Insbesondere in den Naturwissenschaften finden sich Beispiele dafür, wie essenziell wissenschaftliche Erkenntnisse und Entwicklungen für den technologischen und geistigen Fortschritt unserer Gesellschaft sind. Etwa die Entdeckung von Antibiotika (z. B. Penicillin), der Antibabypille und moderner Therapien, die auf mRNA basieren (z. B. COVID-19 Impfstoffe). Obwohl diese Technologien an öffentlich geförderten Institutionen (etwa universitären Forschungseinrichtungen) entwickelt wurden, kam es zu einer Kommerzialisierung fast ausschließlich durch private Unternehmen (wie z. B. Pharmakonzerne). Eben das will eine Sparte der Blockchain-Technologie ändern: DeSci.
DeSci: Revolution der Wissenschaft dank DLT
Unter dem Begriff der Decentralized Science – kurz DeSci – hat sich in den vergangenen Jahren eine neue Bewegung im Bereich der dezentral organisierten und internetbasierten Wissenschaft gebildet. DeSci kann hierbei als eine Erweiterung des Open-Science-Gedanken verstanden werden, bei dem ein offener Zugang zu Forschungsergebnissen und Erkenntnissen im Vordergrund steht sowie neue Kollaborationsmöglichkeiten entstehen können (z. B. zwischen der wissenschaftlichen Community und Bürgern). Einer der wesentlichen Unterschiede zu Open Science besteht hierbei vor allem in der Nutzung der Blockchain Technologie und den damit verbundenen Möglichkeiten, wie etwa Smart Contracts, (governance) Token und NFTs. Eine entscheidende Rolle spielen hierbei auch decentralized autonomous organizations – kurz DAOs. Sie können als Gemeinschaften mit einem zentralen Ziel definiert werden, die mithilfe von Smart Contracts bestimmte (Trans-)Aktionen automatisieren und Governance-Token zur dezentralen Entscheidungsfindung nutzen.
Im Bereich der Wissenschaft können DAOs eine neue Form der Forschungskommunikation, -finanzierung und -koordination ermöglichen. In Anlehnung an eine ähnliche Bewegung im Bereich des Finanzwesens (Decentralized Finance – DeFi), die unter Verwendung von Blockchain Technologie unter anderem darauf abzielt, die Finanzwelt nachhaltig zu verbessern (z.B. um die Abhängigkeit von Intermediären wie Banken zu verringern), soll im Rahmen der DeSci-Bewegung die wissenschaftliche Forschungslandschaft und -praxis grundlegend dezentralisiert werden, um der Gesellschaft mehr Zugang zu ermöglichen. Das DeSci-Ökosystem umfasst mittlerweile über 50 verschiedene Projekte, insbesondere sog. DeSci-DAOs, von denen erfreulicherweise viele Initiatoren, Gründer und Projekte aus dem deutschsprachigen Raum stammen oder dort beheimatet sind. Im weiteren Verlauf des Artikels stellen wir euch eine Auswahl einzelner dieser Projekte im Bereich DeSci vor:
1. Molecule (molecule.to)
Molecule kann als Protokoll, Marktplatz und DeSci-Inkubator mit dem Ziel, dezentralisierte Forschung und Finanzierung zu ermöglichen, betrachtet werden. Im Mittelpunkt steht dabei auch eine aktive und interdisziplinäre Beteiligung nicht nur der Forscher, sondern auch der Patienten. Molecule war maßgeblich an der Entwicklung sogenannter “IP-NFTs” beteiligt, um eine Tokenisierung von geistigem Eigentum (z.B. Forschungsergebnisse) zu ermöglichen. Mit der weiteren ENtwicklung von sog. “decentralized intellectual property (DIP) tokens” hat Molecule auch die Möglichkeit geschaffen, IP-NFTs zu funktionalisieren, um eine breitere Beteiligung sowie Governance zu ermöglichen. Das Team um Molecule hat auch zum Aufbau von VitaDAO und vielen anderen BioDAOs bzw. DeSci-DAOs beigetragen, die Forscher und Forschungsprojekte bei der Finanzierung und Forschung unterstützen. Um die dezentrale Entwicklung von Arzneimitteln und Forschung voranzutreiben, hat Molecule bisher etwa 20 Million USD in Finanzierung erhalten.
2. VitaDAO (vitadao.com)
Gegründet in 2021, wird VitaDAO vielfach nicht nur als die erste DeSci-DAO angeführt, sondern auch als die fortschrittlichste und etablierteste DAO im DeSci-Bereich. VitaDAO hat sich zum Ziel gesetzt, die menschliche Gesundheit und Lebensspanne zu verlängern, in dem Forschung unterstützt und finanziert werden soll, die sich auf altersbedingte Krankheiten fokussiert. Im Rahmen dieser Zielsetzung, vereint VitaDAO mehr als 10.000 Forschern, Patienten, Enthusiasten und Förderern, die zusammenarbeiten, um die besten translationalen Wissenschaftsprojekte in der Langlebigkeitsforschung (longevity research) zu finden, ihre Entwicklung zu finanzieren und sie zur Marktreife zu bringen. Mit mehr als 10 Millionen USD in Finanzierung, unter anderem auch seitens traditioneller pharmazeutischer Unternehmen, konnte VitaDAO mehr als 15 Projekte sowie Hunderte von Stipendien und Zuschüssen finanzieren.
