Interview IBM: „Die Blockchain-Technologie ist wie gemalt für den Mittelstand“

Im letzten Jahr konnte der US-amerikanische Tech-Riese IBM die Anzahl seiner Blockchain-Patente im Vergleich zum Vorjahr verdreifachen. Das und andere Signale sprechen eine deutliche Sprache: In der Blockchain-Industrie schlummert gewaltiges Potential. Christian Schultze-Wolters leitet den Geschäftsbereich Blockchain Solutions für IBM DACH. In einem Interview spricht er über IBMs Blockchain-basiertes Supply-Chain-Management-Projekt TradeLens , die Digitalisierung der Logistik-Branche und realistische Perspektiven der Verschlüsselungstechnologie.

Dana Hajek
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BTC-ECHO: Hallo Herr Schultze-Wolters, welches Interesse hat ein IT-Riese wie IBM an der Logistik?


Christian Schultze-Wolters: Es ist relativ einfach: Natürlich kommen wir traditionell aus der IT, allerdings haben wir unsere gesamte Organisation schon vor vielen Jahren viel stärker auf  Branchen ausgerichtet, weil die IT-Anforderungen unserer Kunden eine immer größere Branchen-Relevanz haben. Dazu gehören unter anderem die Logistik, der Handel, Versicherungen oder Banken – dementsprechend haben wir unsere gesamte Organisation national wie international auf diese Branchen ausgerichtet.

BTC-ECHO: Nennen Sie mal einen konkreten BlockchainAnwendungsfall, an dem IBM zurzeit arbeitet.

Christian Schultze-Wolters: Unsere Lösung TradeLens, die die IBM Blockchain Technologie nutzt. Vor ungefähr vier Jahren hat IBM zusammen mit Maersk begonnen TradeLens zu entwickeln. Maersk ist die größte Containerreederei der Welt mit Sitz in Kopenhagen. TradeLens ist seit etwa zwei Jahren live und in Produktion und umfasst mittlerweile mehr als 180 Unternehmen. Das heißt, diese haben Zugang zur Plattform, laden Daten darauf und digitalisieren Dokumente. Zusätzlich schließt diese Plattform auch mehr als 600 Häfen und Terminals weltweit mit ein, denn es geht um das gesamte Ökosystem der Seefracht.

BTC-ECHO: Und welchen Vorteil bringt TradeLens dem Ökosystem der Seefracht?

Christian Schultze-Wolters:  Diese Lösung adressiert zwei Herausforderungen. Einmal die Frage, wo sich der Container und damit die Ware des Kunden beziehungsweise Empfängers aktuell befindet. Wir wollen diese Informationen sicher, mit hoher Qualität und in nahezu Echtzeit zur Verfügung stellen; nicht nur einem Unternehmen, sondern dem gesamten betroffenen Ökosystem in der Lieferkette. Zum Zweiten geht es darum, diese unglaubliche Papierabhängigkeit in der Logistikbranche anzuvisieren. Denn diese ist ineffizient, anfällig für Fehler, kostet viel Geld und ist einfach extrem hemmend, wenn es darum geht, digitale Prozesse aufzusetzen.

BTC-ECHO: Wenn sich Unternehmen für die Blockchain-Technologie im Logistikbereich interessieren, wie einfach ist es für sie, diese „unglaubliche Papierabhängigkeit“ loszuwerden?

Christian Schultze-Wolters: Einfach ist gar nichts im Leben. Komplexe Prozesse, wie etwa globale Supply Chains, zu digitalisieren und auf eine Plattform zu bringen, passiert nicht einfach so. es geht doch nicht darum, Dokumente einzuscannen und sie als PDF hochzuladen. Es gibt ungefähr 25 verschiedene Dokumenten-Formate, die wir hier in der Lieferkette für alle Beteiligten digital zur Verfügung zu stellen und die bearbeitet werden können – in der Blockchain. Davon sind acht oder neun (Stand heute) bereits komplett digitalisiert und können entsprechend digital auf der Plattform genutzt werden.

Doch diese Prozesse sind auch sehr anspruchsvoll. Neben den Unternehmen, die die Waren versenden und empfangen, braucht man auch Zollbehörden, Reedereien, Häfen und weitere sogenannte Governmental Authorities, die diese digitalen Dokumente dann auch akzeptieren.

BTC-ECHO: Kommt IBM insgesamt bei der Digitalisierung seiner Projekte mittels der Technologie gut voran?

Christian Schultze-Wolters: Die grundsätzliche Vorgehensweise bei Blockchains ist „Start small, grow fast“ – eine sogenannte Blockchain Journey. Folglich gehen wir grundsätzlich Schritt für Schritt, Kunde für Kunde, Rolle für Rolle, Use Case für Use Case, Industrie für Industrie vor und zerlegen das Ganze quasi in Teile, die es uns dann ermöglichen, konzentriert, zielgerichtet, Schritt für Schritt den jeweiligen Use Case und damit den Mehrwert für die Branche zu entwickeln.


BTC-ECHO:
Auf was für einer Blockchain baut IBM die Lösung TradeLens auf?


