EZB bestätigt Rezessionsgefahr: Wie die Radikalisierung der Geldpolitik neue Krypto-Konzepte hervorruft

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat es gestern wieder getan: Sie hat den Leitzins weiter gesenkt sowie ihr Anleihen-Ankaufprogramm bestätigt. Absolut entschlossen zeigt sich Mario Draghi, wirklich alles zu tun, um Inflation zu erzeugen und eine Rezession zu vermeiden. An eine positive Wirkung für die Realwirtschaft glaubt indessen kaum noch jemand. Wie die Geldpolitik der nächsten Monate aussehen wird, warum Tokenisierung Finanzblasen sowohl erzeugen als auch bekämpfen kann und welche Rolle Krypto-Trojaner in der Geldpolitik zukünftig spielen werden.

Sven Wagenknecht
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EZB

Beitragsbild: Shutterstock

Das Ansteigen der Aktien-Indizes der letzten Jahre ist vor allem auf den niedrigen Leitzins zurückzuführen. Das Verhältnis zwischen dem Risiko einer Vermögensanlage und ihrem potentiellen Ertrag entspricht durch die expansive Geldpolitik der Notenbanken kaum noch einem fundamental marktwirtschaftlich gerechtfertigten Preis. Die Kurse bzw. Preise von Aktien, Anleihen und Immobilien steigen nicht aufgrund ihrer ökonomischen Attraktivität, sondern aufgrund des herrschenden Anlagenotstandes.

Es wird immer schwieriger, geeignete Investments zu finden, die den Anlagekriterien und -zielen der Investoren entsprechen. So sind Versicherungen kaum noch in der Lage, den versprochenen Garantiezins bei Lebensversicherungen zu gewährleisten. Dieser Umstand zeigt, dass wir bereits mit einer hohen Inflation zu kämpfen haben. Diese findet allerdings nicht in der Realwirtschaft, sondern fast ausschließlich im Finanzsektor statt.

Notenbankpolitik nach japanischem Vorbild

Es ist ein regelrechter Wettbewerb im Streben nach Inflation ausgebrochen. Die Kombination aus Exportvorteilen und Abwertung der eigenen Schulden ist extrem verlockend für hoch verschuldete Staaten. USA, Europa, China und Japan stehen im Wettbewerb um die maximale Abwertung. Wohin die Reise geht, zeigt sich am Schuldenweltmeister Japan. Zwar nicht absolut, aber dafür relativ zum eigenen BIP verfügt Japan mit knapp 240 Prozent des eigenen BIPs über die höchste Staatsverschuldung weltweit.

USA (etwas über 100 Prozent), Europa (80 Prozent) und China (50 Prozent) haben also noch sehr viel Luft nach oben. Insbesondere die USA profitiert von dem gleichen Vorteil wie Japan, dass alle Staatsschulden in der eigenen Landeswährung notieren. Solange also alle großen Wirtschaftszonen eine ähnlich expansive Schuldenpolitik fahren, kann trotz steigender systemischer Risiken die geldpolitische Odyssee noch weit extremere Züge annehmen.

Was heißt das für den Euro?

Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die weitere Vorgehensweise der EZB gut einschätzen. Von den europäischen Regierungen aufgefordert, die Eurozone stabil zu halten, die hohe Staatsverschuldung finanzierbar zu lassen und internationale Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten, hat die EZB keine andere Möglichkeit, als alle verfügbaren Instrumentarien einsatzbereit zu machen.

Das Aufkaufen von Staats- und unter Umständen sogar Unternehmensanleihen – ein volkswirtschaftliches Himmelfahrtskommando – muss dabei nicht die letzte Option sein. Auch wurde bereits das sogenannte Helikoptergeld in der Vergangenheit als Option aufgeführt. Das Narrativ der Geldwertstabilität wird damit zwar ad absurdum geführt, allerdings kann man so direkt die Inflation in der Realwirtschaft anheizen. Das Geld versickert nicht im Finanzsektor, sondern landet direkt bei den Bürgern, die davon Waren- und Dienstleistungen erwerben können.

Die größte Blase aller Zeiten?

Genau wie die Einnahme hochdosierter Schmerzmittel, kann eine solche Geldpolitik nicht auf Dauer gut gehen. Eine Nebenwirkung ist die Blasenbildung. Genau wie zur Finanzkrise 2007 können wir gegenwärtig ähnliche Muster in der Immobilienbranche (vor allem in China) und in anderen Sektoren wiedererkennen. Der entscheidende Nachteil ist, dass im Gegensatz zu damals die Zinsen bereits unten sind, während die Staatsschulden höher notieren. Kurzum: Wenn diesmal eine Finanzblase platzt, fehlt es an Handlungsspielraum, um Gegenmaßnahmen einzuleiten, die greifen.

Dabei ist die größte Blase nicht im Immobiliensektor zu verordnen, sondern bei den Staaten selbst. Während bislang Notenbanken, Versicherungen und Investmentfonds als zuverlässige Abnehmer von Staatsanleihen galten, ist es zur Stabilisierung naheliegend, noch weitere Akteure mit ins Boot zu holen. Je mehr Stakeholder involviert sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, höhere Schulden anhäufen zu können und dies gesellschaftspolitisch „durchzubekommen“. Stärker als bislang könnten Unternehmen und Haushalte in den Staatsschuldendienst involviert werden. An genau dieser Stelle kommen nun Kryptowährungen ins Spiel. Oder anderes formuliert: die Privatisierung des Geldes mit Staatsschulden als Basiswert.

