Zeit-Journalist im Interview: Ist Bitcoin rechts, Ijoma Mangold?

Ijoma Mangold ist Zeit-Literaturkritiker und Bitcoiner. Ein Gespräch über skeptische Bildungsbürger, feindselige Linke und seine Zweifel am Maximalismus. Er ist Zeit-Literaturkritiker, Proust-Fan, Schöngeist und seit geraumer Zeit auch – Bitcoiner? Beim Apfelbaumschneiden in der Uckermark hat Ijoma Mangold mithilfe einschlägiger Bitcoin-Podcasts die transformative Kraft des digitalen Goldes entdeckt. Sein Buch „Die orange Pille“ erzählt eindrucksvoll von seinem verschlungenen und jahrelangen Weg in den Kaninchenbau und zurück in die Redaktion der Zeit. Wir trafen Ijoma Mangold in unserem Podcast-Studio in Berlin-Mitte. Und durften selbst einige faszinierende Dinge lernen – über das Bildungsbürgertum, Bitcoin und wie dieser uns hilft, anders über Geld und die Welt nachzudenken. BTC-ECHO: Im Buch beschreibst du, dass du die Welt von Bitcoin über Podcasts entdeckt hast. Wärst du auch ohne sie ins Rabbit Hole gefallen? Ijoma Mangold: Ich glaube, nicht. Woher soll ich mir das Wissen auch holen? In Bibliotheken findet man es nicht. Bitcoin ist erst knapp 14 Jahre alt. Und Papier langsam. Das ist auch seine Stärke. Es gibt höhere Qualitätssicherung. Du musst alles belegen. Für die rasante Entwicklung von Bitcoin braucht es ein Medium, das schnell reagiert. Wenn man Bitcoin als kollektiv lernendes System versteht, sind Podcasts also sozusagen sein Herz. Mich haben sie jedenfalls komplett geprägt. Man macht auf diesem Weg auch immer unterschiedliche Phasen durch. Ich denke, das kann jeder an sich selbst nachvollziehen. Manche Podcasts findet man am Anfang völlig gaga, weil man noch am Anfang steht. Ein Jahr später begreift man endlich, worüber sie reden, und ist fasziniert von ihrer Gedankenführung. Einen Aspekt in deinem Buch fand ich besonders interessant. Du erklärst, warum Bitcoiner häufig ein bisschen schief angeguckt werden. Der Grund: Geld stinkt. Und es stimmt. Wenn ich Leuten von Bitcoin erzähle, denken sie direkt, ich will nur reich werden. Es ist wahnsinnig schwer, gegen diese Ressentiments anzukommen. Wir alle kennen viele Bitcoiner. Und der Wunsch nach Reichtum ist nicht die erste Eigenschaft, die ins Auge fällt, sondern ein extremes Erkenntnisinteresse. Ich war als Liberaler schon vorher von Kapitalmärkten fasziniert. Und ich merkte: Im bildungsbürgerlichen Milieu, in dem ich sozialisiert worden und von dem ich stark umgeben bin, stößt man beim Thema Geld immer auf totale Abwehrreaktionen, eben weil man es als etwas Vulgäres empfindet. Das Geld folgt in dieser Sichtweise einem niederen Instinkt. Es geht immer um Egoismus. Und der ist per se das Schlechte. Das Geld und seine Faszination zu Macht haben natürlich immer wieder – gar keine Frage – das Schlechteste aus Menschen herausgeholt. Aber wir haben eine irrsinnig große, zum Teil auch sehr eindrucksvolle Kulturgeschichte oder Mythologie, die an seiner Dämonisierung arbeitet. Diese Erzählungen sind so übermächtig. Zum Beispiel? Es fängt an beim Goldenen Kalb, das die Israeliten anbeten, während Moses sich auf der Suche nach der göttlichen Wahrheit auf den Berg Sinai begibt und in Zwiesprache mit seinem Gott die Zehn Gebote bekommt. Gewaltiger moralischer Fortschritt in der Menschheitsgeschichte. Er kommt mit diesen Zehn Geboten zurück und will sie seinen Israeliten mitteilen. Was machen die? Die sind schon wieder vom wahren Glauben abgefallen, weil sie das Goldene Kalb entdeckt haben. Man findet diese Grundgeschichte überall wieder: bei König Midas, der will, dass sich alles in Gold verwandelt. Und dann feststellt, dass auch die Nahrung, die er anfasst, zu Gold wird. Und dann muss er natürlich sterben. Oder Charles Dickens’ Weihnachtsmärchen mit dem knausrigen Scrooge. Der besitzt gar keine Menschlichkeit. Mit diesem Denken sind wir sozialisiert worden. Wer nur darauf achtet, Geld zu horten, dem geht das wärmende Herz verloren. Wie blickst du dann auf Geld? Es gibt auch eine liberale Erzählung des Geldes, Wandel durch Handel, die Sitten verfeinern sich. Sie hat aber nie diese mythologische Breitenwirkung bekommen. Hier ist Geld vor allem ein Medium der Kommunikation. Es