Christian Schultze-Wolters: Wir arbeiten bei IBM ausschließlich mit einer klassischen Private Blockchain, also weder Bitcoin noch Ethereum. Die Blockchain-Technologie, die wir in ungefähr 98 Prozent aller Projekte einsetzen, nennt sich Hyperledger Fabric.  Aus unserer Sicht ist das die einzige wirklich „Enterprise-ready” Blockchain-Technologie.

BTC-ECHO: Was meinen Sie damit?

Christian Schultze-Wolters: Wir adressieren den B2B-Bereich. Gerade in diesem Bereich sind sensitive, sensible Daten ein wesentliches Element der Kommunikation. Dementsprechend müssen alle beteiligten Unternehmen in der Supply Chain, aber auch in anderen Branchen, darauf vertrauen können, dass die Daten sicher, verschlüsselt, hochperformant und 24/7 zur Verfügung gestellt werden können. Da ist aus unserer Sicht Hyperledger Fabric, eine Open Source Software – kostenfrei nutzbar -, die ideale Lösung; nicht zuletzt auch aufgrund der Performance, die diese Technologie mit sich bringt.


BTC-ECHO: Wie verdient IBM eigentlich Geld, wenn TradeLens auf einer kostenfrei nutzbaren Open Source Software basiert?


Christian Schultze-Wolters: Es gibt unterschiedliche Geschäftsmodelle, die abhängig vom Use Case stark variieren. Bei TradeLens ist es so, dass wir die teilnehmenden Unternehmen in zwei Gruppen einteilen. Die eine Gruppe sind die sogenannten TradeLens Members. Das sind die Herzstück-Unternehmen der Logistik mit den großen Container-Reedereien, Häfen, Terminals, Zollbehörden. Das sind die, um die sich in der Seefracht alles rankt. Sie liefern Daten, die von anderen genutzt werden können, und das ist ihr Wertbeitrag zu dieser Lösung. Sie zahlen nichts dafür, denn sie liefern ja die Daten.

Die zweite Gruppe sind die TradeLens Kunden. Das sind die sogenannten Shippers oder Beneficiary Cargo Owners: diejenigen, die einen Auftrag erteilen, Ware von A nach B zu transportieren. Das sind Logistikunternehmen, die mit den Daten ihre logistischen Prozesse optimieren können. Sie generieren sich aus diesen Daten einen Mehrwert und reduzieren damit Kosten. Sie bezahlen eine transaktionsbasierte Gebühr von 25 USDollar pro Container.

Die Lösung IBM Food Trust im Lebensmittelbereich hat ein sogenanntes Subscription-Fee-Modell, also eine Software-Lizenz-Gebühr, die das Unternehmen nicht transaktionsabhängig zahlt, sondern abhängig von der Nutzung verschiedener Module und von der Größe des eigenen Unternehmens.


BTC-ECHO: Die Hyperledger Blockchain wird besonders im industriellen Bereich viel angewendet. Sie soll das Problem der Skalierbarkeit der Blockchain lösen, welches oft angeführt wird. Wird die Hyperledger-Technologie diesbezüglich tatsächlich Abhilfe schaffen?


Christian Schultze-Wolters: Ja. Während sie im Umfeld von Bitcoin und Ethereum im unteren Bereich der Anzahl von Transaktionen pro Sekunde unterwegs sind, hat die Hyperledger-Fabric-Technologie die Möglichkeit, das bis zu Tausendfache in puncto Transaktionszahlen und Performance zu realisieren. Unabhängig davon ist sie auch nicht so energieintensiv wie z.B. der gesamte Mining-Bereich in der Bitcoin-Technologie

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BTC-ECHO:
Wie viel Kontrolle hat IBM über die Nutzung der Blockchain-Technologie respektive der Daten?


Christian Schultze-Wolters: Wir haben zwar die Lösung entwickelt, gebaut, betreiben sie auch und entwickeln sie auf Basis der Anforderungen des Ökosystems, also einem Konsortium unserer Kunden, kontinuierlich weiter. Wir haben aber aufgrund der Datenverschlüsselung grundsätzlich, egal, um welche IBMBlockchain-Lösung es sich handelt und auch wenn sie in unseren Rechenzentren auf unserer Cloud gehostet wird, keinen Zugang zu den Daten. Zudem haben wir auch keine Kontrolle darüber, was die Unternehmen – bezogen auf die Dateninhalte – mit dieser Blockchain-Lösung tun. Nichtsdestotrotz sehen wir natürlich, wie viele Daten geladen werden und wie intensiv die Lösung damit genutzt wird.

BTC-ECHO: Ist TradeLens die einzige Blockchain-Lösung von IBM und wird sie auch wirklich richtig genutzt?

Christian Schultze-WoltersIBM arbeitet an verschiedenen Lösungen, insgesamt sind mehr als 100 Lösungen weltweit realisiert und in aktiver Nutzung durch viele hundert Unternehmen. TradeLens ist für das Logistic-Supply-Chain-Umfeld gebaut. Eine andere Lösung ist zum Beispiel IBM Food Trust im Bereich der Lebensmittelindustrie.

