Die Idee der DAO – Von Missverständnissen und Potentialen

Was ist eine DAO? Was hat die Decentralized Autonomous Organization mit Bitcoin und der Blockchain-Technologie zu tun? Ist sie wirklich unabhängig und welche Rolle spielen die Shareholder? Ein Gastbeitrag von Professor Dr. Markus Büch von der FOM Berlin.

Prof. Dr. Markus Büch
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Beitragsbild: Shutterstock

Die Figur der Decentralized Autonomous Organization (DAO) hat einen hohen Stellenwert im Universum der Distributed-Ledger-Technologien. Obwohl der Begriff in der Community mehr als bekannt ist, bleibt vieles im Unklaren. Zudem bestehen viele Missverständnisse oder Fehlvorstellungen. Jeder, der sich mit der Technologie der verteilten Systeme beschäftigt, kann zwar mit der Bezeichnung „DAO“ etwas anfangen, gleichwohl werden die Begriffe „Dezentral“, „Autonom“ und „Organisation“ fehlinterpretiert.

Bei der DAO ist es wie mit einem Elefanten: leicht zu erkennen, aber schwer zu beschreiben.

Dezentral: Die Frage der Macht

Dass eine Organisationsstruktur, die auf der technologischen Grundstruktur eines vollvermaschten Netzwerks (P2P) basiert, als dezentral bezeichnet werden kann, ist nachvollziehbar. Obgleich schon der Begriff „dezentral“ keinen eigenständigen Bedeutungsgehalt aufweist, da er nur eine Negativabgrenzung von „Zentral“ ist. Doch wird dem Begriff der Dezentralität im DAO-Kontext eine Bedeutung beigemessen, die über die reine netzwerkartige Verknüpfung hinausgeht. Vielmehr geht es bei der DAO um von sonstigen Organisationsformen abweichende Machtverhältnisse.

Im Gegensatz zu den etablierten Unternehmens- und Organisationsformen steht hier die Entscheidungskompetenz keinem begrenzten Personenkreis, sondern allen Beteiligten zu. Doch entspricht dieser Vergleich nicht ganz der Realität. Eine jede Organisation wird maßgeblich von ihren Mitgliedern und nicht von Führungspersonen geleitet. Diese sind per definitionem immer dazu bestimmt, den Willen der Organisationsbeteiligten zu vollziehen. Im Übrigen muss man dabei zwischen der operativen Tätigkeit und denjenigen Themen unterscheiden, welche zum Organisationsinneren oder zur Organisation selbst gehören.

Die Rolle der Shareholder in einer DAO

Hierüber entscheiden – Ausnahme Stiftung (Foundation) – immer die Mitglieder, Gesellschafter oder sonstige „Shareholder“. Sie dürfen im Übrigen auch jederzeit Leitungspersonen von ihren Ämtern entheben. Der scheinbar wahrgenommene systembedingte Mangel an Steuerungsmöglichkeit besteht nicht. Jede Unternehmensorganisation käme zum Erliegen, wenn über jede Entscheidung immer alle Beteiligten abstimmen müssten. Diese Funktionsweise ermöglicht Unabhängigkeit und Agilität. Zudem sind in der heutigen Zeit der Großteil der Unternehmensorganisationen dezentral. Gerade große amerikanische Online-Handelsplattformen ziehen ihre Stärke aus einer Vielzahl dezentral und unabhängig (nicht autonom!) agierender Unternehmenseinheiten. Wer wissen will, wie Dezentralität real funktioniert, sollte sich daher auch mit heutigen Konzern- und Plattformstrukturen beschäftigen und nicht allein mit der Steuerung (Governance) von P2P-Netzwerken.

Die DAO und der Minoritätseffekt

Im Übrigen ist mit einer DAO auch nicht das Problem behoben, dass bei einer Vielzahl von Personen auch wenige Personen wesentliche Entscheidungen beeinflussen können. Der Minoritätseffekt kann nicht allein durch eine Dezentralisierung neutralisiert werden. Wenn folglich mit Dezentralisierung eine neue Form der Machtbegrenzung adressiert werden soll, würde sich vielleicht empfehlen, den Aspekt der Neutralität in den Fokus zu nehmen.

In diesem Sinne wäre eine dezentrale Organisation eine solche, bei der ein Schutz vor einer Kontrolle durch Einzelinteressen oder Monopolstrukturen besteht. Vor allem ließe sich damit beispielsweise das Zusammenarbeiten von Master Nodes in einem Netzwerk auf eine reale Organisationsebene heben. Zu guter Letzt nützt auch die beste dezentrale Entscheidungsfindung nichts, wenn die Entscheidung nur zentral umgesetzt werden kann.

Autonomie – Wie unabhängig ist die Decentralized Autonomous Organization?

Dieser Begriffsbestandteil ist im Grunde eine Fehlbezeichnung, wie diese auch bei Smart Contracts anzutreffen ist. So wenig ein Smart Contract ein „Intelligenter Vertrag“ ist, so wenig ist eine DAO eine „autonome Organisation“. Zunächst ist eine DAO mehr oder weniger ein komplexer Smart Contract und daher nicht ansatzweise autonom.

