Begrabt den Hype endlich! Im Metaverse leben? Lieber esse ich Steine

Das Metaverse war einst als satirische Dystopie gedacht. Doch die Tech-CEOs dieser Welt verstehen scheinbar keine Witze. Eine Glosse.

Giacomo Maihofer
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Beitragsbild: picture alliance / Xinhua News Agency | Zheng Huansong

Das Metaverse kommt. Und ich fiebere seiner Ankunft ungefähr so enthusiastisch entgegen wie ein an den Gleisen gefesselter Gefangener einem Zug, den er auf sich zurollen sieht. In fünf bis zehn Jahren soll es angeblich so weit sein. Seit Facebook sich letzten Sommer in Meta umbenannte und verkündete, seine tausenden von Mitarbeiter werden nun mit aller Kraft an dieser schönen digitalen Dystopie, sorry, aufregenden Zukunft, arbeiten, reiht sich eine lächerliche Prognose an die nächste: Mehrere hunderte Milliarden US-Dollar soll es in ein paar Jahren erwirtschaften, prophezeit Epic Games-Chef Tim Sweeney. Womöglich noch wichtiger als Internet und Buchdruck zusammen werden, setzt der Journalist Richard Gutjahr oben drauf.

Der Teufel scheißt auf den größten Haufen, pflegte eine meiner Tanten immer zu sagen. Nun: Tech-CEOs scheinbar auch. Unter dem Begriff Metaverse stapelt sich der Bullshit gefühlt bis zum Himmel. Jeder noch so aberwitzigen Idee werden unter diesem Label gerade Millionen und Milliarden hinterhergeworfen. Es werden Patente fürs Metaverse von Nike bis Gucci angemeldet, virtuelle Landstriche in Metaverse-Games wie “The Sandbox” für Unsummen gekauft. Für die Metaverse-Propheten scheint die neue digitale Welt so etwas wie der Klebstoff zu sein, der all die profitablen Mega-Hypes unserer Zeit einmal zusammenbinden soll, von NFTs, Blockchain bis Virtual Reality. Und sie haben offensichtlich etwas zu heftig daran geschnüffelt.

Die bereits durch Smartphones immer brüchiger werdenden Grenzen zwischen analoger und digitaler Welt sollen durch das Metaverse komplett eingerissen werden. Wir existieren dann 24-7 online, arbeiten, leben und lieben im Metaverse, switchen mit unserem VR-Headset von einer digitalen Welt zur nächsten. Alle diese Metaversen sind natürlich miteinander verbunden – am besten per Blockchain. Dann, endlich!, können wir mit unseren digitalen Avataren auf ein virtuelles Justin-Bieber-Konzert gehen und die dort für irgendwelche Shitcoins gekaufte Gucci-NFT-Handtasche später einem Drachen in “World of Warcraft” um die Ohren hauen. McDonalds kündigte an, Metaverse-Filialen zu bauen, damit wir uns nicht mal mehr ausloggen müssen, um einen Big Mac zu bestellen. Fehlen für das perfekte Glück nur noch Metaverse-Windeln.

Das Metaverse gab es schon – es scheiterte

In so einer total durch digitalisierten Welt leben? Lieber würde ich Steine essen. Und ich sage das als jemand, der viel Zeit in Games verbringt. Meine Mutter musste mir schon als Kind regelmäßig den Game Boy entreißen. In einem Game Boy leben will ich trotzdem nicht. Und schon gar nicht in der verdammten Matrix. Glücklicherweise zeichnet sich ab, dass der Hype um das Metaverse langsam abflacht. Nicht nur sind die Google-Suchanfragen zum Thema im Sinkflug. Immer mehr Tech-Größen und Game Designer zerpflücken die Idee.

Kommt einem das alles bekannt vor? “Second Life” ermöglichte schon 2003, wovon Zuckerberg und Co. heute träumen.

Denn was an Metaverse-Ideen umsetzbar ist, das gab es schon – und scheiterte. Eine virtuelle Welt, in der man als 3D-Avatare leben, daten und sich von Konzernen wie Toyota mit Werbung bombardieren lassen kann? Das ermöglichte “Second Life” vor zwanzig Jahren. Der Erfolg währte kurz. Der Erfinder des Spiels sagte kürzlich im Interview: Man habe überschätzt, wie viel Zeit Menschen wirklich in solchen virtuellen Welten verbringen wollen. Das Metaverse sieht er höchstens als Nische. Die aktiven Spielerzahlen von gegenwärtigen Metaverse-Hype-Games wie “Decentraland” und “The Sandbox” dümpeln bezeichnenderweise bei einigen tausend Leuten herum.

Das Metaverse war als Dystopie gedacht

Und das große neue Versprechen, dass man seinen Avatar und all seine Besitztümer von einer Metaverse-Welt in die nächste mitnimmt, ist technisch gar nicht umsetzbar. Virtuelle Gegenstände haben in jeder Spielewelt ganz andere Eigenschaften, sind nicht kompatibel. John Carmack, Erfinder von “Doom“, warnte schon: Das Metaverse sei eine “Honigtopffalle für Architektur-Astronauten”, die die Dinge nur von der höchsten Ebene betrachten wollten. Gabe Newell, Chef der größten PC-Spieleplattform Steam, war noch harscher: “Die meisten Leute, die vom Metaverse reden, haben absolut keine Ahnung, wovon sie reden.”

Auch Virtual Reality ist seit ihrem Start vor zwanzig Jahren nie wirklich im Mainstream angekommen. Kaum jemand will damit spielen. Maximal ein oder zwei Stunden. Selbst wenn die Technologie besser werden sollte: Das Bedürfnis mit einer riesigen um den Kopf geschnallten Brille zu leben, dürfte bei den meisten Menschen ziemlich gering bleiben. Wer will schon beim Meeting im Home Office plötzlich ein Hologramm seines Chefs im Wohnzimmer auftauchen sehen?

Der Schriftsteller Neal Stephenson, der den Begriff des Metaverse in seinem Buch “Snow Crash” 1992 erfand, erinnert momentan wieder daran: Er wollte keine Blaupause für unsere Gesellschaft entwerfen, sondern eine satirische Sci-Fi-Dystopie. Doch die Tech-CEOS dieser Welt verstehen scheinbar keine Witze.

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