So furchtbar spielt sich The Sandbox Der Programmierkot aus der Hölle

“The Sandbox” war ein einfaches Handy­spiel, jetzt wollen die Macher mit Stars und ­Konzernen das Metaverse erobern – ein ungeschönter Erlebnisbericht.

Giacomo Maihofer
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The Sandbox

Beitragsbild: The Sandbox

| Im Dezember letzten Jahres erreichte "The Sandbox" sein Allzeithoch. Es war plötzlich so viel wert wie einige der erfolgreichsten Videospielkonzerne der Welt.

Über vier Millionen US-Dollar zahlte eine Investmentfirma für ein Stück virtuelles Land. Jemand anderes blechte eine halbe Million US-Dollar – für eine Luxusjacht aus Pixeln. Seit letztem Sommer dringen solche Schlagzeilen von den digitalen Rändern des Blockchain-Spiels The Sandbox in die reale Welt vor, sogar bis zur Tagesschau. Was denken wohl Boomer, wenn sie hören, dass Millennials virtuelle Grundstücke kaufen – zum Preis einer realen Villa? Vermutlich: Die haben endgültig den Verstand verloren.

The Sandbox: Vom Mobile Game zum Blockchain-Spiel

The Sandbox startete 2012 als einfaches Handyspiel. Seit 2018 wird es zum Blockchain-Spiel entwickelt und vermarktet sich wie viele andere Games als Metaverse. Spätestens seit Facebook sich im Sommer 2021 in Meta umbenannte, ist der Hype um das Thema nicht mehr zu stoppen.

Ein 3D-Internet soll es werden – und alles verändern, wie wir leben, lieben, arbeiten, uns begegnen. Auf zwölf Billionen US-Dollar beziffert Goldman Sachs den jährlichen Umsatz dieses Zukunftsmarkts. Fast alle Big-Tech-Giganten bauen an ihrer Version. Trotzdem setzen viele im Wettrennen auf Underdogs wie „The Sandbox“. Der Grund, natürlich, die Blockchain.

Gebaut auf Ethereum, offen für jeden, im Besitz von allen: Das ist der Pitch von Pixowl, den Machern von The Sandbox, eine Kampfansage an Big-Tech. „Das wahre Metaverse ist ein offenes Metaverse“, rief der Gründer von ­Pixowl, Sebastien Borger, unlängst aus.

Nutzer sollten nicht in einer Plattform eingesperrt werden, sondern nach Belieben wechseln können – mit all ihren digitalen Besitztümern. Sie sollen diese Welten aktiv mitgestalten können, von ihnen profitieren.

„Das ist die Innovation, die die Blockchain bringt.“ Als den Anfang einer Ära des „wahren digitalen Besitzes“ beschreibt mir auch Mathieu Nouzareth, Vorstandsmitglied von „The Sandbox“, im Interview diese Vision.

Eigentumsrechte werden auf einem NFT hinterlegt, unabhängig vom Spiel und für jeden einsehbar auf der Blockchain. Das gilt für Avatare, Kleidung, Waffen, digitale Kunstwerke oder das knappe virtuelle Land. Gehandelt wird u. a. mit einer eigenen Kryptowährung, dem Sandtoken.

Beim Sturm auf die Big-Tech-Bastille haben „The Sandbox“ eine ganze Armee von Krypto-Start-ups im Rücken, Plattformen wie Polygon und den NFT-Marktplatz OpenSea. Mit der Macht der Blockchain wollen sie die Vorherrschaft der Internetgiganten brechen. Das ist der Traum, ein sogenanntes Web 3.0. Ein verlockendes Narrativ: Die meisten von uns lieben eine gute „Nieder mit Facebook!“-Story. Man schaltet den Mittelmann aus, alle gewinnen – besonders die kleinen Leute. So einfach, oder?

Jetzt arbeiten 200 Mitarbeiter daran

Der Hype lockt immer mehr Stars und Konzerne in dieses Blockchain-Metaverse, über 200 Partner sind es mittlerweile. Darunter Adidas, Gucci, der Rapper Snoop Dogg und HSBC, eine der größten Banken Europas. Viele haben virtuelle Grundstücke gekauft. Rechnet man die Millioneneinnahmen an Landverkäufen, NFT-Handelsvolumen und die Gesamtmarktkapitalisierung von Sand zusammen, erreichte „The Sandbox“ zu seinem Allzeithoch im November einen Gesamtwert von über sieben Milliarden US-Dollar.

Der war höher als der von CD Projekt oder Ubisoft, zwei der erfolgreichsten Videospielkonzerne der Welt. Aktuell ist der Kurs um mehr als 85% gefallen.


