Wenn die Luft vom Geruch frisch gebratener Burger erfüllt war, die Gläser am Tresen klirrten und in den Räumlichkeiten über die neuesten Entwicklungen im Krypto-Space getuschelt wurde, dann war man zu Gast im “Room 77”. Die Bar galt als Sammelbecken für Freigeister und Revolutionäre, die mit ihren Ideen die Welt verändern wollten.
Berühmtheit erlangte die Kneipe jedoch vor allem als eine der ersten Akzeptanzstellen von Bitcoin. Inhaber Jörg Platzer entschloss sich bereits 2011 zu diesem Schritt, um die Verbreitung der digitalen Währung voranzutreiben. In einem Interview mit der Bitcoin-Expertin Anita Posch erklärte er seine Beweggründe:
Damals wollte ich Bitcoin besitzen. Es ist mir etwas peinlich, aber ich bin mehrmals beim Mining gescheitert. Dann kam mir einfach die Idee, ein Schild aufzuhängen, das die Leute darauf hinwies, dass wir Bitcoin akzeptieren.
Jörg Platzer
Die erste echte Bitcoin-Transaktion soll dann im Mai 2011 vollzogen worden sein, erinnert sich Platzer in einem Interview. Für ein Bier legte ein Gast damals 1 BTC auf den virtuellen Tresen – heutiger Gegenwert: etwa 30.000 Euro.
Und zumindest in der Nachbarschaft hatte Platzer Erfolg, als Geschäfte aus der Umgebung sich dem Zahlungsnetzwerk anschlossen. Es erwuchs der erste “Bitcoin-Kiez” der Hauptstadt und lockte in der Folge die Krypto-Prominenz an. So soll etwa der Bitcoin-Advokat Andreas Antonopoulos ein gern gesehener Gast gewesen sein und sogar den Besitzer einer nahegelegenen Eisdiele zur Bitcoin-Adoption bewegt haben.
Auch Jeff Gallas ging in der Bar ein und aus. Gegenüber Zeit Online erinnert sich der Gründer des Lightning-Dienstes Fulmo an die Anfangszeiten des Lokals.
Zu Beginn saßen wir nur mit ein paar Leuten zusammen. Je höher der Bitcoin-Kurs stieg, umso mehr kamen.
Jeff Gallas
Die zunehmende Beliebtheit verhalf dem Room 77 schließlich auch zu einem Platz im Reiseführer Berlin. Daraufhin strömten immer mehr Touristen in die “Krypto-Bar”. Und auch der ein oder andere Journalist besuchte die Räumlichkeiten, um über das “Phänomen Bitcoin” zu berichten.
“I believe in honest money”
Das Innenleben des Lokals war jedoch nicht nur geprägt von gutem Essen und
kalten Drinks. Das Room 77 bemühte sich auch nach allen Kräften, seinen (finanz-)politischen Standpunkt klarzumachen – das Streben nach größtmöglicher Freiheit.
So überrascht es nicht, dass auf den Tischen Sticker mit dem Gesicht Edward Snowdens geklebt waren oder an der Wand zahlreiche Plakate hingen, die die Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange oder Silk Road Mastermind Ross Ulbricht forderten.
Auch scheute sich die Bar nicht davor, ihr klares Feindbild ganz groß anzuprangern – das Fiat-Geldsystem. Sprüche wie: “Ich glaube an ehrliches Geld: Gold, Silber und Bitcoin” oder
“Die Verschuldung ist vorbei” trugen ihren Teil zum besonderen Ambiente
der Kneipe bei.
Aus durch Corona?
Doch all der Charme und Flair halfen dem Room 77 am Ende nicht. Im Oktober 2020 verkündet Jörg Platzer auf Reddit die Schließung. Mit Anlehnung an Douglas Adams’ “Per Anhalter durch die Galaxie” sah der Inhaber seine Mission als erfüllt an, sodass er nun zu seinem Heimatplaneten zurückkehren könne.
Sobald eine Zivilisation ein planetarisches Hartgeldsystem entwickelt hat, dauert es in der Regel nicht lange, bis ihre Mitglieder friedlich werden und ihre Ressourcen in die Entwicklung von Langlebigkeit und Raumfahrt statt in Regierungen und Waffen stecken.
Jörg Platzer
Bitcoin sei nun nicht mehr aufzuhalten, hieß es weiter in dem Statement.
Gesundes Geld auf globaler Ebene wird es bald unmöglich machen, Kriege zu führen und wirtschaftliche Gleichheit unter der Menschheit schaffen. Wir schätzen, dass ihr weniger als ein weiteres Jahrhundert brauchen werdet, um aufzusteigen und der intergalaktischen Gemeinschaft beizutreten.
Jörg Platzer
Zwar blieb die Küche im Room 77 seit der Ankündigung kalt, dafür brodelten die Gerüchte in den sozialen Netzwerken jedoch hoch. Auf Twitter vermutete etwa Jon Matonis, Chef-Ökonom der Cypherpunk Holding, die Corona-Pandemie respektive die grassierende Gentrifizierung der Hauptstadt als Gründe der Schließung.
Beides sei jedoch falsch, meint Jörg Platzer. Die Schließung habe bereits Wochen vor den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionszahlen festgestanden. Auch monetäre Gründe hätten die Bitcoin-Bar nicht in die Knie gezwungen. Das Geschäft sei auch vor Corona nicht rentabel gewesen, räumt Platzer ein. Das tatsächliche Motiv hinter der Schließung habe in der Ablehnung von “Überwachungsmaßnahmen” wie Kontaktnachverfolgung gelegen.
Nun sind die Räumlichkeiten verwaist, der Tresen leergeräumt. Auch das Schild mit der markanten Kampfansage an das Fiat-Geldsystem hängt nicht mehr da, wo es einst nicht wegzudenken war. Wenngleich die Bar in die Annalen der Krypto-Geschichte eingegangen ist und ihr Gründer die (intergalaktische) Heimreise angetreten hat, ist dem Room 77 eines geblieben – der legendäre Ruf als erste Bitcoin Bar Berlins.
Disclaimer
Der Beitrag wurde redaktionell überarbeitet und ist zuerst in der Dezember-Ausgabe des BTC-ECHO Magazins erschienen. Weitere Informationen findet ihr hier.