DeFi Decentralized Finance, Governance Token, und die Bildung von Oligarchien

Inwiefern halten DeFi-Plattformen ihre Versprechen im Bereich der dezentralen Governance? Das und mehr im Gastbeitrag Das und mehr im Gastbeitrag von Gilbert Fridgen und Tom Barbereau.

Prof. Dr. Gilbert Fridgen
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defi darstellung blau

Beitragsbild: Shutterstock

Von dezentralen Anwendungen zu autonomen Organisationen

Die meisten von uns verlassen sich nach wie vor auf Banken, wenn es darum geht, Zahlungen zu leisten, Geld zu überweisen oder – ganz allgemein – unsere Finanzen zu verwalten. Die Welt des traditionellen Finanzwesens umfasst dabei zentralisierte Intermediäre wie Banken, aber auch FinTech-Unternehmen und Börsenplätze. Diese Intermediäre werden vergleichsweise intensiv durch Aufsichtsbehörden überwacht.

Im Gegensatz dazu basiert die Welt der Decentralized Finance (DeFi) auf unregulierten Kryptowährungen. DeFi-Plattformen werden von Dezentralen autonomen Organisationen (kurz DAOs) verwaltet. Online-Communities mit pseudonymen Mitgliedern ersetzen hier die Vorstandsebene. Die technische Basis, auf der diese DeFi-Projekte umgesetzt werden – wie beispielsweise die Ethereum-Blockchain – ist dezentralisiert und dadurch schwer zu regulieren.

DeFi-Dienstleistungen reichen von Peer-to-Peer-Darlehen über Börsenplätze bis hin zum Austausch von Derivaten. Von 2020 bis 2021 erlebte DeFi ein spektakuläres Wachstum: Bloomberg veröffentlicht mittlerweile den “Galaxy DeFi Index”, der sich aus den Projekten Uniswap, Aave, Maker, Compound, SushiSwap, Synthetix, Yearn Finance, 0x und UMA zusammensetzt und kurz nach seiner Veröffentlichung umgerechnet ca. 31 Milliarden US-Dollar verwaltete (9. August 2021). Selbst traditionelle Finanzdienstleister sehen dabei DeFi nicht als Bedrohung, sondern erhoffen sich Erkenntnisse zu Effizienzsteigerungen, Kapitalanlagen und Innovationen. 

Die Governance von DeFi-Plattformen erfolgt pseudonym und (im rechtlichen Sinne) auf unregistrierte Art. Stimmrechte über die Zukunft der jeweiligen Plattform werden in handelbare Tokens eingebettet – auch bekannt als Voting-Rights-Tokens oder Governance-Tokens. In der Token-Definition ist beispielsweise festgelegt, wie viele Stimmrechte es gibt und welche Rechte damit ausgeübt werden können.

Inhaber von Tokens können dann in verschiedenen Wahlverfahren Entscheidungen über die Zukunft des jeweiligen Projekts treffen. DeFi-Projekte werden somit von den Inhabern dieser Token geleitet. Da der Erwerb von Governance-Tokens grundsätzlich für jeden möglich ist, versprechen DeFi-Plattformen hier eine “Demokratisierung”. Aber funktioniert das auch in der Praxis?

Governance-Tokens funktionieren nur bedingt

Am 5. September 2020 entwendete ein Entwickler mit dem Pseudonym «Chef Nomi» spontan Governance-Tokens im Wert von über 13 Millionen US-Dollar aus einer Kasse, die er/sie verwaltete. Die Kasse gehörte nicht einem Unternehmen oder einer öffentlichen Einrichtung, sondern SushiSwap, einer DAO, die durch Inhaber von Governance-Token verwaltet wird. Als Reaktion auf die öffentliche Kritik und die Proteste der Token-Inhaber entschuldigte sich Chef Nomi auf Twitter und übertrug die Tokens sechs Tage später zurück in die SushiSwap-Kasse.

Durch seine Pseudonymität wäre Chef Nomi allerdings schwer durch Aufsichts- oder Strafverfolgungsbehörden greifbar gewesen. Weder andere Entwickler noch Token-Inhaber wären in der Lage gewesen, die Transaktion rückgängig zu machen, Chef Nomi zur Rückgabe zu zwingen, oder auch nur den Zugang zur Kasse einzuschränken. Die Frage, wer die DeFi-Plattformen letztendlich kontrolliert – die Inhaber der Tokens oder die Entwickler – bleibt somit kontrovers.