3. LabDAO (labdao.xyz)
LabDAO ist ein dezentrales und internetbasiertes Forschungskollektiv im Bereich der Biologie und Life-Sciences, das sich auf computergestützte Biologie fokussiert (z.B. relevant zur Modellierung von Proteinstrukturen). Das Team und die Community hinter LabDAO hat sich im Rahmen von “PLEX” das Ziel gesetzt, einen offenen und fairen internetbasierten Austausch von Dienstleistungen im Bereich der computergestützten Biologie zu ermöglichen. PLEX ermöglicht es Wissenschaftlern, die neuesten Tools der computergestützten Biologie zu nutzen und sog. “Forschungsdatenartefakte” zu erstellen, die die Nachverfolgung von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen und Erkenntnissen zu ermöglichen. Mit bisher 3,6 Millionen USD in Finanzierung arbeitet LabDAO daran, eine dezentrale, internetbasierte und inklusive Forschung zu ermöglichen.
4. Bloxberg (bloxberg.org)
Bloxberg ist eine globale Blockchain-Infrastruktur, die von einem Konsortium aus Forschern und Organisationen ins Leben gerufen wurde, um dezentrale Dienste für die wissenschaftliche Gemeinschaft bereitzustellen und die Zusammenarbeit zu fördern. Mit einem globalen Netzwerk von mittlerweile über 50 Universitäten und Forschungseinrichtungen weltweit, darunter renommierte Institutionen wie das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und die ETH Zürich, strebt bloxberg an, eine dezentrale Organisation wissenschaftlicher Daten zu ermöglichen und voranzutreiben.
DeSci: Abschließende Gedanken
Während der Bereich der dezentralen Finanzen (DeFi) mittlerweile als vergleichsweise etabliert betrachtet werden kann, steht die Domäne der dezentralen Wissenschaft (DeSci) noch im Anfangsstadium ihrer revolutionären Bedeutung. Mitunter geprägt von begrenzter Sichtbarkeit und Anerkennung. Hervorzuheben ist, dass insbesondere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den klassischen Naturwissenschaften trotz einer latenten Unzufriedenheit mit den bestehenden Paradigmen des Forschungssystems bisher eine zögerliche Haltung einnehmen, wenn es um die Inanspruchnahme der bereits aufgebauten Infrastruktur sowie der sich daraus ergebenden Potenziale geht. Dieses Zögern ist nicht nur in der Tatsache begründet, dass die Mechanismen von DeSci noch nicht ausreichend in das Bewusstsein dieser Fachrichtungen vorgedrungen sind, sondern auch in der inhärenten Skepsis gegenüber neuen Paradigmen und Technologien.
Obwohl hier aufgrund verschiedener Praktiken eine partielle Offenheit gegenüber Veränderungen zu verzeichnen ist, setzt sich doch zunehmend die Verwendung von Open-Science-Prinzipien durch. Diese Prinzipien eröffnen allen Wissenschaften schließlich den Zugang zur Web3-Welt und damit zu den Möglichkeiten von DeSci. Leider haben staatliche Institutionen zur Forschungsförderung bisher keine substanziellen Schritte in Richtung von DeSci unternommen. Diese bisherige Zurückhaltung mag vielfältige Gründe haben, doch sie stellt zugleich eine Chancenlücke dar, die es zu adressieren gilt.
Es ist jedoch kaum zu leugnen, dass die vielversprechenden Potenziale einer offeneren, zugänglicheren und gerechteren Wissenschaft letztlich einen unaufhaltsamen Marsch in Richtung einer Neugestaltung des Forschungssystems in Gang setzen könnten. Die Aufmerksamkeit, die Projekte wie Molecule, VitaDAO, LabDAO oder bloxberg auf sich ziehen, lässt auf eine künftige Anerkennung und Integration von DeSci in die wissenschaftliche Gemeinschaft hoffen. Es bleibt zu erwarten, wie die Interaktion zwischen den sozialwissenschaftlichen Erwägungen, philosophischen Kontemplationen und den sich formierenden Gestalten von DeSci die Zukunft des wissenschaftlichen Fortschritts prägen wird.
Über
Lukas Weidener hat obigen Beitrag gemeinsam mit Bence Lukács, Benjamin Heurich und Boris J. Nachtsheim von der Bundesblock-Arbeitsgruppe Wissenschaft verfasst. Sie beschäftigt sich mit den Veränderungen in der Forschung und der Wissenschaft durch Blockchain-Technologie, Dezentralisierung sowie Open Science. Mehr dazu hier.