Unkaputtbar?  Maximale Resilienz: Die falsch verstandene Volatilität des Kryptosektors

Angesichts der Turbulenzen im Kryptomarkt herrscht eine falsche Wahrnehmung über die Resilienz der Token-Ökonomie. Warum dezentrale Systeme zentralistischen Systemen überlegen sind.

Sven Wagenknecht
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Ein Baum zeigt sich resilient gegen den Wind.

Beitragsbild: Shutterstock

| Ein resilientes System darf ruhig stark schwanken und sich hin und her biegen, solange es nicht bricht.

Der Begriff Resilienz ist in Mode. Beschreibt er doch die Widerstands- und Anpassungsfähigkeit in herausfordernden Situationen. In Wirtschaftszeitungen wurde im Zuge von unter anderem Corona-Pandemie, Lieferketten- und Energiekrise des Öfteren die Frage gestellt, wie resilient beispielsweise die deutsche Wirtschaft oder einzelne Branchen sind. Entsprechend naheliegend ist es, ebenjene Frage auf den Kryptosektor anzuwenden. Durch den Terra-Luna-Crash sowie den Zusammenbruch von Celsius und zuletzt FTX keine ganz triviale Angelegenheit.

Hohe Volatilität als Ausdruck von Wachstumspotential

Die Reaktionen des Kryptomarktes auf Kurs-beeinflussende Faktoren fallen größer aus als bei etablierten Vermögenswerten, wie insbesondere dem Aktiensektor. Entsprechend hoch ist die Volatilität der Kryptowährungen. Anstatt das als Makel und Zeichen von mangelnder Resilienz anzusehen, darf nicht vergessen werden, dass eine hohe Wachstumsdynamik immer mit einer hohen Volatilität einhergeht.

Dass also die Ausschläge beim Kryptomarkt größer sind als beim DAX oder dem BIP der deutschen Wirtschaft, kann unter anderem auch bedeuten, dass die Einpreisung von fundamentalen Kursfaktoren schneller und unmittelbarer vonstattengeht als bei genannten traditionellen Märkten.

Der Kryptomarkt: Ein Lehrstück aus der VWL-Vorlesung

Während unsere traditionelle Wirtschaft immer stärker von wirtschaftspolitischen Maßnahmen und marktinkonformen Eingriffen beeinflusst ist, findet man im Kryptomarkt eine marktheoretisch betrachtet eine relativ ungestörte Spielwiese. Angebot und Nachfrage können unmittelbarer und direkter zusammenfinden.

Man findet einen Markt vor, wie man ihn sonst nur aus Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre kennt, viel näher am neoklassischen Ideal als andere Märkte. Zumal die Preisbildung maximal dezentral, weniger reguliert und 24/7 geschieht.

Kein Staat und keine Notenbank

Eine Notenbank, die in Krisenzeiten beispielsweise in den Interbankenmarkt eingreift, um Liquidität bereitzustellen, gibt es nicht. Auch gibt es keine Rettungspakete, Bail-Outs, Staatsgarantien oder Förderprogramme. Da diese „Stützräder“ fehlen, fallen Stürze im Kryptomarkt besonders hart und schmerzhaft aus.

Auf der anderen Seite wird durch dieses brutale und direkte Feedback eine schnelle Anpassung und Beseitigung von Fehlern erzwungen. Altlasten, ergo teure Fehler, die man mit sich rumschleppt und die das zukünftige Wachstum hemmen, werden in der Token-Ökonomie direkt beseitigt. Fehler und Ineffizienzen müssen im Kryptomarkt also sofort abgestellt werden, da sonst der Marktausschluss erfolgt. Während toxische Kredite im Zuge der Finanzkrise bei einer Bad Bank ausgelagert wurden, werden die aktuell stattfindenden Kreditausfälle im Kryptomarkt schlicht und einfach abgeschrieben.

So sehr aus gesellschaftlicher und in Teilen auch volkswirtschaftlicher Sicht die staatliche Stützung von beispielsweise Commerzbank, Lufthansa, Galeria Kaufhof oder Uniper sinnvoll ist, reduziert sie dennoch die Markteffizienz und Kapitalallokation. Insbesondere bei der staatlichen Kreditvergabe, wenn Banken beispielsweise durch die KfW Kredite vergeben, besteht die Gefahr, dass Kapital nicht effizient allokiert wird.

