Seit mehreren Monaten nimmt die Anzahl an Positionspapieren und Forschungsarbeiten zu digitalen Zentralbankwährungen – Central Bank Digital Currency (CBDC) – signifikant zu. Besonders China soll hier besonders weit sein. Mehrere Tests wurden bereits durchgeführt und immer wieder heißt es, dass China noch dieses Jahr den digitalen Renminbi bekommen könnte. Auch im Zuge der Corona-Krise erhöht sich der Druck auf die Notenbanken, schnell eine digitale Zentralbankwährung herauszugeben.
So liegen bereits Gesetzesvorschläge im amerikanischen Demokratenhaus vor, die eine digitale Zentralbankwährung für Helikoptergeld vorsehen. Insbesondere in einer Wirtschaftskrise ist es dem Staat besonders wichtig, direkt in die Realwirtschaft eingreifen zu können.
Notenbanken möchten Mittelsmänner umgehen
Anstatt das langsame und ineffiziente Geschäftsbankensystem wie bislang nutzen zu müssen, könnten Gelder direkt von der Notenbank an die Bevölkerung und Unternehmen fließen. Auch könnte das programmierbare Geld flexibel den Rahmenbedingungen angepasst werden. Sollte es also in ein paar Monaten beispielsweise zu einer unkontrollierten Inflation kommen, dann könnten Notenbanken das Fiat-Token-Guthaben ihrer Bürger flexibel steuern.
Die politische Entmachtung der Zentralbanken in der Corona-Krise würde somit um eine Entmachtung des Geschäftsbankensektors ergänzt werden. Banken würden damit als Mittelsmänner durch die DLT-Infrastruktur immer stärker ersetzt. Anstatt zu einer Dezentralisierung des Geldsystems würde es genau zum Gegenteil kommen. Eine Zentralisierung gen Notenbanken würde stattfinden, die stärker denn je unter den Fittichen der Staaten stehen. Dieser Zentralisierung würde wiederum die potentielle Dezentralisierung durch Integration von Nicht-Banken in die Finanzinfrastruktur entgegenstehen. Durch den Transformationsprozess wirken also Kräfte in verschiedene Richtungen. Die Peer-to-Peer-Distributionskanäle reduzieren die Risiken im Bankensektor bei gleichzeitiger Stärkung von Notenbank und Staat.
Waren die Finanzinfrastrukturen bislang exklusiv den Banken vorbehalten, so sind sie es durch eine Token-Infrastruktur nicht mehr. Beispielsweise sollen in China auch Nicht-Banken wie Alibaba und Tencent mit in die Distribution des digitalen Renminbi eingebunden werden. Ein Mandat, das normalerweise den Geschäftsbanken vorbehalten ist. Exklusivität im Finanzsektor wird dadurch zukünftig nur noch von regulatorischer Seite (z.B. Lizenzen), weniger aber von technologischen Infrastrukturstandards geprägt sein.
Zentralbankgeld ist analog
Das Geldmonopol ist elementar für die Handlungsfähigkeit eines Staates. Dieses aus der Hand zu geben, kommt einem Machtverlust gleich. Entsprechend verständlich sind die Bemühungen von China und anderen Staaten, die Kontrolle nicht nur zu behalten, sondern weiter auszubauen. Schließlich stößt man beim jetzigen Geldsystem, wie aktuell in der Corona-Krise zu beobachten ist, schnell an seine Grenzen.
Nun wird sich unsere Finanzinfrastruktur nicht von heute auf morgen auf Token und Blockchain umstellen. Wir werden also ein paralleles Finanzsystem erleben, indem Kassensysteme oder Bezahlsoftware sowohl analoges Geld als auch digitales Geld annehmen werden.