Dabei befindet sich das Spiel erst in der Alpha – heißt: Es ist lange nicht fertig. Und das, obwohl mittlerweile rund 200 Mitarbeiter seit vier Jahren daran werkeln. Konkurrent „Minecraft“, das erfolgreichste Videospiel aller Zeiten, wurde 2009 in zwei Jahren entwickelt – von einer einzigen Person. Und bis März 2022 durften nur Besitzer eines exklusiven NFT-Passes die heiligen Hallen des „offenen“ Metaverse bestaunen.

Season 2 öffnete im April die Pforten für den Pöbel. Ich wollte das zukünftige Mekka der Metaversianer mit eigenen Augen sehen, wissen: Was ist dran am Hype? Ist das hier wirklich ein dezentralisiertes Web 3.0.? Oder ein Wolf im Schafspelz?


Zu Beginn muss ich mir einen Avatar basteln oder aus einer Handvoll vorgefertigten Klötzchenfiguren wählen. Sie sind alle so uninspiriert. Ich nehme einfach den ersten, Acid Charlie. Der grinst dauerblöd. Muss das Acid sein, denke ich und starte meine Reise.

Dem ersten in Klötzchen gerenderten Promi begegne ich auch sofort, EDM-Star Deadmau5. Er steht in seinem Mauskostüm mit den toten weißen Augen herum, hinter ihm tanzt ein … Schlumpf? Ob ich den Season-2-Pass vor allen anderen gewinnen will, fragt mich Deadmau5. Ich habe keine Ahnung, wovon er redet.

35 Level, die miteinander verknüpft sind

Ich lerne: Durch Teilnahme an Social-Media-Contests und das Absolvieren der 200 im Spiel verteilten Aufgaben erhöhe ich meine Chance auf ein Lotterieticket für den Season-Pass. Der gibt mir Zugang zu einer Verlosung von Preisgeld von Sandtokens im Wert von 3.000 US-Dollar. Lotterietickets für absolvierte Aufgaben – klingt nach … Glücksspiel?

Bevor ich den Gedanken weiterverfolgen kann, fliegt mir ein EDM-Breakbeat um die Ohren. Ein Rapper singt in voll aufgedrehtem Autotune darüber, wie toll es ist, im Metaverse zu leben und „die Blockchain hochzuklettern“.

Er und seine Freunde staken alle Sandtokens, nananana. Okay, weg hier. Kann ja nicht schlimmer werden, denke ich. Oder?

Gegenwärtig existieren 35 Level, die über Portale mit dem Startgebiet verknüpft sind, fünf habe ich besucht. Die Entwickler nennen sie „Erfahrungen“. Übersetzt bedeutet das: Dauerwerbesendungen für NFTs, unterbrochen von grottigen Minispielen. Klassiker des Gamings: Springen, Kämpfen, Laufen. Nur auf dem Niveau eines kaputten GameBoy-Spiels aus den Neunzigern.

Ich treffe auf einen Goblin, der mir erzählt, seine Eltern hätten ihm beigebracht, dass Gewalt unhöflich sei. Dann greift er mich an – ich töte ihn.

Ich versuche, einen alten Mann aus einem Pool mit riesigen Quallen zu retten. Dabei sterbe ich öfter als im bockschweren „Dark Souls“, denn Acid Charlie springt geschmeidig wie ein Felsbrocken.

In jedem Level schwebt ein weißbärtiger „Metaverse-Guide“, eine Kreuzung aus Buddha und Zeus. Er schickt mich zu „ikonischen Orten“. Zum Beispiel: Snoop Doggs Auto.

Außerdem kann ich blaue Kristalle sammeln, was genauso aufregend ist, wie es klingt. Die Hubs werden von lauter willkürlich zusammengewürfelten Klötzchenfiguren bevölkert, die sinnloseste Sprechblasen von sich geben wie: „Das hier ist die beste Party, auf der ich war, seit Berlon Busks Geburtstag im Weltall.“ Oder einfach nur: „CBD, NFT, OMG! Fyo, ich bin in Snoops Karre hineingefomoed, imho.“

Und, meine Güte! Man muss Non-fungible-Tokens wirklich lieben, um das hier auszuhalten. Mehr als seine eigene Mutter. Von gefühlt jeder Wand starren sie einen an, die Crypto Punks, Bored Apes und Zombie Shiba Inus dieser Welt, direkt mit Link zum Marktplatz.

Es gibt ein NFT-Museum und NFT-Institut, beide meide ich (was ist denn der Rest des Spiels?). Selbst im Ladebildschirm werde ich regelmäßig daran erinnert – falls ich es kurz vergessen haben sollte –, dass man sich überall „coole NFTs“ anschauen kann.

