Der große Vergleich  So viel Dotcom-Blase steckt im aktuellen Kryptosektor

Droht dem Kryptosektor der Dotcom-Moment? Manch vermeintlicher Marktexperte kommt jedenfalls zu dieser Einschätzung. Inwiefern sich die Internet- und Blockchain-Ökonomie überhaupt vergleichen lassen, was uns die Nutzerzahlen über die Technologie-Etablierung verraten und warum Bitcoin nicht Netscape 2.0 ist.

Sven Wagenknecht
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Beitragsbild: Shutterstock

| Bitcoin wurde schon oft als Blase bezeichnet. Doch lassen sich auch Parallelen zur Dotcom-Blase ziehen?

Kryptowährungen und Tech-Aktien sind im Zuge des negativen Makroumfeldes – Inflation, steigende Leitzinsen, Rezessionsangst und hohen Bewertungsniveaus – zusammengebrochen. Zwischen 50 und 90 Prozent haben die meisten Kryptowährungen und Tech-Aktien zum Allzeithoch verloren. Doch auch außerhalb der Krypto-Branche sind viele Sektoren massiv unter Druck geraten. Immer öfter hört man daher von namhaften Investoren, dass sie die aktuelle Situation mit der Dotcom-Blase gleichsetzen. Doch wie sinnvoll ist dieser Vergleich, insbesondere mit Blick auf den Kryptosektor?

ICO-Blase 2.0?

Während das Internet eine Infrastruktur zum Transferieren von Informationen ist, ist die Blockchain eine Infrastruktur für den Wertetransfer, daher der Ausdruck “Internet of Value”. Auf beiden Infrastrukturen entstehen Unternehmen, die neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Dies hat zur Folge, dass sich viele Projekte gründen, ergo auch viel Geld einsammeln, um bestimmte Dienstleistungen in der Zukunft anzubieten. Soweit die Theorie.

Mit dem Platzen der ICO-Blase Ende 2017 beziehungsweise Anfang 2018 gab es einen Zusammenbruch, der dem Platzen der Dotcom-Blase in puncto Kurskorrektur in nichts nachstand. Allerdings waren die Internetunternehmen Anfang der 2000er Jahre deutlich näher an einer kommerziellen Umsetzung als die ICOs von 2017.

Folglich ließe sich argumentieren, dass die ICO-Blase nur eine Art Krypto-Vorläuferblase zu einer noch größeren Blase war. Zwar ist die aktuelle Korrektur bei Kryptowährungen primär auf makroökonomische Auslöser zurückzuführen, ergo weniger selbstreferenziell begründet als die Kurskorrektur von Internetunternehmen während der Dotcom-Blase. Doch bedeutet dies nicht, dass es nicht zu einem langanhaltenden Bärenmarkt kommen kann, weil die Krypto-Projekte es nicht schaffen, nachhaltig kommerziell erfolgreiche Geschäftsmodelle aufzubauen. Demnach wäre der aktuelle Kurszusammenbruch zwar durch makroökonomische Faktoren ausgelöst worden, ein Ausbleiben einer Trendumkehr wiederum, in dem Sektor selbst begründet.

Krypto-Adoption: Wo stehen wir zeitlich?

Vergleicht man die Blockchain-Etablierung, dann stehen wir aktuell ungefähr dort, wo sich das Internet um das Jahr 1998/1999 befand. Soll bedeuten, es nutzen heute so viele Menschen Krypto-Anwendungen auf dieser Welt wie es kurz vor der Jahrtausendwende Internetnutzer gab.

Quelle: World Bank, Crypto.com | Die Anzahl der Internet- und Krypto-Nutzer im zeitlichen Vergleich.

Allerdings muss man hier einwenden, dass die sogenannte Adoption schneller vorangeht als bei dem Internet. So zeigt der folgende Chart von Krypto-Investor Raoul Pal die Adoptionsrate im Vergleich zum Internet:

Sollte das Modell stimmen, dann dürfte es nicht mehr weit sein, bis die Krypto-Etablierung auf dem gleichen Adoptions-Stand ist, wie das Internet zur Dotcom-Blase. Diese zeitliche Einordnung, gemessen an den Nutzerzahlen, muss allerdings noch nichts darüber aussagen, ob der aktuelle Kryptosektor einer vergleichbaren Blase ähnelt wie damals das Internet.

Gartner Hype Cycle: Wie viel Substanz steckt im Kryptosektor?

Dazu ist es notwendig sich die Reife der Anwendungen anzuschauen, ergo zwischen Hype und Substanz zu unterscheiden. Dabei kann der Gartner Hype Cycle helfen, der Innovationen nach ihrem Reifegrad einordnet:

Quelle: Gartner Blog Network | Das Technologie-Analysehaus Gartner untersucht den Reifegrad bestimmter Anwendungen. Der Hype Cycle gibt dabei die idealtypische Entwicklung in ihren einzelnen Phasen wider, bis sie sich in der Breite etabliert.

Die aktuelle Version vom Hype Cycle ist nun ziemlich genau ein Jahr alt (Juli 2021). Demnach müssen die allermeisten Krypto-Anwendungen noch durch ein Tal der Enttäuschung. Soll bedeuten, das Gros der Krypto-Anwendungen ist auf einem Level der besonders hohen Erwartungen. Erfahrungsgemäß ist davon auszugehen, dass jene Innovationen den überzogenen Erwartungen nicht standhalten können, ergo nun in eine Blasenbildung hereinlaufen oder bereits hereingelaufen sind. Eine Betrachtungsweise, die durchaus eine Parallele zur Dotcom-Blase naheliegt.