Man muss dazu wissen, dass unsere Kontoguthaben nicht als Zentralbankgeld definiert sind, sondern als Giral- beziehungsweise Buchgeld, das lediglich Verbindlichkeiten oder Forderungen gegenüber der Bank verbrieft. Vereinfacht gesagt besitzt man kein Geld auf seinem Bankkonto, sondern nur den Forderungsanspruch, sich Geld in Form physischer Banknoten und Münzen auszahlen zu lassen.
Geschäftsbanken sorgen durch Geldschöpfung in erster Linie für die Liquidität am Markt, nicht die Notenbanken. Das Konzept der CBDC wäre also wirklich mit einem Sprung ins Digitale gleichzusetzen und würde die Geldschöpfung und Transmissionsmechanismen auf den Kopf stellen.
Es gibt nicht DIE Central Bank Digital Currency (CBDC)
Schaut man sich die verschiedene Ausgestaltungsformen von CBDC an, dann wird einem schnell bewusst, dass es nicht die eine CBDC gibt. Im Gegensatz zu Banknoten und Münzen kann digitales Geld verschiedene Programmierstufen und Kompatibilitätsebenen abbilden. Pauschale Urteile, dass CBDC zwangsläufig gut oder schlecht sind, sind nicht nur von den politischen, sondern vor allem auch von den technischen Rahmenbedingungen abhängig. Während eine Banknote in China die gleiche Funktion einer Banknote der Eurozone hat, wird sich dieses Grundverständnis in Zukunft ändern. Wenn wir in einen anderen Währungsraum reisen, könnte nicht nur der Wechselkurs entscheidend sein, sondern auch der funktionale Kontext einer Währung.
Diese neue Dimension kann sich zum einen durch Privatsphärestandards ausdrücken. So würde es auf der Hand liegen, dass in einem autokratischen Staat programmierbares Geld anderen Datenschutzverordnungen unterliegt als beispielsweise in Europa. Auch können die Zielsetzungen der digitalen Zentralbankwährung andere sein. So gibt es Zentralbankgeld-Konzepte, die beispielsweise nur auf den Retail-Kunden, also den privaten Endnutzer oder aber nur auf Maschinen oder nur Banken abzielen, wie Prof. Dr. Sandner vom Frankfurt School Blockchain Center in einem Beitrag anschaulich erklärt.
Digitaler Paternalismus mit Phantasie
Wenn Geld in seiner technischen Ausgestaltung in Abhängigkeit zu seinem wirtschaftspolitischen Umfeld steht, dann ist der Geldwert keine reine Frage vom Devisenkurs und seiner inflationsbereinigten Kaufkraft, sondern ein politisches Statement.
Die Szenarien lassen viel Raum für Phantasie. Sei es, dass man Guthaben auf Wallets je nach Zinssituation anpasst, was bei Notenbanken-Wallets der Fall sein könnte oder aber, dass politische Rahmenbedingungen Guthaben incentivieren oder sanktionieren können. So könnte man bei dem Besuch in einem anderen Währungsraum automatisch andere Wechselkurse respektive Preise erhalten als die heimische Bevölkerung. Gerade vom Tourismus oder von Expats überlaufende Regionen könnten so ihre eigene Preispolitik programmieren, je nachdem, was ihrer Zielsetzung entspricht. An dieser Stelle wird in Zukunft die Frage zu klären sein, inwiefern Geld an eine Identität gebunden sein muss. Die Kaufkraft entscheidet sich dann unter Umständen nicht mehr allein am Nominalwert des Geldes. Mehr denn je könnte entscheidend sein, wer das Geld besitzt und es ausgeben möchte.
Auch das oft diskutierte chinesische Social-Scoring-Programm, um die Staatstreue und das Verhalten der Bürger zu beurteilen, ließe sich durch Token beziehungsweise programmierbares Geld gut umsetzen. Wer beispielsweise entgegen den Staatsinteressen handelt, kann so vollkommen automatisch mit finanziellen Sanktionen belegt werden.
