Alexander Bechtel: Am 16. April hat die Libra Association ein neues White Paper veröffentlicht und konzeptionelle Änderungen am Libra-Projekt angekündigt. Was sind die größten Unterschiede zum initialen Konzept (Libra 1.0), das im Juni 2019 vorgestellt wurde?
Jonas Groß: Eine der wichtigsten Änderungen des neuen Libra-Konzepts (Libra 2.0) ist es, dass man davon abgekommen ist, einen reinen Libra-Token, der durch einen Währungskorb auf Basis verschiedener Fiat-Währungen, besichert ist, zu nutzen. So wurde von der Libra Association – dem Konsortium hinter Libra – angekündigt, auch einen Libra-Euro bzw. Libra-US-Dollar einzuführen. Diese Token werden dann mit Euro bzw. US Dollar vollständig besichert werden. Durch diese Änderung geht die Libra Association einen Schritt auf Regulatoren zu, sodass Libra möglicherweise tatsächlich eines Tages starten kann.
Alexander Bechtel: Die Libra Association hält also neben dem Libra-Euro und Libra-US-Dollar etc. weiterhin am Konzept der Besicherung durch einen Währungskorb fest. Wo liegt hierbei der Unterschied zu Libra 1.0?
Jonas Groß: Im Rahmen der Konzeptanpassung für „Libra 2.0“ wurde angekündigt, dass es weiterhin einen Libra-Coin, also einen sogenannten Multi-Currency Stable Coin, der mit mehreren Fiatwährungen gedeckt sein wird, geben soll. Dieser Multi-Currency Stable Coin soll aus den verschiedenen Single-Currency Stable Coins, also dem Libra-Euro oder Libra-US-Dollar bestehen. Angenommen, das Libra-Projekt würde mit dem Libra-Euro und dem Libra-US-Dollar starten, dann würde sich der Multi-Currency Libra Coin aus diesen beiden Stable Coins zusammensetzen.
Alexander Bechtel: Ein wesentlicher Vorteil der Änderungen des Libra-Konzepts ist es, dass nun eine größere Auswahl an Währungen zur Verfügung steht. Somit kann sich ein Kunde beispielsweise für den Libra-Euro entscheiden, wenn er Geld in Euro sparen möchte. Wenn ein Kunde allerdings Geld ins Ausland überweisen möchte, kann nun der Multi-Currency Libra Coin gewählt werden, da dieser Token stabiler sein wird als die häufig sehr schwachen Währungen in Schwellen- und Entwicklungsländern. Diese Vorteile sind aber nur gegeben, wenn man in Deutschland auch Zugriff auf den Multi-Currency Libra Coin hat. Das ist aktuell nicht klar. Der Erfolg des Libra-Projekts hängt generell auch davon ab, wie einfach und günstig es sein wird, Libra-Euro in Libra-US-Dollar oder auch in den Multi-Currency Libra Coin umzutauschen. Wenn hierfür hohe Transaktionsgebühren bezahlt werden müssen oder eine Überweisung besonders lange dauern sollte, würde das gesamte Libra-Netzwerk, das geringe Transaktionsgebühren und eine hohe Transaktionsgeschwindigkeit verspricht, weniger genutzt werden.
Was ist denn das genaue Geschäftsmodell hinter Libra? Wie möchten die Mitglieder der Libra Association Geld verdienen?
Jonas Groß: Für die Libra Association gibt es verschiedene Einnahmequellen. Eine davon sind Transaktionsgebühren. Das Libra-Projekt zielt darauf ab, anderen Wettbewerbern im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr das Geschäft streitig zu machen. Gemäß aktueller Daten der Weltbank kosten grenzüberschreitende Zahlungen aktuell im Durchschnitt 7% Transaktionsgebühr. Diese Transaktionsgebühren sind vor allem für arme Menschen häufig nicht zu stemmen. Hier möchte die Libra Association bessere Konditionen bieten. Man kann auf jeden Fall erwarten, dass Libra-Transaktionskosten deutlich günstiger sein werden als 7 Prozent. Diese Einnahmen werden dann der Libra Association zugutekommen.