führt Menschen zusammen. Die ganze Philosophie aus dem 17. und 18. Jahrhundert – beispielsweise bei Montesquieu – baut auf diesem Gedanken auf. Laut ihr gibt es zwei Arten, wie Völker miteinander kommunizieren können: durch Krieg oder Handel. Und wenn sie es durch Handel tun, dann führt es zur Verfeinerung der Sitten von beiden Seiten, weil man Vertrauensverhältnisse eingeht, überhaupt miteinander ins Gespräch kommt. Man schaut: Was bietest du an? Was habe ich anzubieten? Man lernt voneinander. Geld wirkt im besten Schumpeter’schen Sinne disruptiv. Es löst alte Machtprivilegien auf. Die Geldwirtschaft tritt damals in die Wirklichkeit und prägt die Gesellschaftsstruktur Europas. Die Frage nach der ständischen Verordnung spielt eine immer geringere Rolle. Die Geldwirtschaft löst die Feudalwirtschaft ab. Wie lange hat es eigentlich gedauert, bis du das Selbstbewusstsein hattest, mit dem kontroversen Thema Bitcoin an die Öffentlichkeit zu gehen oder mit deinen Kollegen bei der Zeit darüber zu reden? Das war vermutlich 2021 in einer Folge unseres Zeit-Podcasts „Die sogenannte Gegenwart“, gemeinsam mit meinem Kollegen Lars Weisbrod. Wir haben uns dort mit Bitcoin beschäftigt. Es waren erste Such- und Tastbewegungen. Das haben wir unseren Zuhörern auch gesagt: „Wir sind fasziniert von dem Thema und haben es noch nicht ganz verstanden, aber wir wollen es mit euch teilen.“ Wir haben uns mit digitaler Knappheit und Dezentralität auseinandergesetzt und sogar versucht zu erklären, wie Proof of Work funktioniert. Vermutlich stimmen davon drei von fünfzig Sätzen. Vermutlich würden mir heute die Haare zu Berge stehen. Aber bei meinem Beruf als Journalist und Intellektueller geht es mir immer auch um das Risiko. Ich verteidige jeden, der eine kühne These raushaut und damit auf die Schnauze fällt. Das ist mir viel lieber als einer, der nur die sichere Position des Juste Milieus reproduziert, weil er dann nie Prügel einstecken muss. Neugier und Freude gehören zur DNA eines Journalisten. Er sollte das, was ihn selbst bewegt, öffentlich machen und mit anderen teilen. Auch wenn er dabei erst einmal danebengreift und sich blamiert. Wie waren damals die Reaktionen? Aus der Bitcoin-Community kam wahnsinnig viel freundliches Feedback. Leute schrieben mich auf Twitter an, teilweise haben wir Nummern ausgetauscht, dann telefoniert. Ich kannte bisher in meinem Freundeskreis niemanden, der sich für Bitcoin interessierte. Ich war noch so ganz eingeschlossen mit mir und diesen ganzen neuen Gedanken, die ich da täglich aufnahm. Diese Erfahrung machen ja viele. Und dann endlich melden sich da Menschen, die mir zwar unbekannt sind, aber nett. Ich war auch mit einem gewissen Gruseln neugierig: Was für Gestalten kommen mir da entgegen? Verstehen die überhaupt meine Sprache? Das war am Anfang meine Sorge. Ich dachte: Du bist so ganz und gar ein Feuilletonist. Und das sind Leute aus der Technikecke. Die werden mit der Art, wie du sprichst, gar nichts anfangen können. Da war ich mir total sicher. Die werden das als pfauenhaft oder aufgeblasen empfinden. Du wirst dich blamieren. Dem war nicht so. Die hatten so eine große Neugier. Diese Gespräche haben mir wahnsinnig viel gebracht. Durch das Schreiben des Buches habe ich ein Gefühl der Klarheit im Verständnis von Bitcoin bekommen. Das heißt übrigens noch nicht, dass ich die gleiche Sicherheit habe mit Blick auf unser Geldsystem. Auch das fasziniert mich immer mehr. Und da mache ich jetzt die Erfahrung: Viele Antworten aus dem Bitcoin-Space befriedigen mich nicht. Hattest du mal das Vergnügen, ein paar Maxis kennenzulernen? Ja, sehr viele. Zum Glück, muss ich sagen. Ich habe vom Austausch mit ihnen ungemein profitiert. Ich bin jedem Maximalisten unendlich dankbar dafür, dass sie uns die grundlegenden Glaubenssätze immer wieder eingehämmert haben, bis sie einem manchmal schon zu den Ohren rauskamen. Der wichtigste natürlich: „Not your Keys, not your Coins.