Passiv und aktiv machen den Unterschied
Das Neue an programmierbaren Geld zeigt sich unter anderem in dem Automatismus, den es mit sich bringt. Während wir heutzutage aktiv und manuell Geld überweisen oder zumindest einen Dauerauftrag einrichten, könnten sich gerade öffentliche Abgaben automatisieren. Angefangen von der Steuernachzahlung, über den Strafzettel fürs Falschparken oder die Wasserrechnung bei den Stadtwerken.
An dieser Stelle liegt aber auch eine Gefahr. Nicht nur, dass wir mit zunehmender Integration von Algorithmen und Maschinen immer weniger Geldströme bewusst steuern, sondern auch, dass wir zwischen Daten und Geld immer weniger unterscheiden können.
50 Euro sind nicht 50 digitale Euro
50 digitale Euro sind dann nicht mehr egalitär wie heutzutage eine 50 Euro Banknote. Der Obdachlose hat aktuell mit 50 Euro die gleichen Konsum- oder Ausgabemöglichkeiten wie der Chefarzt oder Universitätsprofessor. Auch bei den ersten Entwürfen eines digitalen US–Dollar, Euro oder Renminbi wird dies bis auf viele Punkte so sein. Schrittweise könnte diese Gleichheit durch immer komplexere und einnehmendere Geldsysteme aufgeweicht werden. Nicht nur wird ab einem gewissen Punkt keinerlei Privatsphäre mehr vorhanden sein – dies dürfte im Grunde schon bei der ersten CBDC Version der Fall sein – sondern es wird sich ein Zahlungssystem an die Policy eines Staates anpassen.
Ähnlich wie sich Microsoft oder andere Betriebssysteme über Jahre weiterentwickelt haben, könnten dies in Zukunft auch Geldsysteme von Notenbanken machen. So könnten Notenbanken ein Geldupdate durchführen, damit ihr digitales Zentralbankgeld zu einem bestimmten Stichtag neue Funktionen bekommt. Anstatt also alte Geldscheine auszusortieren, weil sie abgenutzt sind, ihre Sicherheitsmerkmale nicht mehr ausreichen oder man schlichtweg gezwungen ist, eine Währungsreform zu machen, kann man dies demnächst per Knopfdruck durchführen.
Während die Update-Möglichkeiten bei Banknoten und Münzen seit Jahrhunderten immer die gleichen waren, ist dies bei CBDCs nicht mehr der Fall. Die Vorteile dieser monetären Digitalisierung dürften in vielerlei Hinsicht überwiegen. Schließlich ist es naheliegend, dass wir in unser immer digitaler werdenden Lebensrealität auch digitale Werte und Geldwerte in unseren Alltag integrieren.
Was für Facebook gilt, gilt auch für ein digitales Zentralbanksystem
Was allerdings für die Bequemlichkeit in der Nutzung von Facebook, Google und Amazon gilt, betrifft umso mehr digitale Währungen. Man bekommt nichts geschenkt. Wenn CBDCs eine höhere Kaufkraft ermöglichen, da sie beispielsweise im Gegensatz zu analogem Geld verzinst werden, dann wird dies zu Lasten unserer Privatsphäre durch Abgabe von Autonomie „finanziert“. Wie man aktuell Google und Facebook mit seinen Daten bezahlt und sich damit in deren Abhängigkeit begibt, wird man sich durch Nutzung von CBDCs stärker dem Staat unterordnen.
Sollte dann der Staat nicht den eigenen demokratischen Wertevorstellungen entsprechen, hat man ein sehr großes Problem. Inwiefern es dann noch möglich sein sollte, mit Privatsphäre-schützenden Kryptowährungen zu bezahlen, steht auf einem anderen Blatt. Die Konfliktlinie zwischen privatem und staatlichem Geld dürfte in den nächsten Monaten und Jahren zu großen politischen Debatten führen. Gegenwärtig lässt sich nur darüber spekulieren, wie ein Geldsystem zwischen CBDCs, Fiat-Derivaten wie Facebooks Libra und wirklich dezentralen Projekten wie Bitcoin aussehen wird.