Alexander Bechtel: Allerdings gibt es aktuell bereits Fintechs, die genau diesen Markt adressieren und Gebühren im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Zahlungen senken möchten, wie beispielsweise Transferwise oder Revolut. Diese Teilnehmer verlangen aktuell 2 Prozent bis 3 Prozent Gebühren – Libra wird hier vermutlich noch billiger sein. Zudem dauert es im Falle von Transferwise relativ lange, bis die Überweisungen tatsächlich durchgeführt werden. Bei Revolut gibt es nur eine eingeschränkte Anzahl an Währungen, die für Geldtransfers genutzt werden können. Hier kann Libra auf jeden Fall einen Mehrwert bieten. Auf der anderen Seite sollen natürlich auch die Transaktionskosten gerade für Menschen in Entwicklungsländern annähernd Null sein, oder vielleicht sogar Null. Deshalb frage ich mich, ob Transaktionsgebühren tatsächlich eine signifikante Einnahmequelle darstellen werden.
Jonas Groß: Zumal man bedenken muss, dass die Libra Association aktuell aus 23 Partnern besteht – das heißt alle Einnahmen werden am Ende noch durch 23 geteilt.
Alexander Bechtel: Was sind weitere Einnahmequellen der Libra Association?
Jonas Groß: Die zweite Einnahmequelle sind die Zinseinkünfte aus den zugrundeliegenden Staatsanleihen. Wir wissen, dass eine Libra-Einheit, egal ob Libra-Euro, Libra-US-Dollar oder Libra Coin, durch 80 Prozent Staatsanleihen und 20 Prozent Bankeinlagen oder Bargeld gedeckt sein wird. Somit steckt hinter Libra ein sehr großes Volumen an Staatsanleihen.
Alexander Bechtel: Vor allem in der Eurozone notieren derzeit einige Staatsanleihen negativ, US-Staatsanleihen sind gerade auf dem Weg dorthin. Die Libra Association wird vor allem sehr kurzlaufende Staatsanleihen, also bis zu drei Monaten Fälligkeit, kaufen, die aktuell häufig bereits negativ notieren. Möglicherweise könnte aus dieser zusätzlichen Einnahmequelle in Zeiten positiver Zinsen auch ein zusätzlicher Kostenpunkt werden. Sollten die Staatsanleihen in der Libra Reserve negative Zinsen abwerfen, müssten die Kosten umgeleitet werden. Dann müsste die Libra Association die Transaktionsgebühren erhöhen, um diese Kostenposition auszugleichen. Auf diese Art und Weise entsteht eine bislang einzigartige Verbindung zwischen dem allgemeinen Zinsniveau in der Wirtschaft und den Libra-Transaktionskosten.
Da Libra auf einer Distributed Ledger Technologie (DLT) basiert, handelt es sich bei den Libra-Token um sogenanntes „programmierbares Geld“. Was würde es bedeuten, den Euro auf die Libra-Blockchain zu bringen?
Jonas Groß: Ein wichtiger Vorteil von Blockchain-Systemen ist, dass man Geld durch Smart Contracts programmierbar machen kann. So kannim Code definiert werden, dass wenn ein bestimmtes Event eintritt, ein Folgeevent ausgelöst wird. Hierzu ein Beispiel: Wenn ich als Privatperson ein bestelltes Paket erhalten habe und die Daten im Hintergrund auf eine Blockchain gespeichert werden, dann könnte ich den Erhalt der Bestellung per digitaler Identität, z.B. per Fingerabdruck, bestätigen. Durch diese Bestätigung könnte im Hintergrund automatisch ein Zahlungsprozess ausgelöst werden. Das verspricht enormes Automatisierungspotential.
Alexander Bechtel: Wenn Libra tatsächlich eines Tages starten sollte, könnte es digitalen Zentralbankwährungen (CBDCs) Konkurrenz machen?
Jonas Groß: Im Konzept Libra 2.0 wurde von der Libra Association hierzu klar gesagt, dass man digitale Zentralbankwährungen einfach in die Plattform integrieren kann. Somit könnte beispielsweise anstelle des Libra-Euros eine Euro-CBDC von der Europäischen Zentralbank (EZB) verwendet werden.
