Das Buffet ist eröffnet Metaverse-Machtkampf: Wer profitiert vom virtuellen El Dorado?

Obwohl sich das Metaverse noch in der Entwicklung befindet, konkurrieren die großen Tech-Unternehmen und Krypto-Plattformen bereits um Marktanteile in der digitalen Ökonomie. Ob in der Virtualität eine große Umverteilung stattfindet oder die Plattformmonopole der Big-Techs letztlich als Gewinner dastehen, hängt aber von den Usern ab.

Moritz Draht
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Denker mit VR-Brille

Beitragsbild: Shutterstock

Während des Goldrauschs im 19. Jahrhundert zogen Tausende Glücksritter zur amerikanischen Westküste, errichteten Dörfer, die zu Städten und schließlich Metropolen wurden – wie San Francisco – und hinterließen auf der Suche nach dem El Dorado Geisterstädte. Die zum Teil heute noch erhaltenen Boomtowns erzählen Geschichten vom Wunsch nach Wohlstand, von Aufstieg und Fall, der Aussicht auf ein besseres Leben und der bitteren Erkenntnis, ein Gespenst gejagt zu haben. Die meisten El Dorados entpuppten sich als Fata Morgana.

200 Jahre später ist die Suche nach dem neuen El Dorado eröffnet: das Metaverse, der virtuelle Raum, in dem die Grenzen zwischen Physischem und Digitalem durch Augmented und Virtual Reality-Verfahren (AR/VR) verschwimmen, neue Ökonomien und Netzwerke entstehen, sich weite Teile des sozialen Lebens verlagern – und die Big-Techs ihre Spitzhacken rammen.

Wer zuerst kommt …

Microsoft hat sich das Zukunftsgeschäft mit der Übernahme von Activision Blizzard 69 Milliarden US-Dollar kosten lassen, während Facebook einen Supercomputer entwickelt, der die Rechenleistung für die alles vernetzende Virtualität stemmen soll – und auch nicht mehr Facebook, sondern Meta heißt. Spieleschmiede Epic Games drängt mit der Übernahme von Harmonix ins Metaverse und Chiphersteller Nvidia hat mit der Omniverse-Plattform bereits einen Fuß in die virtuelle Ökonomie gesetzt.

Warum Unternehmen ihre Plattformmonopole besser zu früh als zu spät in der virtuellen Realität aufbauen, erklärt sich mit Blick auf die Gewinnaussichten. Laut Bloomberg wachse das “globale Metaverse-Umsatzpotenzial” bereits in 2024 auf 800 Milliarden US-Dollar an. Das Analyseunternehmen Market Research Future attestiert dem Markt bis 2030 ein Wachstum von 41 Prozent. Und der größte Vermögensverwalter für digitale Assets, Grayscale, kommt in einem Report zu dem Schluss, dass “die Marktchance, das Metaverse zum Leben zu erwecken, einen Jahresumsatz von mehr als einer Billion US-Dollar erzielen könnte”. Man ist sich einig: Das Metaverse wird groß, und davon wollen die Tech-Unternehmen den größtmöglichen Anteil.

VR wird salonfähig

Die Metaverse-Bemühungen stoßen auf eine wachsende Resonanz in der Bevölkerung. Die Bereitschaft, die noch neuen AR- und VR-Technologien zu nutzen, steigt rapide, wie eine Studie vom Digitalverband Bitkom zeigt. Der Umfrage zufolge haben 16 Prozent aller Deutschen ab 16 Jahren bereits AR-Erfahrungen, über ein Drittel wollen die Technologie künftig nutzen.

Noch empfänglicher scheinen die Deutschen für Virtual Reality. 17 Prozent nutzen VR-Brillen bereits, 41 Prozent haben ein “Nutzungsinteresse”. Hauptanwendungsbereich beider Technologien liegt im Gaming, aber auch im Bildungsbereich und für soziale Aktivitäten wie dem Besuch von Konzerten und Ausstellungen kommen die Technologien vermehrt zum Einsatz.

