Die Securities and Exchange Commission (SEC) hat die Jagd auf Binance eröffnet. Das größte Krypto-Imperium der Welt und ihr Gründer Changpeng “CZ” Zhao müssen sich vor Gericht verantworten. Die Liste der Vorwürfe ist lang, der Ausgang des Verfahrens ungewiss, ebenso wie die Konsequenzen. Einen ersten Teilsieg konnte das Unternehmen für sich verbuchen, doch es bleiben offene Fragen, unter anderem zur Gründung von Binance.US.
Die Entstehungsgeschichte des US-Ablegers bleibt ein Mysterium. Sie spielt eine zentrale Rolle in der SEC-Klage. Die Behörde stellt die Unabhängigkeit von Binance.US infrage und beruft sich auf die sogenannten “Tai-Chi-Dokumente”. Leaks, die das Wirtschaftsmagazin Forbes bereits im Oktober 2020 veröffentlichte. Sie erzählen von einem perfiden Plan der Geschäftsführung um CZ, bei ihrer Expansion die US-Gesetze und Richtlinien zu umgehen.
Ein Lockvogel für die USA
Es ist das Jahr 2018. Binance feiert gerade seinen ersten Geburtstag. Das Geschäft boomt und CZ verfolgt eine aggressive Wachstumsstrategie. Er will Binance in die USA bringen, die zu dem Zeitpunkt Dreh- und Angelpunkt der noch jungen Krypto-Industrie sind.
Der Kanadier mit chinesischen Wurzeln ruft Rechtsberater zusammen, die eine mögliche Expansion rechtlich einschätzen sollen. Das Ergebnis: katastrophal. Das Risiko, dass Binance Probleme mit den US-Behörden bekommt, sei “hoch”, so die Experten. Der Grund: Die Kryptobörse sieht es damals nicht so eng mit KYC-Prozessen und Anti-Geldwäschemaßnahmen.
Da der Aufbau der nötigen Compliance-Struktur zu dieser Zeit nicht finanzierbar gewesen sei, schlägt ein Berater einen Plan vor. Eine unabhängige Firma solle die Geschäfte in den USA betreiben. Damit wäre Binance bei Übergriffen der Regulierungsbehörden rechtlich aus dem Schneider. Durch Lizenzverträge mit der “Tai-Chi-Entität” würde ein Teil des Umsatzes dennoch an CZs Krypto-Imperium fließen.
Binance.US launcht 2019
Im April 2019 wird im US-Bundesstaat Delaware eine neue Krypto-Firma registriert: BAM Trading. Die Besitzverhältnisse bleiben rätselhaft. Obwohl CZ und sein damaliger CFO Wei Zhou beide im BAM-Vorstand sitzen, betont Binance die Unabhängigkeit des neuen Unternehmens. CEO der jungen Firma ist damals Cathrine Coley. Sie wird später eine wichtige Rolle in der Anklage der SEC spielen.
Zwei Monate später steht Binance.US in den Startlöchern. Über eine Lizenzpartnerschaft stellt Binance die technische Infrastruktur und gibt der Handelsplattform den bekannten Markennamen. Das operative Geschäft übernimmt jedoch die BAM Trading. Binance.US ist damit rechtlich unabhängig von ihrem Namensgeber. Die Kryptobörse hat zum Launch Lizenzen aus verschiedenen US-Jurisdiktionen. Stand heute sind es 59, von Alabama bis Puerto Rico.
“Project 1776”: Ein Versuch der Emanzipation
Laut der SEC kommt es im September desselben Jahres zu einem internen Zwist zwischen Zhao und Coley. CZ will “BNB” auf Binance.US listen, gegen den Ratschlag der BAM-Trading-CEO. Der Launch des hauseigenen Token könnte zu rechtlichen Problemen mit der SEC führen, sagt sie in einem internen Memo. CZ schafft es jedoch, sie zu überstimmen. BNB wird gelistet.
Sichtlich frustriert beginnt Coley, die Autonomie ihres Unternehmens zu hinterfragen. Mit dem Forbes-Bericht verstärken sich ihre Sorgen. Sie beginnt, interne Infrastrukturen von Binance zu lösen. “Project 1776” ist geboren, eine Anspielung auf das Jahr des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges vom britischen Empire. Laut der SEC schrieb Coley Binance CFO Zhou kurz nach Veröffentlichung der Tai-Chi-Dokumente: “Das gesamte Team hat das Gefühl, eine Marionette zu sein.” Der Schrei nach Autonomie stößt beim Vorstand jedoch auf taube Ohren. Im März 2021 verlässt Coley das Unternehmen schlagartig. Den neuen CEO, Brian Brooks, hält es nur drei Monate im Unternehmen. Unter Eid gesteht er der SEC: “Ab einem bestimmten Punkt war mir klar, dass CZ der CEO ist und nicht ich.”
Binance und CZ weisen Vorwürfe zurück
Die Vorwürfe um die Tai-Chi-Entität weist Binance bereits kurz nach der Veröffentlichung des Forbes-Artikels zurück. In einem Tweet schreibt CZ: “Wir kennen das angebliche Dokument nicht.” Der Beitrag ist mittlerweile gelöscht.
Zwei Jahre später bestätigt er jedoch zumindest die Existenz des Dokuments. Binance sei die “Tai-Chi-Powerpoint” präsentiert worden. “Lassen sie mich eines deutlich sagen: Sie wurde nie umgesetzt. Ich habe sie persönlich abgelehnt”, beteuert CZ.
Ob Binance tatsächlich US-Regulatoren bewusst täuschen wollte, wird der Gerichtsprozess klären. Die Anschuldigungen der SEC basieren auf Indizien, es sind jedoch keine echten Beweise. Dennoch dürften die Vorwürfe bei dem ein oder anderen Krypto-Investor ein Geschmäckle hinterlassen.