DeFi-Anhänger kritisieren die “fat cats” (engl. für fette Katzen) der traditionellen Finanzwelt. Jedoch bringen sie selbst eine neue Art von Finanzmogulen hervor, die gemeinhin als “whales” (engl. für Wale) bezeichnet werden. Bei den Whales kann es sich beispielsweise um die Entwickler, Berater und frühen Investoren eines DeFi-Projekts handeln, die Governance-Token anhäufen, bevor die breite Masse sie über Kryptobörsen erwerben kann. Eine aktuelle Studie der Universität Luxembourg deckt hier eine Lücke zwischen Realität und Werberhetorik auf: Die Wissenschaftler analysieren die intransparente und teilweise fragwürdige Governance von DeFi-Projekten, in dem sie die Verteilung von Governance-Tokens von der öffentlichen Ethereum-Blockchain zurückverfolgen.

Um die Konzentration von Stimmrechten von DeFi zu messen, nutzt die Studie übliche Metriken für Ungleichheit, wie beispielsweise den Gini-Koeffizienten oder auch die Analyse konkreter Abstimmungssituationen. Die Autoren argumentieren in ihrer Untersuchung, dass die Governance von DeFi-Projekten eher als Re-Zentraliserung bezeichnet werden sollte anstelle von De-Zentralisierung. DeFi entspricht eher einer Oligarchie (genauer einer Timokratie, in der Rechte nach Vermögen bemessen werden): Abstimmungen werden bisweilen von nur vier Token-Inhabern (Whales) entschieden. Der französische Historiker und Philosoph Alexis de Tocqueville hat hierauf schon im 19. Jahrhundert hingewiesen: “Wenn eine Nation die Aristokratie abschafft, folgt Zentralisierung mit Selbstverständlichkeit.” Die Geschichte scheint sich zu wiederholen.

Podcast

Der Blick nach vorne

Am 27. Juli 2021 gab es im US-Senatsausschuss “Banking, Housing, and Urban Affairs” eine Anhörung zu Krypto-Assets und DeFi-Projekten. Da DeFi-Projekte öffentliche Blockchains nutzen, die über verschiedene Gerichtsbarkeiten verteilt betrieben werden, sind die Regulierungsbehörden besorgt, dass sich DeFi-Plattformen ihrer Kontrolle und Aufsicht entziehen könnten. Akteure rund um DeFi-Projekte werden nicht im Sinne von “Know-your-Customer” (KYC) geprüft. Regulierung zur Bekämpfung von Geldwäsche (AML) oder Terrorismusfinanzierung (CFT) wird demnach nicht umgesetzt.

DAOs haben in der Regel weder einen eingetragenen Sitz noch Mitarbeiter, die leicht identifizierbar oder für Betrug haftbar gemacht werden können. In diesem Kontext bezeichnete Senatorin Elizabeth Warren den unregulierten Austausch von Krypto-Assets als “den Wilden Westen unseres Finanzsystems”. In Europa könnte die Furcht vor einer fehlenden Aufsicht über DeFi-Projekte als Motivation für den jüngsten Vorschlag des EU-Parlaments angesehen werden, “unhosted wallets” zu verbieten, d.h. die eigene Verwahrung von Tokens und anderen Kryptoassets.

Gleichzeitig ist zu beobachten, dass sich die DeFi-Branche weiterentwickelt und nun beginnt, Ansätze zu suchen, um die genannten Risiken durch den Einsatz neuer technischer Ansätze zu mildern. Ausgewählte Projekte (etwa Aave Arc) haben sowohl das institutionelle als auch das regulatorische Interesse erkannt und arbeiten an Lösungen, die Anlegerschutz ermöglichen und regulatorische Anforderungen erfüllen sollen. Damit andere folgen können, müssten politische Entscheidungsträger jedoch ein Gleichgewicht finden: Es bräuchte einen Rechtsrahmen, in dem Innovation ermöglicht und gleichzeitig Ziele von Regulierung gewahrt bleiben. Ansonsten würde erneut Wirtschaftswachstum im Digitalsektor der EU verhindert und später von anderen Wirtschaftsmächten importiert werden.

Über den Autoren

Prof. Dr. Gilbert Fridgen ist Inhaber des PayPal-FNR PEARL Lehrstuhls für Digital Financial Services am Interdisciplinary Centre for Security, Reliability and Trust (SnT) der Universität Luxemburg und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Boerse Stuttgart Digital Ventures GmbH.

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