Europäische Kommission „Wir wären alle besser dran, wenn der Brexit nicht passiert wäre“

Europa soll die Spitze der Blockchain-Avantgarde anführen. Das sei auch ohne Großbritannien möglich, so der runde Tisch aus Brüssel. Wir brauchen nur klare Regeln. Die konkreten Vorschläge der Kommission können wir im dritten Quartal 2020 erwarten. In einem Interview verrät Jan Ceyssens, Abteilungsleiter digitaler Finanzen der Europäischen Kommission, mit welcher Strategie wir digitale Innovationen nach Europa locken, ohne große Risiken einzugehen.

Dana Hajek
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BTC-ECHO: Hallo Jan, laut eurer Website verfolgt die Europäische Kommission einen holistischen Ansatz hinsichtlich der Blockchain und Distributed-Ledger-Technologien. Wie beabsichtigt die Europäische Kommission Europa zukünftig an der Spitze der Blockchain-Innovation und -Einführung zu positionieren?

Jan Ceyssens: Ich bin für den Finanzbereich der Europäischen Kommission zuständig, daher werde ich mich in meinen Antworten im Wesentlichen darauf beziehen. Natürlich bedeutet die Positionierung Europas an der Spitze der Blockchain-Innovation eine Menge Arbeit, in die natürlich auch viele andere Bereiche und Initiativen involviert sind. Allerdings bietet uns die Blockchain-Technologie gerade im Finanzsektor, gleichwohl auch in der Politik, viele Möglichkeiten.

Unsere wichtigste Aufgabe ist, dafür zu sorgen, einen sicheren und innovationsfreundlichen Regulierungsrahmen zu bieten. Anders als in anderen Bereichen wird sich die Blockchain-Technologie nur dann im Finanzsektor breit etablieren, wenn Menschen wissen, dass das Risiko reguliert wird. Sei es beim Kauf von Produkten oder bei der Verwendung von Apps, im Finanzbereich gehen ein solider Regulierungsrahmen und eine lebendige Marktentwicklung Hand in Hand. 

BTC-ECHO: Zielt die Europäische Kommission insgesamt auf einen pan-europäischen Regulierungsrahmen für Krypto-Assets ab?

Jan Ceyssens: Definitiv! Wir brauchen gemeinsame Regeln im Binnenmarkt, auch weil es sich bei digitalen Vermögenswerten um grenzüberschreitende Entwicklungen handelt. Im Rahmen pan-europäischer Regelungen wäre niemand mit unterschiedlichen Regulierungssystemen konfrontiert und Personen oder Unternehmen könnten von einem Nachbarstaat unbesorgt in den nächsten wechseln. Diesen Ansatz unterstützen meiner Meinung nach auch die meisten unserer 27 Mitgliedstaaten

BTC-ECHO: Wie entscheidet die Europäische Kommission, welche Kryptowährungen von den EU-Vorschriften abgedeckt werden und inwiefern eine Gesetzgebung auch Innovationen blockieren könnte?

Jan Ceyssens: Wir haben momentan eine öffentliche Anhörung mit detaillierten Fragen zu diesem Thema. Dafür erwarten wir noch das Feedback vom Finanzsektor, denn der Prozess ist noch im Gange. Es ist sehr wichtig für uns, zu verstehen, was die Stakeholder von uns erwarten. Gleichzeitig stehen wir im Kontakt mit den öffentlichen Behörden der Mitgliedstaaten sowie Forscher*innen mit viel Marktwissen zu diesem Thema. Es müssen alle möglichen Bereiche abgedeckt werden.

BTC-ECHO: In einer schriftlichen Anfrage an die Europäische Zentralbank (EZB) erklärte die Abgeordnete des Europäischen Parlaments und ehemalige STOA-Vorsitzende Eva Kaili, dass ein Krypto-Euro durchaus eine Möglichkeit sei, die die EZB untersuchen sollte. Was ist eure Meinung zu einem Krypto-Euro?

Jan Ceyssens: Generell umfasst der Krypto-Euro einen breiten Themenbereich. Was konkret CBDCs betrifft, liegt das in der Entscheidungsmacht der Europäischen Zentralbank. Dazu kann ich nicht viel mehr sagen, die EZB analysiert das im Moment. 

Wir von der Europäischen Kommission arbeiten intensiv an einem allgemeinen regulatorischen Rahmen für den Markt von Krypto-Vermögenswerten und schauen uns an, in welchem Maße Payment Tokens im privaten Sektor ausgegeben und entwickelt werden können. Zwar ist der regulatorische Rahmen auch für Zentralbank-Kryptowährungen relevant, die Entscheidung über die Herausgabe eines Krypto-Euros oder anderer Währungen liegt aber trotzdem bei den Zentralbanken.

BTC-ECHO: Das EU Blockchain Observatory and Forum wird unter der Generaldirektion der Europäischen Kommission betrieben. Zu den Partnern gehören einige akademische Institute aus Großbritannien. Werden die Partnerschaften auch nach dem vollendeten Brexit fortgesetzt? Wie kann die Europäische Kommission den möglichen Verlust ersetzen?

Jan Ceyssens: Ich kann hier nicht für das EU Blockchain Observatory and Forum sprechen. Aber für unsere Beziehungen zum Vereinigten Königreich gibt es im Allgemeinen klare bestehende Praktiken, die bei solchen Angelegenheiten hinsichtlich der Blockchain in Kraft treten. Die Anwendung im Einzelfall liegt dann beim EU Blockchain Observatory, darüber weiß ich nicht Bescheid.