Es gibt eine Fashionshow für alle, die „müde nach einem langen Tag NFT-Shoppings“ sind. Dort laufen Models mit Menschenkörpern und Fischköpfen an einer Stelle aus übergroßen NFTs heraus und an anderer Stelle an einem Laufsteg voller NFTs entlang. Dazu läuft ein Popsong über NFTs, dessen Hook lautet: „Buy land and sell your NFTs. Woohooo!

Das Snoop-Dogg-Fan-Quiz ist ein Highlight

Irgendwann erreiche ich das Highlight der gegenwärtigen Season 2, Snoops Fore­play. Es ist ein Vorgeschmack auf das Snoopverse. Die Hubs von Atari und Co. sind geschlossen.

Keine Überraschung: Diese Welt ist so bescheuert wie jede andere, ein riesiges Snoop-Dogg-Klischee, inklusive tiefergelegten Cabrios, das auf und ab springt, als würde es headbangen.

Vorschau des Snoopverse
Snoop Dogg ist die Hauptattraktion von The Sandbox. Er verkauft NFT-Pässe, Avatare und mehr. Quelle: The Sandbox

Immerhin ist die Musik besser, Rapbanger ohne Lyrics. Ich erlebe meinen Höhepunkt, ein Fan-Quiz über Snoop Dogg. Die Fragen beantworte ich absichtlich falsch. Snoop heißt demnach bürgerlich Karl, wurde in Island geboren und hat seinen Hit „Drop It Like It’s Hot“ mit … Bruce Springsteen geschrieben. Eigentlich bin ich einfach zu unterhalten.

Angekommen in der Villa begrüßt mich … ein NFT-Bild von Snoop Dogg mit Joint im Mund, auf dem steht: „I love NFTs“. Im Schlafzimmer der Villa treffe ich auf De Andre, einen verarmten Künstler, der auf einem Bett voller Geldscheine sitzt.

Das scheint so ein Ding im Metaverse zu sein: Regelmäßig treffe ich Affen, Roboter und auch eine Badeente, die auf Bergen aus Gold oder Cash sitzen. De Andre hat Stress mit seiner Freundin. Sie glaubt, er habe ihren Verlobungsring für – ihr ahnt es schon – ein Bored-Ape-NFT verkauft.

GZSZ für Blockchain-Stoner. Warum nicht? Ein bekiffter Dobermann im Smoking möchte, dass ich ihm ein Pastrami-Sandwich aus der Küche bringe. Zwischendrin sammle ich Dinosaurierknochen, den Grund habe ich vergessen. Für jeden Fund dankt mir Snoop aus dem Off. Ich erschrecke mich.

Ganz ehrlich: Das hier ist Programmierkot aus der Hölle. In meinen fünf Stunden in „The Sandbox“ erlebe ich nichts, was künstlerisch wertvoll ist … oder Spaß macht. Dieses Metaverse ist ein vollkommen bizarres Kinderparadies … in einer riesigen Non-fungible-Token-Mall, die die Winklevoss-Zwillinge während eines Koksmarathons errichtet haben könnten.

Ich fühle mich, als hätte jemand einen Presslufthammer zwischen meinen Schläfen installiert und versucht, mir die Botschaft „NFTs sind geil“ ins Hirn einzugravieren. Offen? Dezentral? Ich habe starke Zweifel.

Wenn ich mir das Geschäftsmodell und die Ökonomie rund um „The Sandbox“ genauer ansehe, kriege ich Bauchschmerzen. Mehr als 80 Prozent aller Tokens hat das Team für sich, seine Partner, Berater und frühe Investoren behalten. Und eine Wirtschaft rund um NFTs als Weg zur Dezentralisierung?

Eine Studie von Chainalyisis zeigte letzten Dezember: Über 80 Prozent der Non-fungible-Tokens auf der Ethereum-Blockchain sind im Besitz einer kleinen Elite. Durch Whitelists bleiben die hohen Profitmargen beim Handel meist Insidern vorbehalten.

Noch schlimmer: das künstlich verknappte virtuelle Land. Es ist eine hirnrissige Anwendung von Blockchain-Technologie. Warum? Nutzer können zwar NFT-Gegenstände kostenlos im Programm „Vox Edit“ erstellen, Rüstungen oder Waffen. Wollen sie größere Events oder Spiele anbieten, dann brauchen sie Land. Oder müssen es pachten. Zwei Drittel sind bereits verkauft. Die Preise für Parzellen gehen in die Tausender. Die Folgen sind nicht schwer abzusehen.

Map The Sandbox
Die Karte von “The Sandbox”. Virtuelles Land ist begrenzt. Stars und Konzerne haben sich hier eingekauft, teilweise für Millionenpreise. Quelle: The Sandbox

Man braucht nur zu „Axie Infinity“ zu schauen, dem anderen aktuellen Top-Blockchain-Spiel. Dort können Spieler Monster züchten, sie als NFTs verkaufen. So verdienen Menschen in ärmeren Ländern wie den Philippinen mittlerweile ihren Unterhalt. Um loszulegen, brauchen sie drei Axies, zeitweise kosteten die 1.500 US-Dollar.