Das Smartphone dankt ab

AR, VR und MR mögen noch Exoten sein, die bisherige Einbindung und Umsetzung noch eher eine “Demoversion” von dem, was alles möglich ist, aber die Präsenz im Alltag nimmt weiter zu – und wird die andere Hype-Technologie der letzten Jahre allmählich aus der Öffentlichkeit verdrängen. “In zehn Jahren wird das Zentrum unseres digitalen Lebens nicht mehr das Smartphone sein, sondern vielleicht Geräte, die wie eine gewöhnliche Brille aussehen, aber Einstellungen für Virtual und Augmented Reality haben”, heißt es in einem weiteren Bitkom-Bericht.

Durch die Brille gelinst werden “Realität und computergenerierte Illusion” dem Digitalverband zufolge “so miteinander vermischt sein, dass sie kaum noch voneinander zu unterscheiden sind”. Die Realität holt die Science-Fiction-Literatur ein: “Wir werden Dinge durch Augenbewegungen oder durch Gehirnwellen geschehen lassen”, und obwohl räumlich voneinander getrennt, uns “durch haptische Technologie berühren und fühlen können”.

Krypto-Ökonomie statt Plattformkapitalismus

Massen-Metaverse oder verwaiste VR-Boomtowns: Über den Erfolg von 3D-Welten entscheiden letztlich die Nutzer:innen. Zwar steigt die Nachfrage, “die Einbeziehung der Massen wird aber nur möglich sein, wenn den Unternehmen Vertrauen entgegengebracht und eine Änderung des Verbraucherverhaltens gefördert wird”, wie Vermögensverwalter CoinShares in einem Report prophezeit.

Hier spielt die Krypto-Ökonomie als dezentrales Gegenwicht zum Plattformkapitalismus der Big-Tech-Datenkraken ihre Stärken aus. Decentraland, Axie Infinity oder The Sandbox: Auf dem Rücken der Blockchain-Technologie zeigen die ersten massentauglichen VR-Welten, welche Community-gesteuerten Alternativen sich zu den Monopolisten auftun. In ihnen profitieren an erster Stelle User, die nach dem Play-to-earn-Prinzip aktiver Teil einer größer werdenden Wirtschaftssimulationen sind – mit realem Nutzen.

Auf den Philippinen hat sich das Pokémon-trifft-Krypto-Game Axie Infinity bereits als Einkommensquelle etabliert. Viele, die durch die Pandemie ihre Arbeit verloren haben, decken mit Einnahmen aus dem Blockchain-Game ihre täglichen Bedarfsgüter. Vor der Taifunkatastrophe im Dezember kamen etwa 40 Prozent aller Axie Infinity-Gamer von den Philippinen, woran der Inselstaat mit einer eigens auf Axie-Einnahmen erhobenen Steuer mitverdient hat.

Motten zum Licht

Angetrieben wird die gigantische Geldruckmaschine auch von den digitalen Nomaden der Generation Z und Content Creators, die virtuelle Räume beleben. “Der Übergang ins Metaverse wird vor allem durch die Entwicklungsgeschwindigkeit von persönlichen Avataren und virtuellen Welten sowie deren Angebot bestimmt werden”, meint Fabian Heuschele, CEO und Mitgründer der Content-Monetarisierungsplattform Fanbase, gegenüber BTC-ECHO. Plattformen profitieren zwar an erster Stelle, “dennoch ist der Wandel von der Marken- und Kampagnen-Abhängigkeit der Creator hin zum freien Gestalten, ohne auf Werbepartner angewiesen zu sein, längst eingeleitet”.

Rory Kenny, CEO der KI-gestützten Musikplattform Loudly, erklärt BTC-ECHO gegenüber, dass “Creators eine der stärksten Brücken in das Metaverse schlagen, die ihre eigenen virtuellen Räume gestalten, in denen sich ihre Communities aufhalten, verbinden und direkt auf den Creator zugreifen können”. Sie haben eine Magnetfunktion, bauen Netzwerke auf und binden ihre Gefolgschaft an Plattformen. “Creators verfügen über großes Interesse, Zeitgeist und Einfluss auf das Publikumsverhalten und den virtuellen Standort – daher ist es sehr wahrscheinlich, dass ihr Publikum folgen wird, wenn Creators beginnen, zu Metaverse-Plattformen zu migrieren”.