Der große Denkfehler von Kryptokritikern

Schäden mögen durch diese staatlichen Maßnahmen nicht so schnell sichtbar werden, sodass uns das System als besonders resilient erscheint. Genau hier liegt aber der Denkfehler. Ein System, das wie der Kryptomarkt seine Schäden ungeschönt offenbart und entsprechend stärker nachgibt, ist deswegen nicht gleich weniger resilient. Ausschlaggebend ist, ob sich der Kryptomarkt wieder erholt und auf seinen Wachstumspfad zurückfindet. Solange dies geschieht, gibt es keinen Grund, die Resilienz des Krypto-Ökosystems infrage zu stellen.

Blockchain: Die Resilienz-Infrastruktur

So chaotisch dezentrale Systeme von außen anmuten mögen, ist es gerade das Chaos, das gegenüber einem zentralistischen System überlegen ist. Ebenjener Umstand erklärt, warum Planwirtschaften gegenüber freien Markt-Ökosystemen eine geringere wirtschaftliche Wohlfahrt und Wachstumsdynamik hervorbringen. Die mangelnde Anpassungsfähigkeit von zentralistisch gesteuerten Staaten und Unternehmen führt langfristig zu einer Abnahme ihrer Resilienz, auch wenn sie von außen betrachtet teils sehr stabil wirken.

Als diametrales Extrembeispiel steht dem die Krypto-Ökonomie gegenüber, die durch neue technologische Tools, wie Smart-Contracts oder Konsensmechanismen, in der Lage ist, ein neues Level an Dezentralität zu beherrschen, das bis dato nicht denkbar gewesen ist. Dass dieser Etablierungsprozess mit vielen Stürzen und Unfällen einhergeht, liegt in der Natur der Sache. Im Gegensatz zu zentralistischen Systemen mit einem Single-Point-Of-Failure sind diese Einstürze allerdings weniger schlimm, da sie nicht ein ganzes (Öko-)System mit in den Abgrund reißen.

Kurse sind kein guter Indikator für „wahre“ Resilienz

Davon losgelöst sind die Kurse der Kryptowährungen kurz- bis mittelfristig nur bedingt ein guter Indikator für die Resilienz des Sektors. Schließlich sind sie besonders stark von der Anlegerpsychologie und externen Faktoren wie Leitzinsniveau beeinflusst. Gier- oder Panikreaktionen können daher schnell zu falschen Rückschlüssen über die Verfassung des Sektors führen. Zumal die Bewertung von Token-Projekten viel schwieriger ist als bei etablierten Aktiengesellschaften.

Dies erklärt auch, warum die Entwickleraktivität oder manche On-Chain-Daten wie beispielsweise die Hashrate bei den einzelnen Projekten nicht mit den Kursen korrelieren. Wer also wissen will, wie es um die Resilienz im Kryptosektor bestellt ist, der sollte eher auf die langfristige Kursentwicklung und die Aktivität sowie Weiterentwicklung im Ökosystem achten.

Fazit

Der Kryptomarkt hat eine Eigendynamik, die faszinierend ist und in dieser Form ein Novum darstellt. In extrem kurzer Zeit sprießen neue Ökosysteme aus dem Boden und verschwinden wieder genauso schnell. Es entsteht der Eindruck, dass Zyklen wie wir sie aus den Etablierungsphasen von anderen Technologien kennen beim Kryptomarkt deutlich schneller vonstattengehen. Der neue Grad an dezentralem Informationsfluss und Finanzierungspotential lässt eine Adaptionsgeschwindigkeit zu, wie sie die des Internets bei weitem übersteigt.

Dies führt zu der Annahme, dass die dynamischen Höhen und Tiefen des Sektors zu einer falschen subjektiven Wahrnehmung der Krypto-Widerstandsfähigkeit führen. Die Beschaffenheit der Krypto-Ökonomie könnte langfristig zu einem neuen Standard in puncto Resilienz führen, sofern sich wirklich dezentrale Anwendungen durchsetzen. Schließlich hat der FTX-Zusammenbruch eindrucksvoll gezeigt, was ein zu hoher Zentralisierungsgrad bewirken kann.

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