Merge-Entwickler über die Stunde Null In diesen zwölf Minuten entschied sich Ethereums Zukunft

Hunderte Milliarden Dollar, 12 kritische Minuten: Ein Merge-Entwickler spricht über Ethereums Stunde Null – und die Proof of Stake-Zukunft.

Giacomo Maihofer
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Ethereum

Beitragsbild: Shutterstock

| Ein Balanceakt: Ethereums Wechsel von Proof of Work auf Proof of Stake.

Am 15. September war es so weit: Ethereum hat sein Konsensverfahren von Proof of Work auf Proof of Stake umgestellt – und damit Blockchain-Geschichte geschrieben. Wie wurde der Merge im Kontrollraum erlebt? BTC-ECHO hat mit Ethereum-Entwickler Parithosh Jayanthi über die zwölf Minuten gesprochen, in denen sich das Schicksal von Ethereum entschied.

Ethereum-Entwickler Parithosh Jayanthi

BTC-ECHO: Stell dich unseren Lesern kurz vor: was machst du bei Ethereum?

Parithosh Jayanthi: Ich heiße Parithosh Jayanthi, bin 28 Jahre alt und arbeite seit etwa eineinhalb Jahren im DevOps-Team der Ethereum Foundation. Dort beschäftige ich mich hauptsächlich mit der Automatisierung von Testnetzen, der Koordinierung von Client-Teams und dem Einrichten von Validatoren.

BTC-ECHO: Was war deine Aufgabe beim Merge?

Jayanthi: Ich war an der Koordinierung aller Merge-Testnetze beteiligt. Jedes Client-Team hatte seine eigenen internen Tests, die es durchführte. Schließlich kamen wir an einen Punkt, an dem wir Interoperabilitätstests durchführen wollten. In dieser Phase wurde ich einbezogen. Normalerweise erstelle ich also die Konfigurationsdateien, gebe sie an alle Teams weiter und helfe beim Aufbau der Infrastruktur für den Merge.

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BTC-ECHO: Vier Jahre Entwicklung sind in den Merge geflossen, seit zwei Jahren ist die Beacon Chain online. Warst du dennoch nervös, dass es schiefgeht?

Jayanthi: Vorab: Wir haben den Merge zu keinem Zeitpunkt verzögert, weil wir einen Termin nie besonders angekündigt haben (lacht). Allerdings haben wir die letzte Zeit damit verbracht, Interoperabilitätstests und eine Menge Shadow Forks durchzuführen – eine spezielle Art von Test, bei dem man den Zustand vom Mainnet übernimmt und dann den Merge simuliert. So kann man eine Menge Randfälle finden, die man sonst nicht gefunden hätte. Auch wenn wir das alles gemacht haben, bleibt aber immer die Angst vor dem Unbekannten. Wir wissen nie, ob wir alle Bugs gefunden haben, auch wenn ich sehr optimistisch war.

BTC-ECHO: Hast du die Nacht vor dem Merge überhaupt schlafen können?

Jayanthi: Es dauerte eine Weile, bis ich einschlief. Ich habe mir alle Szenarien durch den Kopf gehen lassen. Einige Stunden vor dem Merge bin ich dann aufgewacht, weil ich ihn nicht verpassen wollte. Als Erstes habe ich dann mein Handy genommen und nachgesehen, wie viel Zeit noch bleibt. Ich bin dann morgens in das Büro der Ethereum Foundation in Berlin gegangen, wo wir mit einigen Client-Teams den Merge zusammen als “Viewing Party” verfolgt haben.

BTC-ECHO: Wie hat sich der Moment angefühlt, als der Merge-Countdown auf null ging?

Jayanthi: Es gab eine Menge Stress, denn wir wussten: Das ist der Moment, in dem all die Dinge beginnen, die schiefgehen könnten. Als der Countdown auf null ging, war der Zeitpunkt, an dem man zu Proof of Stake übergeht, aber noch nicht die Finalität erreicht hat. Erst sobald die Finalität eintritt, stehen wir mit beiden Füßen fest auf Proof of Stake. Das dauert in der Regel zwölf Minuten. In dieser Zeitspanne befinden wir uns also sozusagen in der Mitte: Wir haben gerade den Proof of Work abgeschlossen, sind aber noch nicht ganz bei Proof of Stake gelandet. In diesen zwölf Minuten haben wir uns alle Diagramme, alle unsere Überwachungen angeschaut, um die beste Vorstellung davon zu bekommen, wo wir stehen. Wird es eine fantastische Version? Oder eine schreckliche, bei der wir die Dinge in den nächsten Stunden reparieren müssen? Das war schon stressig.

BTC-ECHO: Was ist der größte Nutzen von Proof of Stake für Ethereum? 

Jayanthi: Es gibt ein paar große Vorteile. Der offensichtlichste ist, dass mit Proof of Stake die CO₂-Emissionen um 99,9 Prozent gesenkt wurden. Zudem hat man ein viel besseres Sicherheitsbudget erhalten – man bezahlt jetzt viel weniger für die Sicherheit von Ethereum. Einfach ausgedrückt: Wir bezahlen keine Miner mehr. Und Proof of Stake hat geringere Kosten, weil Staker keine riesigen Stromrechnungen bezahlen müssen. 

BTC-ECHO: Wie genau erhöht Proof of Stake gegenüber Proof of Work die Sicherheit?