NFTs als Bindeglied im Metaverse

Ein schleichender Prozess, sagt Kenny: “Der Übergang von den heutigen sozialen Medien zum Metaverse wird für viele Creators eine Herausforderung sein”. Die Geschäftsmodelle der Sozialen Medien ließen sich nicht einfach über das Metaverse stülpen. “Die Creators, die im Metaverse erfolgreich sind, werden wahrscheinlich die aufkommenden Trends aufgreifen, die spezifisch für das Metaverse sind und nichts mit dem zu tun haben, was auf Youtube oder Instagram und TikTok passiert”. Beim Metaverse handle es sich “um ein völlig neues Terrain, und es wird eine neue Kategorie von Creators entstehen”.

NFTs spielen dabei eine maßgebliche Rolle. Die digitalen Echtheitszertifikate ermöglichen den direkten Handel, Vertrieb und die Vermarktung digitaler Inhalte, von Musik, über Kunst bis Collectibles – digitale Artefakte für Avatare – und bedienen bereits einen Massenmarkt. Über die zwei größten NFT-Marktplätze auf Ethereum, OpenSea und Rarible, wurden laut CoinShares inzwischen 80,5 Millionen NFTs verkauft. Ein Gesamtumsatzvolumen von 10,3 Milliarden US-Dollar.

“Eine Win-Win-Win-Situation”

Für Kenny biete das Metaverse eine gewaltige Chance, die sich nicht nur für die großen Plattformen rentiert. “Die Win-Win-Win-Situation wird folgende sein: ein Gewinn für die Schöpfer, ein Gewinn für das Publikum und ein Gewinn für die kommerziellen Plattformen”. Die jeweiligen Gewinnerwartungen seien dabei eng miteinander verschränkt.

“Kreative sind nur dann erfolgreich, wenn sie ein ausreichend großes Publikum erreichen und eine Möglichkeit finden, den von ihnen geschaffenen Wert über die kommerzielle Infrastruktur zu monetarisieren. Das Publikum erscheint nur, wenn es den Wert der Inhalte des Schöpfers, die die Infrastruktur bereitstellt, erkennen kann. Die Infrastruktur kann nur existieren, wenn sie die Beziehung zwischen Schöpfer und Publikum erleichtert”.

Wohlstand für alle im Metaverse?

Eine schöne Vorstellung, ob sich die Umsätze aber wirklich gerecht verteilen, bleibt abzuwarten. Indem User sich für einen der zwei Gegenpole entscheiden, haben sie entscheidenden Einfluss an der Metaverse-Gestaltung. Die Krypto-Ökonomie stellt die Grundlage für selbstverwaltete Wirtschaftskreisläufe, an denen auch Nutzer:innen partizipieren, kämpft dafür mit grafisch eher holprigen Umsetzungen, die es – noch – nicht mit den Entwicklerstudios der Triple-A-Publisher und IT-Konzerne aufnehmen können. Hier klaffen Investitionslöcher, die möglicherweise von DAOs – dezentral organisierte Pendants zu Risikokapitalgebern – gefüllt werden könnten.

Profitorientierte Unternehmen dagegen haben kein Interesse an einer Umverteilung und werden Anwendungen, Medieninhalte, die Monetarisierung davon und die Art, wie Daten weitergegeben werden, zu großen Teilen auf ihren Plattformen diktieren. Sie verfügen dafür über die größeren Netzwerkeffekte und die Investitionsmittel, ein Metaverse für die Massen aufzubauen.

Die Frage, wer am meisten vom Metaverse profitiert, bleibt zunächst offen. Das Metaverse ist in vielerlei Hinsicht noch Träumerei, dem Hype müssen die VR-Welten erst gerecht werden. Auch in der Virtualität wird nicht alles zu Gold, was heute glänzt. Ob das Metaverse die Versprechen halten kann, die sich Werbe- und Unterhaltungsindustrie erhoffen, oder das gleiche Schicksal droht wie den Boomtowns, liegt letztlich in Händen der User.

Disclaimer

Dieser Artikel erschien bereits am 29. Januar dieses Jahres. Für die erneute Veröffentlichung wurde er überprüft und entsprechend angepasst.