Allerdings zeigt die Grafik auch unterschiedliche Zeiträume an, die notwendig für eine kommerzielle Etablierung der einzelnen Anwendung sind. Stablecoins zum Beispiel haben nur noch eine besonders kurze Entwicklungszeit (< 2 Jahre) bis zur Etablierung in der Breite. Auch NFTs blicken mit einer erwarteten Entwicklungszeit (2 bis 5 Jahre) einer schnellen Adoption entgegen. Die beiden Beispiele zeigen, dass es wichtig ist, den Kryptomarkt in Sektoren zu unterteilen.

Daraus lässt sich wiederum schließen, dass es genug Anwendungen gibt, die es verhindern, dass der Kryptomarkt stagniert oder eine größere Welle der Enttäuschung losgetreten wird. Demnach braucht man keine Angst vor einem fundamental gerechtfertigten Bärenmarkt haben – externe, makroökonomische Einflüsse ausgenommen.

Vergleichbarkeit problematisch

Ein großer Unterschied zur Dotcom-Blase ist die gestiegene Markteffizienz im Sinne der Verfügbarkeit von Informationen. Durch das Internet sind Krypto-Investoren heute schneller informiert und Dynamiken sowie Kurse können sich schneller entwickeln. Daraus lässt sich die Annahme ableiten, dass sich Zyklen schneller entwickeln, ergo eine Blasenbildung beispielsweise schneller vonstattengeht als noch Anfang der 2000er Jahre. Dieser Umstand erschwert wiederum einen Vergleich zwischen der Preisbildung von Kryptowährungen und der Preisbildung von damaligen Internetaktien.

Ein ebenfalls wichtiger Unterschied ist in den Bewertungsniveaus auszumachen. Durch die signifikante Ausweitung der Geldmenge ist eine Unternehmensbewertung von 100 Millionen US-Dollar heutzutage nicht mehr das Gleiche wie noch zur Jahrtausendwende. Diese und andere Beispiele zeigen, dass sich die Rahmenbedingungen deutlich geändert haben. Ein Vergleich wird damit umso schwieriger.

Bitcoin ist nicht Netscape 2.0

Insbesondere Krypto-Kritiker neigen dazu, Bitcoin mit dem Netscape Browser beziehungsweise AOL zu vergleichen. Zu Anfang des Internetzeitalters war Netscape das, was heute Google ist. Der inzwischen gescheiterte Webbrowser gilt als Symbol für verheißungsvolle Marktführer, die letztlich doch von der Konkurrenz verdrängt werden.

Bei einem Utility-Token-Projekt könnte man diesem Vergleich unter Umständen etwas abgewinnen. Bei Bitcoin geht es allerdings nicht um ein Unternehmen. Genauso wenig wie Gold oder Silber in den letzten Jahrhunderten von anderen Edelmetallen verdrängt worden sind, ist ein Netscape-Moment bei Bitcoin ebenfalls sehr unwahrscheinlich.

Der Track Record und die Dezentralität von Bitcoin lassen sich nicht durch Innovation einfach einholen. Bitcoin muss eben nicht effizient oder besonders skalierbar sein. Genau das ist seine Stärke. Nicht umsonst ist Bitcoin mit 45 Prozent Marktdominanz die unangefochtene Krypto-Leitwährung. Gerade das Phänomen Bitcoin, das sich nicht in die Logik von Unternehmensbewertungen einordnen lässt, macht den Vergleich zwischen Internet und Krypto so schwer.

Finanzmarktblasen sind wünschenswert

Die Internet- und Blockchain-Ökonomie haben gemeinsam, dass über 90 Prozent aller Projekte scheitern. Da die Hürden zum Aufsetzen einer Kryptowährung deutlich niedriger sind als die Gründung eines traditionellen Unternehmens, dürfte die Fail-Quote im Kryptosektor sogar deutlich über dem des Internetsektors liegen.

Schlimm ist das allerdings nicht. Blasen und Übertreibungen sind sogar notwendig, um visionäre Technologien sowie Projekte mit ausreichend Aufmerksamkeit, Kapitel und klugen Köpfen auszustatten. So gibt es und wird es noch viele Blasen im Kryptosektor geben, und das ist auch gut so.

Dotcom und Krypto: Ein schwieriger Vergleich  

Das muss allerdings nicht bedeuten, dass es auch zu dem großen Dotcom-Moment kommt. Es ist deutlich wahrscheinlicher, dass der Kryptosektor in der aktuellen Marktphase nicht in eine längere Stagnation wie zu Zeiten der Dotcom-Bubble übergeht. Selbst dann nicht, wenn die Weltwirtschaft vorerst auf Rezessionskurs eingestellt ist.

Es ist gegenwärtig immer noch viel Geld sowie Innovation im Markt, als dass mit einer langjährigen Stagnation der Kurse wie bei den Internetunternehmen Anfang der 2000er Jahre zu rechnen ist. Vor allem aber: die Adoptionsgeschwindigkeit von Krypto ist höher als die des Internets. Die Gefahr einer längeren Durststrecke wird damit ebenfalls reduziert.

Zumal sich eine erfolgreiche Krypto-Etablierung nur bedingt an den Kursen ablesen lässt. So können die Kurse der Kryptowährungen fallen, während der reale und kommerzielle Nutzen der Projekte steigt.

Das Fazit

Trotz einiger Parallelen zwischen der Internet-Blase und dem Kryptomarkt, braucht es schon recht viel Phantasie, um konkrete Ableitungen zu treffen. Die anderen Rahmenbedingungen sowie das Phänomen Bitcoin machen eine Vergleichbarkeit zum Internet schwer. Vergleichscharts zur Nutzer-Adoption wie weiter oben im Artikel können der Einordnung dienlich sein, doch sollte man vorsichtig sein, daraus vermeintlich objektive Aussagen zu treffen.  

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