Alexander Bechtel: Ich kann mir das ehrlich gesagt nicht vorstellen, zumindest wenn ich dem Glauben schenke, was vonseiten der Zentralbanken zu hören ist. Die sagen nämlich, sie wollen das Grundgerüst unseres Zahlungssystems selbst bauen und sich nicht auf den Privatsektor verlassen.
Was ist für dich der größte Unterschied zwischen Libra und Bitcoin?
Jonas Groß: Bitcoin ist sehr dezentral und zensurresistent. Anders als Libra. Libra wird von wenigen Unternehmen, wie z.B. Facebook/Calibra, Spotify oder Uber, betrieben, die teilweise enorme Marktmacht besitzen. Diese Unternehmen schreiben die Regeln vor, wer die Plattform nutzen darf. Somit können – und werden – aktiv Nutzer ausgeschlossen werden. Somit sind zwei wichtige Blockchain-Eigenschaften bei Libra nicht mehr gegeben. Worin für mich ein Vorteil des Libra-Netzwerks liegt, sind Smart Contracts – also das Thema programmierbares Geld. Außerdem ist das Geldangebot anders ausgestaltet. Bei Bitcoin ist die Geldmenge auf maximal 21 Millionen Bitcoin-Einheiten begrenzt. Bei Libra wird das Geldangebot nachfragegetrieben festgesetzt. Somit kann das Libra-Geldangebot bei sehr hoher Nachfrage sehr groß werden.
Alexander Bechtel: Ein Unternehmen, das häufig mit Libra verglichen wird, ist PayPal. Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Unterschiede zwischen Libra und PayPal?
Jonas Groß: Ein Hauptunterschied ist die technologische Basis. Libra basiert im Gegensatz zu PayPal auf einer DLT. Der zweite Unterschied wird in Schwellen- und Entwicklungsländern deutlich. Ziel von Libra ist es, die finanzielle Inklusion zu fördern und Transaktionsgebühren für grenzüberschreitende Zahlungen zu senken. Überweisungen per PayPal sind zwar meist für den Endkunden kostenfrei, allerdings wird im Hintergrund ein Bankkonto oder eine Kreditkarte benötigt. Allerdings besitzt die eigentliche Zielgruppe von Libra, nämlich Personen ohne Zugang zum Finanzsystem, häufig kein Bankkonto, keine Kreditkarte und möglicherweise nicht einmal ein Ausweisdokument. Hier könnte Libra enorme Vorteile im Vergleich zu PayPal zu bieten.
Alexander Bechtel: Paypal ist für den Endkunden zwar meist kostenlos. Im Hintergrund ist es aber relativ teuer, denn für den Händler ist es weit davon entfernt, kostenfrei zu sein. Gerade für Händler könnten somit Anreize geschaffen werden, um auf die Libra-Plattform zu wechseln und auf diese Art und Weise Kosten zu sparen. Wann, denkst du, wird Libra live gehen?
Jonas Groß: Die Änderungen im angepassten White Paper zeigen, dass es bei Libra voran geht. Bei Libra 1.0 hieß es noch, dass man im ersten Halbjahr 2020 live gehen möchte. Das ist aufgrund des geänderten Konzepts unrealistisch geworden. Ich persönlich glaube auch, dass es unwahrscheinlich ist, dass Libra noch 2020 auf den Markt kommen wird. Zwar hat die Libra Association bereits einen Antrag bei der Schweizer Finanzmarktaufsicht FINMA eingereicht, um als Zahlungssystem reguliert zu werden. Allerdings ist die Schweiz nicht Teil der EU und dementsprechend gelten aller Voraussicht nach die Passporting-Regeln nicht. Das heißt, selbst wenn Libra in der Schweiz relativ schnell eine Lizenz bekommen würde, müsste man auch bei der BaFin noch eine Lizenz beantragen und genehmigt bekommen, um in Deutschland starten zu dürfen.
Alexander Bechtel: Danke für das Interview.
Das gesamte Interview könnt ihr hier auf Spotify nachhören.