Denn „Autonomie“ bedeutet „Unabhängigkeit“. Doch ist eine DAO keine Organisation, die unabhängig agiert. Dies kann sie schon nicht aufgrund der in den Smart Contracts implementieren Vorgaben.  Sie reagiert nur, weil der Smart Contract angesprochen wird. In der Folge wird lediglich die zuvor festgelegte Prozedur automatisch ausgeführt. Mithin wäre eine „DAO“ wohl eher eine Determinierte Automatisierte Organisation. Der Gedanke, dass mit „autonom“ eine Form von Künstlicher Intelligenz gemeint sei, soll hier ausgeklammert bleiben. Zuvor müsste erst einmal ein Konsens gefunden werden, was unter „Künstlicher Intelligenz“ zu verstehen ist.

DAO: Alles andere als intelligent

Eine DAO agiert jedenfalls alles andere als intelligent. Aufgrund ihrer Smart-Contract-Basis ist dies auch nachvollziehbar. Daher ist der Blickwinkel auf den Terminus „autonom“ zu ändern. Wird unter Autonomie hingegen eine spezifische Form von technologiegestützter Bestandsunabhängigkeit verstanden, würden sich für Organisationen ganz andere Möglichkeiten ergeben. Denn dies eröffnet den Weg für ein unternehmerisches Wirken mittels eigentümerloser Kooperationsebenen, die in der Tat einen Gegenpol zu den heutigen monopolartigen Plattformen bieten würden.

Organisation

Schließlich stellt sich die Frage, ob eine DAO überhaupt eine Organisation ist. Hier ist zunächst einzuwerfen, dass es jedenfalls eine von Menschen unabhängige mithin „autonome“ – rein von Algorithmen gesteuerte – Organisation bereits begrifflich nicht geben kann. Der kleinste gemeinsame Nenner aller Organisationen ist der Umstand, dass es sich noch immer um ein soziales (Kommunikations-)System handeln muss.

Eine Struktur, bei der lediglich Mehrheitsentscheidungen von einem determinierten Prozessablauf oder von einer „Künstlichen Intelligenz“ automatisiert vollzogen werden, hat damit wenig gemein. Einer so verstandenen DAO kann kein Organisationsstatus zugesprochen werden. Heutige DAO-Strukturen sind überwiegend computerprogrammgestützte Abstimmungsstrukturen. Dies ist mit Blick auf die organisatorische Vielfalt nicht gerade viel.

Die „TheDAO“-Induktion

Unweigerlich führt das Beschäftigen mit Dezentralen Autonomen Organisationen zum Phänomen „TheDAO“. Hier ist anzumerken, dass es sich schon dem White Paper nach nicht um einen „dezentralen Investmentfonds“ handelt. Vielmehr zielte die originäre Idee auf ein mithilfe der Technologie verteilter Systeme erschaffenes Unternehmen. Dieses sollte keine renditeorientierten Investments tätigen, sondern Waren und Dienstleistungen nachfragen sowie anbieten und damit wie ein „reales“ Unternehmen am Wirtschaftskreislauf teilnehmen. Daneben wird in der Diskussion zumeist von „TheDAO“ auf eine feststehende Grundstruktur geschlossen.

Doch war „TheDAO“ nur ein Anwendungsfall von einer Vielzahl möglicher Varianten. Bereits aus der Turing-Vollständigkeit der Smart-Contracts-Architektur lässt sich ableiten, dass es unbegrenzte Möglichkeiten gibt, eine DAO auszugestalten. Gleichwohl wird die Definition einer DAO immer aus dem Einzelfall „TheDAO“ induziert. Verallgemeinerungsfähige Merkmale, die womöglich in jeder DAO-Grundstruktur zu finden sind, werden meist gar nicht gesucht.

Damit wird der Anwendungsbereich ohne Not eingeschränkt. Die DAO auf ein technologiegestütztes Instrument des Crowdfundings zu reduzieren, wird dem Potential der Organisationsform nicht gerecht. Zumal es auch DAO-artige Strukturen gibt, die früheren Ursprungs sind. Die Technologie der verteilten Systeme bietet weit mehr Möglichkeiten für eine andersartige Unternehmenswelt, insbesondere wenn Formen netzwerkbasierter Unternehmenskooperationen mit der Idee des Verantwortungseigentums verwoben werden. Dies setzt aber voraus, dass allgemeingültige Grundstrukturen extrahiert werden.

Ist Bitcoin eine DAO?

Schlussendlich findet sich hin und wieder die Aussage, dass „Bitcoin“ respektive das „Bitcoin-Netzwerk“ die Urform einer DAO sei. Historisch betrachtet war bereits die Vorgängeridee zur DAO in Form der Decentralized Autonomous Company (DAC) als Reaktion auf die quasi-plutokratischen Entwicklungen im Bitcoin-Netzwerk gedacht.

Damit stehen sich Bitcoin und die DAO diametral gegenüber. Zudem sind die Aktionen der Beteiligten des Bitcoin-Netzwerks primär von ihren Individualinteressen gesteuert. Ein gemeinschaftliches Interesse und auch ein soziales Interaktionssystem (siehe oben) fehlen. Das Bitcoin-Netzwerk ist mehr Infrastruktur und weniger Organisation. Aber mehr wollte „es“ auch nie sein.

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