“ Der ganze Zauber der Dezentralität ist weg, wenn wir aus Bequemlichkeit die Coins bei einer großen Exchange liegen lassen. Das mussten wir letztes Jahr öfter lernen, kulminierend in dem Kollaps von FTX. Wo ich nur nicht mitgehe: Maximalisten neigen dazu, geschichtsphilosophisch die Zukunft zu antizipieren. Da komme ich von Karl Popper und der österreichischen Schule. Die machen dieses Moment der Zukunftsungewissheit immer ganz stark. Das Extrapolieren von Zukunftsszenarien macht Spaß, ist nichts Verbotenes und kann anregend sein. Aber auf dieses Fundament würde ich kein Haus bauen. Ich glaube schlicht nicht an letzte Wahrheiten, selig machende Lösungen und utopische Totalitätsversprechen. In der maximalistischen Erzählung ist mir diese Seite manchmal zu stark. Der Blogger Tante schreibt über dein Buch: „Wir leben in der dunkelsten Timeline. Sprachlich mit einem rechten Meme (Orange Pill) eine rechtsgerichtete Ideologie (Besitzindividualismus) als ,Gerechtigkeit‘ framen ist schon unendlich schmerzhaft.“ Ist Bitcoin rechts? Ich verstehe, dass in der Wolle gefärbte Linke auf Bitcoin nicht gut zu sprechen sind. Sie haben ein großes Vertrauen und eine Sehnsucht danach, dass Dinge durch staatliche Intervention geregelt werden, und zwar auf segensreiche Art. Und wenn nun eine neue Technologie auftaucht, die den Totalzugriff des Staates aufs Geld unterhöhlt, ist das eine Depotenzierung staatlicher Handlungsmacht. Dann muss man dagegen ankämpfen und es delegitimieren. Das ist völlig folgerichtig. Ich finde die Logik von Tante astrein. An der ist nichts auszusetzen. Und der Ton? Da schwingt ja schon sehr viel Pathos mit. Dieser Ton ist ja längst üblich, wenn es um politischen Kampf geht, das hat sich in den letzten zehn Jahren in Deutschland durchgesetzt. Meinungen, die man nicht erträgt, versucht man zu delegitimieren. Und die einfachste Art dafür ist halt zu sagen, sie seien rechts. Das ist zwar nicht sehr einfallsreich und auch kein besonders raffiniertes argumentatives Florettspiel. Mit diesem Preaching to the Choir erreichst du nur deine eigenen Leute. Du kriegst nicht einen Menschen rumgedreht. Aber ehrlich gesagt: Es ist auch egal. Das tut auch niemandem weh. Zensurresistenz und Dezentralität sind doch eigentlich Eigenschaften, die Linksliberale feiern müssten. Warum hassen sie Bitcoin so sehr? Beide Ideen kommen eigentlich aus dem linken politischen Aktivismus. Denken wir zurück an Wikileaks, aber auch so was wie Graswurzelbewegungen. Und das finde ich so wahnsinnig einleuchtend: Wenn man sich die Art der Bitcoin-Adaption anschaut, dann folgt diese wirklichen Gesetzmäßigkeiten einer Graswurzelbewegung von unten nach oben. Dort wo es einmal nicht der Fall ist, beispielsweise in El Salvador, haben wir alle Magengrimmen. Man kann Bitcoin in einer linken Terminologie betrachten. Ich glaube, ich mache das auch immer wieder. Faktisch würde ich auch sagen: Die meisten Bitcoiner, die ich in Deutschland kenne, würden sich selbst eher als links beschreiben. Ich habe die starke Vermutung, dass das in den USA noch ein bisschen anders ist, aber auch da gibt es ja enorm starke Bewegungen, beispielsweise von Alex Gladstein, der das Thema von der Menschenrechtsseite her forciert. Bei Peter McCormack trat jemand auf, der ein Buch geschrieben hat: für den progressiven Bitcoiner. Wie gewinnt man nun das Bürgertum für Bitcoin? Mein Ansatz ist, ihnen in einem schön geschriebenen Buch vor Augen zu führen, wie viele gedankliche Perspektiven das Thema eröffnet. Bitcoin ist eine interessante Brille, um auf die Welt zu schauen. Wir klagen oft über die Alternativlosigkeit. Alle wollen Veränderung, aber sie wissen nicht, wie. Jetzt gibt es einen Hebel, mit dem man tatsächlich anders denken kann. Was muss noch passieren, bis ich mein Zeit-Abo mit Bitcoin bezahlen kann? Das weiß ich nicht. Ich glaube, die Bitcoin-Gemeinde will diesen Wandel immer so im Alltagsleben der restlichen Menschen sehen. Aber für die anderen spielt es gar keine Rolle. Diese Wertspeicherfunktion von Bitcoin steht total im Vordergrund. Wir hoffen natürlich alle darauf, dass wir in Zukunft stärker eine Exchange-Funktion sehen, vor allem mit dem Lightning-System. Im Moment ist das nicht der Fall. Es muss bei solchen Innovationen immer erst eine kritische Masse zusammenkommen. Dann geht es vermutlich rasend schnell.

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