollo haben ihr Private‑Credit‑Produkt auf Polygon gestartet. "Der Allzweck-Blockspace ist zu einem Massenprodukt geworden" Das hört sich so an, als würdest du zu den Anhängern der App-Chain-These gehören? Ja und nein. Ich glaube, es gab einen kleinen Sprung in diesem Bereich. Wir sind also von diesen Allzweck-Chains sofort zu App-Chains übergegangen. Ich glaube, es gibt so etwas wie einen Mittelweg, nämlich so etwas wie vertikale spezifische Chains. Gaming hat dies, unter anderem mit Ronin und Immutable X, schneller als alle anderen Sektoren geschafft. Ich glaube, wenn man zehn Jahre in die Zukunft blickt und es zu einer massiven Verbreitung kommt, wird man viele reine App-Chains sehen. Marc Boiron (rechts) im Gespräch mit Redakteur Johannes Dexl auf der EthCC in Cannes Allerdings denke ich, dass wir uns im Moment in einem Zwischenstadium befinden, in dem der Allzweck-Blockspace zu einem Massenprodukt geworden ist. Wir brauchen etwas, das differenziert ist. Anwendungen haben jedoch meistens nicht genug Volumen, als dass es für sie Sinn macht, ihre eigene Chain zu haben. Sie sollten also nur in einer Chain sein, die tatsächlich nur für Ihren Zweck gebaut wurde. Im Laufe der Zeit werden die Anwendungen in dieser Kette – wenn sie sehr erfolgreich werden – ihre eigene App-Chain aufbauen. "Es ist mir egal, ob ein Bot oder eine Person Transaktionen durchführt" Wenn du ein paar Jahre in die Zukunft blickst, wie sieht dann ein erfolgreiches Polygon aus? Welche Metriken betrachtet ihr als KPIs? Eine Frage ist, wie geht man mit Bots um? Ich bin der Ansicht, dass Bots legitime Transaktionen sind. Sie zahlen Transaktionsgebühren. Es ist mir also egal, ob ein Bot oder eine Person Transaktionen durchführt, solange sie Gebühren zahlen. Und es gibt tonnenweise Bots, auf jeder Chain. Das ist etwas ganz anderes als reines Wash-Trading. Wash-Trading ist in der Regel eine vorübergehende Sache, bei der man vorübergehend Erfolg hat und dann damit aufhört, weil man die Gebühren nicht weiter zahlen kann. Was also die wichtigen Kennzahlen angeht, so denke ich, dass es bei Polygon PoS vor allem auf die Zahlungsgeschwindigkeit ankommt. Bei den RWAs kommt es darauf an, inwieweit diese RWAs tatsächlich als Sicherheiten verwendet werden und inwieweit sie beliehen werden. Die tatsächliche Nutzung als Sicherheit und die anschließende Beleihung sind letztendlich eine wichtige Kennzahl. Es kommt darauf an, wie viele Chains mit dem AggLayer verbunden sind und wie viele Cross-Chain-Transaktionen zwischen ihnen stattfinden. "TVL und TPS sind die am meisten überbewerteten Metriken" Man sollte das wirklich produktive TVL betrachten, denn wenn man sich viele Chains anschaut, die Milliarden von US-Dollar an TVL haben, und sich dann anschaut, wie viel davon tatsächlich genutzt und bewegt wird, dann ist die Antwort: ein winziger Bruchteil. Was ist aus deiner Sicht die am meisten überbewertete Metrik? Ich denke, TVL [Total Value Locked] wird am meisten überschätzt, und an zweiter Stelle steht TPS [Transactions per Second], aber mit dem wichtigen Disclaimer, dass man sich anschauen muss, was eine Blockchain eigentlich tun soll. Ich denke zum Beispiel, dass TPS für Polygon PoS eine wirklich wichtige Kennzahl ist, auf die man achten sollte, da es hauptsächlich auf Zahlungen und damit einfache Überweisungen ausgerichtet ist. Die Fähigkeit, eine hohe TPS zu erreichen, ist da sehr wichtig. Bei DeFi-zentrischen Blockchains mit komplexeren Transaktionen sollte man diese Kennzahl nicht so stark beachten. "MiCA