Jayanthi: Proof of Stake ist robuster, weil man Angriffe auf Proof of Work wiederholen kann – es gibt keinen Strafmechanismus. Wenn ich ein Proof of Stake-Netzwerk angreife, gibt es ein Slashing. Das tritt in einem von zwei Szenarien auf. Wenn man böswillig ist, kann alles, was man eingesetzt hat, abgezogen werden. Zunächst nur ein Teil. Schließlich kann man auch aus dem Netzwerk geschmissen werden.

BTC-ECHO: Wie funktioniert das?

Jayanthi: Wenn ein Node etwas findet, bei dem er das Gefühl hat, dass sich jemand böswillig verhält, kann er diesen Beweis an die Blockchain übermitteln, der besagt: Schau, dieser Validierungsschlüssel hat zwei Dinge signiert. Und diese beiden Dinge stehen im Widerspruch zueinander. Sobald also jeder Node die Information erhalten hat, dass diese Person böswillig gehandelt hat, und den Beweis selbst nachweisen und verifizieren muss, werden sie diesen böswilligen Validator öffentlich zerschlagen und sagen: Okay, ich habe den Beweis, ich habe den Beweis selbst verifiziert, es ist falsch. Also werde ich diese Person “slashen”. Der Validierer wird als bösartig eingestuft, wenn sich 66 Prozent des Netzwerks auf diese Information einigen.

BTC-ECHO: Könnte dann nicht eine Mehrheit von 67 Prozent die Kontrolle über das Netzwerk übernehmen? 

Jayanthi: Hier kommt der soziale Konsens ins Spiel kommt. Wenn also 67 Prozent des Netzwerks von Partei A übernommen werden und die verbleibenden von der ehrlichen Minderheit, dann würde die Gemeinschaft entscheiden: Wir gehen nicht mit der böswilligen Mehrheit, wir gehen mit der ehrlichen Minderheit. Und das hängt dann vom Ökosystem, den Nutzern usw. ab, um zu entscheiden, welche Abspaltung sie unterstützen wollen. Letztlich hängt es von der Gemeinschaft ab, zu entscheiden, welcher Fork wahr und welcher Fork nicht kanonisch ist.

BTC-ECHO: Welche Auswirkung hat Proof of Stake für die Skalierbarkeit von Ethereum?

Jayanthi: Neben Sicherheit und Energieverbrauch ist das ein weiterer Vorteil von Proof of Stake. Eine Möglichkeit sind Layer-2-Lösungen, die heute ein enormes Maß an Skalierung erreicht haben. Ethereum will das unterstützen, indem es sich mit Dingen wie Proof of Action beschäftigt. Darüber hinaus gibt es das Sharding. Im Wesentlichen führt es das Konzept der Datenschichten ein, auf denen man dann andere Informationen speichern kann, die die Layer-2-Lösungen benötigen. Das soll die Skalierbarkeit um den Faktor 10 oder sogar 100 erhöhen. 

BTC-ECHO: Ein Kritikpunkt an Proof of Stake ist die Zentralisierung durch große Staking Pools. Lido kontrolliert inzwischen 30 Prozent aller gestakten Ether. Besteht eine Gefahr für die Dezentralisierung?   

Jayanthi: Nicht unbedingt. Das ist sogar eines der Dinge, das ich bei Proof of Stake gegenüber Proof of Work für besser halte. Ein einfaches Beispiel: Wenn ich eine Grafikkarte habe und versuche, einen Block in Ethereum zu minen, ist das statistisch gesehen eine sehr, sehr lange Zeit. Also muss ich Pools beitreten. Aber beim Proof of Stake habe ich genug Stake, um einen Validator Node zu betreiben, der statistisch gesehen garantiert Blöcke produziert. Das heißt: während ich früher bei Proof of Work ein variables Einkommen hatte oder einem Mining-Pool beitreten musste, um irgendeine Art von Einkommen für mich selbst zu generieren, garantiert mir Proof of Stake die Einnahmen. Ganz gleich, ob ich einen Validator Node habe oder zehn. Bei Proof of Work habe ich hingegen starke Wettbewerbsvorteile, wenn ich ein Rechenzentrum mit 10.000 GPUs habe. Daher würde ich tatsächlich sagen, dass Proof of Stake sehr viel dezentralisierter als Proof of Work ist.

BTC-ECHO: Könnte der Wechsel auf Proof of Stake für mehr Akzeptanz der Blockchain-Technologie in der Gesellschaft sorgen?

Jayanthi: Das denke ich definitiv. Ich bin wirklich froh, dass wir in der Lage sind, einen der größten Kritikpunkte an Kryptowährungen zu beseitigen. Und ich hoffe, dass das wirklich zur Akzeptanz beiträgt und mehr Leute an Bord holt, damit sie sich mit dieser wirklich coolen Technologie beschäftigen.

BTC-ECHO: Der Merge ist vorbei: kannst du dich erstmal zurücklehnen oder stehen schon die nächsten Projekte an?

Jayanthi: Ich freue mich darauf, an Dingen zu arbeiten, die nicht morgen fertig sein müssen und nicht so kritisch sind wie der Merge (lacht). Ich arbeite an ein paar Hobbyprojekten mit weniger Risiko, die aber wichtig sind. Darauf freue ich mich wirklich.

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