Über TradeLens werden momentan ungefähr 100.000 Dokumente pro Woche digitalisiert, zwei Millionen Events pro Tag auf der Plattform abgebildet. Ein Event ist dabei eine Art Container-Transaktion: Also, der Container ist am Hafen angekommen. Der Container befindet sich beim Zoll. Der Container ist beladen usw.


BTC-ECHO:
Wenn wir über den Grad der Kommerzialität sprechen: Von welchen größeren Unternehmen wird diese Technologie standardisiert eingesetzt?


Christian Schultze-Wolters: So wie Sie die Frage gestellt haben, impliziert sie, dass die Blockchain-Technolgie ausschließlich für große Unternehmen gedacht oder sinnvoll ist; dem möchte ich gerne widersprechen. Natürlich ist es gut, wenn man gerade in der Frühphase der Entwicklung einer solchen Lösung größere Konzerne mit im Boot hat, die helfen, mit ihrem Branchen-Know-How und ihrer Kompetenz diese Lösung zu entwickeln. Sie sind dabei auch in der Lage, bei der Weiterentwicklung derartiger Lösungen einen gewissen finanziellen Beitrag zu leisten, das heißt, auch über einen längeren Zeitraum zu investieren. Das kann und will der Mittelstand in der Regel nicht. Deshalb ist es gut, wenn man Unternehmen wie Walmart bei IBM Food Trust oder Maersk bei TradeLens hat.

BTC-ECHO: Warum widersprechen Sie dann?

Christian Schultze-Wolters: Weil diese Lösungsart wie gemalt für den Mittelstand ist; weil andere Unternehmen investiert und diese Lösung gebaut haben und mittelständische Unternehmen relativ einfach sowohl in der technologischen Anbindung als auch mit geringem finanziellem Aufwand an dieser Lösung teilhaben und die Mehrwerte, die diese Lösungen generieren, dann auch nutzen können.

BTC-ECHO: Sind deutsche Unternehmen an TradeLens beteiligt?


Christian Schultze-Wolters: Hapag-Lloyd ist einer der Partner, der gerade auf dem Weg ist, der TradeLens-Plattform beizutreten. Ein zweites ist die Hamburger Hafenlogistik ( HHLA ). Das ist einer der großen Terminal-Betreiber im Hamburger Hafen, die die großen Containerschiffe be- und entladen. Mit ihren Terminals sind sie allerdings noch nicht in Deutschland Mitglied der Lösung, sondern in einer ersten Stufe zunächst in Tallinn, Estland. Ansonsten sind wir natürlich mit vielen Unternehmen aus der Logistikbranche, im Zoll und in vielen anderen Bereichen, für die diese Lösung interessant ist, im Gespräch.


BTC-ECHO: Sie haben gerade von der Blockchain Journey gesprochen. Wann kommt diese dann bei der Blockchain-Adoption oder dem Mainstream an?


Christian Schultze-Wolters: Wenn man sich die Gartner Hype Curve anschaut, dann ist Blockchain seit ungefähr zwei Jahren über den Hype-Scheitelpunkt hinweg und befindet sich jetzt in der sogenannten Konsolidierungsphase. Und das ist gut so. In einer Hype-Phase geht man die Themen meiner Erfahrung nach nicht so konzentriert und seriös an, wie man das eigentlich sollte. Die Frage nach dem Mainstream möchte ich folgendermaßen beantworten: Bei TradeLens sind wir in diesen Tagen dabei, große Container-Reedereien auf die Plattform zu bringen. Sie befinden sich im sogenannten technischen Onboarding. Wenn wir das in diesen Wochen abgeschlossen haben, dann werden wir ungefähr 60 Prozent der weltweiten Seefrachtcontainer-Kapazität über diese Plattform abwickeln. Das ist nicht alles, aber das ist schon markant.


BTC-ECHO:
Hat die Corona-Krise Ihrer Meinung nach den Blockchain-Bereich vorangetrieben?


Christian Schultze-Wolters: Ja, ich glaube schon, dass die Corona-Pandemie, so schlimm sie ist, das ganze Thema Digitalisierung – und Blockchain ist ja ein Kind der Digitalisierung – schon mal als Begriff befeuert hat. Das fängt schon damit an, dass viele Unternehmen ihre Mitarbeiter in das Homeoffice geschickt haben. Prozesse digitaler zu denken, digitaler zu arbeiten: ja, die Corona-Krise wird das sicherlich forciert haben und auch weiter forcieren.

Zudem ist durch die Corona-Krise auch transparenter geworden, wie groß die Schwächen in den jeweiligen Supply Chains sind. Das heißt, die Lieferketten in ihrer globalen Komplexität auf solidere, planbarere, festere Füße zu stellen, ist sicherlich eine der Herausforderungen, vor der viele Branchen und Unternehmen stehen werden. Sicherlich wird sich dadurch auch die eine oder andere Art zu arbeiten, zu denken und zu kommunizieren ändern. Und das könnte wiederum einen Einfluss auf die Nutzung der Blockchain-Technologie haben.

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