ist eine echte Belastung" MiCA ist seit Ende 2024 in Kraft. Würdest du sagen, dass es ein Standortvorteil für Europa oder eher ein Hindernis für Innovationen ist? Ich glaube, jeder war anfangs begeistert von MiCA, aber die Art und Weise, wie es in der Praxis umgesetzt wurde, war überhaupt nicht effektiv. Und ich denke, ehrlich gesagt, Europa hat eine riesige Chance verpasst, die es zwei Jahre vor anderen hatte. Sobald man sich damit beschäftigt, merkt man, dass es eine echte Belastung ist. Und dann schaut man sich die USA an, wo man technisch gesehen keine große Klarheit hat. Aber was man hat, sind genügend Erklärungen der SEC, die einem das Vertrauen geben, dass man weiß, dass es Dinge gibt, die man tun kann. Und die Leute wollen Zugang zum US-Markt. Ich glaube, Europa hätte MiCA richtig hinbekommen müssen, aber so kommt jetzt viel zurück in die USA. "Irgendwann wird der Markt rational" Wie bewertest du das aktuelle Zusammenspiel zwischen der Ethereum‑Mainchain und den Layer‑2‑Netzwerken – ist an dem Narrativ der Kannibalisierung etwas dran? Und worin liegt aus deiner Sicht jeweils der Investment‑Case für ETH und für Layer‑2‑Token wie POL? Für mich läuft alles darauf hinaus, dass man sich differenziert. Polygon PoS konzentriert sich auf einen riesigen Markt. Und POL kann man auch nicht als Asset für eine einzelne Chain betrachten, denn letztendlich wird es von allen Blockchain-übergreifenden Transaktionen auf der AggLayer sowie von allem, was Polygon PoS betrifft, profitieren. Die Leute bringen es mit Ethereum und L2s in Verbindung, aber POL hat an diesem Punkt nichts damit zu tun. Mit dem AggLayer ist es viel breiter als das. Und zum Kurs: Ich sage immer, baut einfach ein großartiges Produkt, bringt eine Menge von Nutzern, und irgendwann wird der Markt rational. Das ist bei ETH nicht anders. Und die große Frage für Ethereum ist, was bedeutet ein großartiges Produkt? Was ich für einen Fehler halte, ist, dass sie in einen Kampf mit Solana um hohe Performance für Ausführungszwecke hineingezogen wurden, wohingegen Ethereum sich einfach auf die Leistung für Abwicklungszwecke konzentrieren sollte, nicht auf die Ausführung. Ich denke, dass Ethereum sehr gut belohnt worden wäre, wenn es sich auf das Settlement fokussiert hätte. "Ich halte das für einen Fehler" Auf X gibt es in der Krypto-Community angesichts der Kursentwicklung des Altcoin-Sektors nihilistische Tendenzen und Stimmen, die Krypto pauschal zum Scam erklären. Welches handfeste Gegenargument siehst du dazu: Welcher reale Anwendungsfall der Blockchain – abgesehen von Bitcoin und Stablecoins – funktioniert heute bereits überzeugend? Es gibt wohl niemanden, der behauptet, dass Polymarket ein Betrug oder nicht nützlich ist. Oder schau dir Courtyard an – nicht so bekannt – aber wenn man tatsächlich mit einem Nutzer darüber spricht, ob es eine bessere Experience auf der Chain als außerhalb ist, dann ist die Antwort, ja. Schau dir das Volumen von Zahlungs-Apps an. Wenn es um Überweisungen geht, kann man nicht bestreiten, dass diese einen großen Wert haben. Es gibt viele sehr wertvolle Projekte – wie auch Geodnet auf Polygon – die Probleme mit der Blockchain lösen. Es passiert einfach, dass man auch eine Menge Spaß haben und eine Menge Geld verdienen oder verlieren kann, und so gibt es eben auch Betrüger und Scams. Vielen Dank für das Gespräch.

"Irgendwann wird der Markt rational" CEO von Polygon Labs im Interview: Diesen Fehler macht Ethereum

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