Warum Bitcoin-OGs jetzt verkaufen

Hold on for dear life – kurz: HODL. Kaum ein Motto verkörpert den Geist des Bitcoin-Space so sehr wie dieses eiserne Glaubensbekenntnis ans Nichtverkaufen. Doch der jüngste Fall unter die Marke von 100.000 US-Dollar offenbart eine ungewohnte Dynamik: Ausgerechnet die "OGs", die Bitcoin einst groß gemacht haben, stehen jetzt scheinbar auf der Verkäuferseite. Hat der Glaube an Bitcoin etwa seinen Glanz verloren? Exodus der Veteranen Laut Charles Edwards von Capriole Investments hat die Kohorte der OG-Wale – also jene, die seit mehr als sieben Jahren keine Coins bewegt haben – 2025 so viel Bitcoin verkauft wie seit Jahren nicht. Analyst James Check (Checkmate) ergänzt: 1,91 Millionen BTC stammen allein von Haltern, die ihre Coins zwei Jahre oder länger nicht bewegt haben. Zusammen mit weiteren Kohorten wurden seit 2024 fast eine Billion US-Dollar an vermeintlich "verlorenen" BTC realisiert. https://twitter.com/caprioleio/status/1986655557877702821?s=20 Was treibt diesen Trend? Der Bereich um 100.000 US-Dollar gilt als psychologische Gewinnmarke. Viele Langzeithalter diversifizieren in Gold oder KI-Aktien, andere reagieren auf Risiken wie Quantencomputing oder den traditionellen Vierjahreszyklus, so die Analysten. Auf der Zeitachse befinden wir uns zudem rund 18 Monate nach dem Bitcoin-Halving – historisch eine Phase, in der viele Gewinne mitnehmen. Dass Hodler verkaufen, ist demnach kein Novum, wohl aber das Ausmaß. Der "Silent IPO“: Bitcoins Reifeprüfung Laut Hedgefondsmanager Jordi Visser handelt es sich dabei nicht um Panik, sondern um eine kontrollierte Umverteilung. In seinem Essay "Bitcoin’s Silent IPO“ beschreibt er, dass die ETF-Einführungen einem stillen Börsengang gleichen: Frühe Investoren werden ausgezahlt, neue Eigentümer übernehmen. Was einst libertäre Cypherpunks hielten, liegt nun in den Tresoren von Fonds, Unternehmen und ETFs – die Ideologen weichen professionellen Verwaltern. "Die Verkäufer verkaufen nicht aus Angst, sondern weil sie gewonnen haben“, fasst Visser zusammen. Die Konsolidierung ist also weniger ein Zeichen der Schwäche als eines der Gesundung. Nach Jahren extremer Spekulation durchläuft Bitcoin eine Reifephase: Verkäufer sichern rational Gewinne – was durch die neu gewonnene Liquidität und institutionelle Nachfrage erstmals in diesem Umfang möglich ist. Der Preis der Volatilität Die breite Umverteilung großer Bestände auf viele neue Anleger macht den Markt in der Theorie stabiler und robuster. Je verteilter die Eigentümerstruktur, desto geringer das Risiko von Schocks durch einzelne Wale. Eine abnehmende Volatilität mag den Reiz des Krypto-Markts relativieren, doch für Fonds und Unternehmen ist sie ein Gütesiegel. Trotz aller Turbulenzen der letzten Wochen erreicht Bitcoins Volatilität bald neue Allzeittiefs. https://twitter.com/BitcoinArchive/status/1987571597423546554?s=20 Auch wenn Frust über den ausbleibenden Aufschwung herrscht, legt diese Phase das Fundament für eine reifere Marktstruktur. Sobald die Umverteilung abgeschlossen ist, dürfte Bitcoin wieder stärker im Gleichklang mit den globalen Märkten agieren – diesmal mit größerer Stabilität und Glaubwürdigkeit. Oder, wie Visser es formuliert: "Bitcoins Volatilität war der Preis seiner Geburt. Seine Stabilität wird der Beweis seines Erwachsenseins sein.“ Sehnsucht nach Hoffnung In der aktuellen Schwächephase klingt Vissers Argumentation wie eine tröstende Erzählung. Doch nicht alle teilen seine optimistische Sicht. Kritiker wie Michael Nadeau sehen weiterhin zu viel "Hopium“ im Markt. Zinssenkungen, neue Regulierungen, Tokenisierung, Konjunkturprogramme – all das nährt die Vorstellung, der Vierjahreszyklus sei Geschichte. "This time is different“ – sozusagen. Nach fast zwei Jahren Aufwärtstrend fällt es vielen schwer, das Abwärtsrisiko zu erkennen, so Nadeau. Die Begeisterung für Vissers "Feel-Good-Story“, wie er sie nennt, zeigt, wie groß das Bedürfnis nach Bestätigung ist. "Als hätten Anleger nur ein wenig Therapie gebraucht.“ Auch Charles Edwards bleibt nüchtern: Die aktuelle Anlegerbasis agiert schlichtweg nicht aus Überzeugung, sondern aus Kalkül. "Seit dieser Woche sind Institutionen offiziell Nettoverkäufer von Bitcoin und haben ihre Positionen reduziert“, schreibt er. Hauptgrund ist die makroökonomische Lage: Infolge des US-Regierungsshutdowns ist die Liquidität versiegt. Solange dieser Engpass anhält und große Treasury-Unternehmen Kapital zurückhalten, bleibt Risikomanagement das Gebot der Stunde. Liquidität am Limit Vielleicht ist die saisonal untypische Schwäche Bitcoins aber auch nichts weiter als ein makroökonomischer Zufall. Edwards sieht die Schwäche des institutionellen Interesses als temporären Effekt des politischen Stillstands. Mit Ende des Shutdowns und dem Anlaufen der Staatsausgaben könnte sich die Lage bis Ende November deutlich entspannen. Steven Lubka, VP of Investor Relations bei der Bitcoin DAT Nakamoto, hält das OG-Narrativ ohnehin für überzogen. Seiner Analyse zufolge stammen die meisten der bewegten Coins aus den Jahren 2018 oder 2020 und gehören damit kaum zu echten OGs. Zudem werde nicht klar zwischen reinen Wallet-Verschiebungen, ETF-Zuflüssen oder Verwahrtransfers unterschieden. Sein Fazit: "Ja, es ist historisch gesehen auffällig, wie viele Coins im Vergleich zu den Vorjahren den Besitzer gewechselt haben. Nein, es gibt wirklich keine Anzeichen dafür, dass Käufer der ersten Stunde ihre Bestände massenhaft abstoßen." Einen weiteren Lichtblick liefert Charles Edwards: "Wenn institutionelle Anleger in den kommenden drei bis vier Wochen wieder mit voller Wucht einsteigen, könnte sich die Lage rasch drehen und der Kurs auf 180.000 Dollar steigen." Quellen Charles Edwards auf X Steven Lubka auf X Jordi Visser, Bitcoins Silent IPO

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