Sogenannte „Schüler“ ließen sich von reichen Spielern (meist aus dem Westen) den Eintritt finanzieren, für einen Löwenanteil ihrer Einnahmen. Ärmere NFT-Bastler in „The Sandbox“ könnten ähnlich abhängig von Landbesitzern werden.

Dabei kann jeder Sechsjährige heute in „Roblox“ eigene Klötzchenspiele bauen und verkaufen, er zahlt zwar eine höhere Kommission (30 statt fünf Prozent), muss sich aber nicht mit Landbesitz rumschlagen.

Wer ambitionierter ist, kann jederzeit kostenlos (!) auf die Unreal Engine 5 zugreifen, den stärksten virtuellen Baukasten der Welt, er ist relativ einfach zu bedienen. Man kann genauso Assets bauen und verkaufen, sogar CGI-Filme, ganze Videospiele, eigentlich alles. Die größten Games-Konzerne und Hollywoodstudios nutzen für ihre Werke dieses Programm. Erst ab einem Gewinn von einer Million US-Dollar verlangt Epic Games eine Kommission, fünf Prozent.

Das Problem mit dem digitalen Besitz

Und das große Versprechen von „wahrem digitalem Besitz“ hat einen riesigen Haken. Momentan lassen sich NFTs auf der Blockchain nicht von einer Welt in die nächste mitnehmen. Vielleicht wird das nie möglich sein. Oder nur zu sehr fragwürdigen Bedingungen.

Erstens: Spielemacher würden ihre eigenen Einnahmen kannibalisieren, wenn sie es erlauben, dass man Gegenstände aus anderen virtuellen Welten in ihre mitnimmt. Zweitens: Wer bringt bitte schön ein „Zelda“-Schwert mit zu einer „Call of Duty“-Schießerei? Drittens: Namhafte Game-Designer zweifeln daran, dass das technisch jemals möglich sein wird.

Selbst so etwas Banales wie einen Würfel von einer virtuellen Welt in eine andere zu übertragen, sei ein Minenfeld, erklärte jüngst Rami Ismael. „Jedes Spiel, das dies ermöglichen möchte, müsste sich auf eine Milliarde Dinge einigen: Schwerkraft, Größe, Achsen, Licht, Rendering, alles.“

Ein Actionspiel wie „God of War“ braucht andere Verhältnisse als „Super Mario“. Auf das Problem angesprochen erklärt mir „The Sandbox“-Vorstandsmitglied Mathieu Nouzareth, diese Darstellung sei nicht ganz richtig. Es stimme zwar, dass man einen Weg finden müsste, jedes NFT von der Blockchain in ein Spiel zu transferieren. „Wir arbeiten aber daran, technische Brücken zwischen Blockchain-Spielen zu bauen“.

„Wahrer digitaler Besitz“, den man in virtuelle Welten mitnehmen kann, scheint eigentlich nur unter zwei Bedingungen vorstellbar: Entweder die Metaversen gehören einer Firma oder einem Konglomerat von Unternehmen, die dasselbe Profitinteresse teilen. Hier kommen wir der Wahrheit hinter dem Blockchain-Games-Narrativ vermutlich etwas näher.

Die Macher von „The Sandbox“ wurden 2018 vom Konzern Animoca Brands aus Hongkong gekauft. Animoca gehören zu den Vorreitern der ganzen Blockchain-Games-Bewegung, haben in fast alle anderen gegenwärtigen Erfolgs-Start-ups investiert, insgesamt über 150 Stück, darunter „Axie Infinity“ und „Decentraland“. Sie sind auch Partner im April gelaunchten Bored-Ape-Metaverse von Yuga Labs, dessen Ape Coin direkt zum Launch mehrere Milliarden US-Dollar wert war.

Es gibt wirklich dezentrale Projekte im Web-3.0.-Space, auch sinnvolle Anwendungen von NFTs. Wenn ich mir die riesige FOMO-Gelddruckmaschine „The Sandbox“ und das Krypto-Ökosystem drumherum anschaue, muss ich aber eher an die kürzliche Warnung von Ex-Twitter-CEO Jack Dorsey denken: „Das Web 3.0. wird euch nicht gehören. Sondern den Venture Capitalists und ihren Partnern. Es wird niemals ihren Interessen entkommen. Es ist letztlich eine zentralisierte Entität. Nur unter anderem Label. Wisst einfach, worauf ihr euch einlasst.“

Disclaimer

Dieser Artikel erschien bereits in der April-Ausgabe des BTC-ECHO Magazins.

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