BTC-ECHO: Dabei ist London natürlich ein führender internationaler Finanzstandort und zunehmend auch ein Technologiezentrum mit groß angelegten, internationalen Investitionen in Blockchain und Krypto. Glaubst du, dass diese politischen Herausforderungen Risiken für die Einführung von Distributed-Ledger-Technologien und Digitalwährungen in Europa darstellen?

Jan Ceyssens: Wir vertreten generell den Standpunkt, dass wir alle besser dran wären, wenn der Brexit nicht passiert wäre. Das ist klar. Und das ist prinzipiell auch ein Stück weit die Antwort auf die Frage. 

Und klar, London ist im Rahmen von Krypto und Blockchain ein wichtiges Zentrum, aber die EU hat viele andere akademische Ressourcen und Quellen in den restlichen 27 Mitgliedstaaten. Das ist in gewissem Maße auch der Zweck unserer Initiative: Wir wollen, dass sich Krypto und Blockchain in allen 27 EU-Staaten entwickeln und die EU davon profitieren kann. Und dazu zählt in erster Linie, dass die 27 Mitgliedstaaten eine attraktive Anlaufstelle für Unternehmen und Entwickler*innen bieten, hier in den Krypto-Markt zu investieren und ihn auszubauen.

BTC-ECHO: Bedeutet das: „Wir erwarten keine weitere Kooperation mit Großbritannien“? 

Jan Ceyssens: Wir kooperieren international. Bei der Entwicklung rund um Stable Coins arbeiten wir beispielsweise mit internationalen Foren wie dem Financial Stability Board und in diesem Rahmen auch mit Großbritannien zusammen. Finanzinstitutionen aus der ganzen Welt, sei es jetzt China, die USA oder Russland, befassen sich mit ähnlichen Fragen zu diesem Thema. Daher wäre es sowieso wünschenswert, einen gemeinsamen regulatorischen Ansatz auf der ganzen Welt zu schaffen. Das unterstützen wir sehr.

BTC-ECHO: Die G7-Arbeitsgruppe für Stable Coins, also das Europäische System der Zentralbanken (ESZB), untersucht bereits unterschiedliche Stable-Coin-Initiativen. Dabei beurteilen sie ihre möglichen Auswirkungen auf das Handlungsspektrum der Zentralbanken. Wir erwarten die Ergebnisse  im April 2020. Was verspricht sich die Europäische Kommission von dem Report?

Jan Ceyssens: Ich glaube, der Abschlussbericht wird etwas später als April herausgegeben. In der Quintessenz hoffen wir, dass sich alle Mitglieder des Financial Stability Boards auf regulatorische Grundsätze von Stable Coins einigen. Hierbei wären die wichtigsten zwei Ziele, die Nutzer*innen zu schützen und gleichzeitig finanzielle Stabilität zu gewährleisten. Diese regulatorischen Prinzipien sollten auf internationaler Ebene gelten, sodass die EU und alle Mitgliedstaaten diese Grundsätze als Basis für ihre nationalen regulatorischen Ansätze nutzen können.

BTC-ECHO: Was ist eine bevorstehende Gesetzgebung der EU, die für die Blockchain- und Krypto-Start-ups relevant sein könnte? 

Jan Ceyssens: Wie ich bereits erwähnt habe, beraten wir uns derzeit intensiv über einen europäischen Regulierungsansatz für Krypto-Vermögenswerte. Die Kommission hat angekündigt, dass im dritten Quartal 2020 ein Vorschlag zu diesen Fragen vorgelegt wird. Das wäre dann eine Rechtsgrundlage für Krypto-Vermögenswerte in allen Mitgliedstaaten. Und bedeutet also: Gute Nachrichten für Krypto- und Blockchain-Start-ups im Finanzbereich in der EU, denn sie müssten sich dann nur an ein einziges Regelwerk halten und können ihre Marktaktivität auf ganz Europa erweitern.

BTC-ECHO: Welche Lehren zieht die Europäische Union aus einer möglichen Einführung von Libra in 2020?

Jan Ceyssens: Dass unser Regulierungssystem auf solche neuen Technologien vorbereitet sein muss. Ganz wichtig ist dabei, dass wir Innovationen nach Europa herein und nicht heraus regulieren. Mit anderen Worten: von der neuen Innovation zu profitieren und gleichzeitig das Risiko einzudämmen. Globale Stable Coins wie Libra können schnell bedeutsam für die Finanzstabilität werden. Daher müssen erst alle Risiken adressiert werden, bevor solche Operationen umgesetzt werden können. 

BTC-ECHO: Hat deiner Meinung nach im vergangenen Jahr ein Mentalitätswandel in der Europäischen Union stattgefunden, auf einmal Innovationen zu unterstützen?

Jan Ceyssens: Die EU war diesbezüglich solchen Fragen traditionell immer sehr offen. Schon 2018 haben wir die Europäische Finanzaufsicht und -behörden um Ratschläge für einen Regulierungsrahmen digitaler Vermögenswerte gebeten. Ein wesentlicher Gedanke der EU war auch schon immer, dass wir nur von Innovationen und neuen Möglichkeiten profitieren können, solange wir die Risiken eindämmen und richtig regulieren. 

Was sich im Laufe des letzten Jahres wahrscheinlich geändert hat,  ist ein viel stärkeres politisches Bewusstsein rund um dieses Thema. Das passierte sicherlich auch im Rahmen der Diskussion um Libra. Daher ist es für Europa wichtig, einen gemeinsamen Regulierungsrahmen zu schaffen.

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