Auf die Verpackung kommt es an – Krypto-Trojaner als Zukunftstrend in der Staatsverschuldung

Auch wenn Facebooks Libra noch den Unmut der Regulatoren auf sich zieht, hat der Coin ein überzeugendes Ass im Ärmel. Man beabsichtigt, US-Staatsanleihen zur Deckung des Tokens aufzukaufen. Schließlich dürfte im Währungskorb von Libra der US-Dollar gegenüber anderen Währungen und Staatsanleihen dominieren. Da der Facebook Coin allerdings nicht nur auf den US-Dollar-Währungsraum begrenzt ist, sondern grundsätzlich auf der ganzen Welt genutzt werden kann, ergibt sich eine globale Schuldendistribution von US-Staatsschulden.

Sollte der Plan von Facebook gelingen und der Facebook Coin in den Entwicklungsländern als Alternative zu wertinstabilen heimischen Währung genutzt werden, so könnten die US-Staatsschulden neue Abnehmer finden. Jeder, der mit Libra zahlt, zahlt indirekt mit US-Staatsanleihen. Der US-Dollar wird durch sein privatwirtschaftliches Pendant nur noch weiter als globale Leitwährung bestärkt.

Zunehmender Druck, „private Dollar“ zuzulassen, kommt insbesondere aus China. Selbst die chinesische Zentralbank kann mit ihrer digitalen Zentralbankwährung, die noch dieses Jahr erscheinen soll, ihre Schulden in andere Länder exportieren und auf mehrere Schultern verteilen. Allerdings fordert nicht nur der chinesische Krypto-Kolonialismus die USA heraus, sondern der Umstand, dass ein Staat oder eine Zentralbank durch digitale Fiatwährungen mehr Kontrollmöglichkeiten über die eigene Bevölkerung erhält. Es existiert noch keine Währung auf der Welt, die auch nur annähernd so wenig anonym wie Libra oder Chinas zukünftiger digitaler Renminbi ist.

Damit dies effektiv umgesetzt werden kann, kooperiert die chinesische Zentralbank mit vorerst heimischen Unternehmen. Schließlich sind diese im Gegensatz zu ihnen in der Lage, die vermeintliche Kryptowährung direkt an die Bevölkerung auszugeben. Unternehmen wie Alibaba oder Tencent, die mit der chinesischen Notenbank kooperieren, können so als verlängerter Arm der Zentralbank direkte Notenbankpolitik auf Verbraucherebene durchführen. Angesichts drohender wirtschaftlicher Verwerfungen kann man so die Handlungsfähigkeit der Notenbank erweitern.

Mit Tokensierung gegen Überwertung an den Aktienmärkten ankämpfen

Neben der Deckung von privaten Währungen (Facebook) durch Staatsschulden oder Zentralbank-Kryptowährungen (China) kann aber auch die Tokenisierung eine entscheidende Rolle im Anlagenotstand und Aufkauf von Vermögenswerten spielen.

Um eine geldmengeninduzierte Überbewertung von bestehenden Vermögenswerten zu unterbinden, ist das Erschließen neuer Assets von großer Bedeutung. Die Tokenisierung kann hier wie ein Ventil funktionieren, das Luft aus der gegenwärtigen Finanzblase lässt. Nur ein sehr kleiner Anteil aller Unternehmen ist börsennotiert und kann als Vermögenswert für Fonds herhalten. Folglich ist auch der Großteil des Kapitals nicht bei börsennotierten Konzernen gebunden.

Erleichtert man die Zugänglichkeit von Kapitalinvestitionen in mittelständischen Unternehmen – in Deutschland also vor allem GmbHs –, würde der Druck der Investmentfonds, in die bereits überkauften Aktienindizes zu investieren, gesenkt werden. Das Überangebot an Kapital kann sich so auf mehrere Schultern, in diesem Fall Mittelständler, die ihre Firmenanteile tokenisiert und sekundarmarktfähig gemacht haben, verteilen. Die Tokensierung kann somit zu einer Stabilisierung an den Finanzmärkten beitragen und den Anlagenotstand reduzieren.

Auch wenn noch keines der genannten Vehikel, ganz gleich, ob Facebook Coin, chinesisches Krypto-Zentralbankgeld oder nennenswerte tokensierte Mittelständler, zum gegenwärtigen Zeitpunkt etabliert ist, werden sie in den nächsten Jahren eine zunehmende Rolle im Finanzsektor spielen. Der Kreativität sind hier bekanntlich keine Grenzen gesetzt.

Die Janusköpfigkeit der Krypto-Ökonomie

Auf der einen Seite kann die Krypto-Ökonomie ein zweites Sicherheitsnetz für die globale Finanzstabilität darstellen. Das einfachste Beispiel dafür ist Bitcoin als zentralbankunabhängiges Wertemedium. Aber auch Kryptowährungen mit Bezug zu staatlichen Währungen und Anleihen, siehe Libra, können potentiell als eine Art Backup-Währung der Privatwirtschaft zu einer größeren Resilienz führen. Zudem bieten digitale Zentralbankwährungen die Möglichkeit, eine zentrale Geldmengensteuerung noch effizienter umzusetzen.

Auf der anderen Seite laden komplexe Krypto-Finanzkonstruktionen mit ausfallgefährdeten Basiswerten (z. B. Ramsch-Anleihen) zur erhöhten Blasenbildung ein. Die geschickte Verbriefung und Tranchierung von Asset Backed Securities hatte schließlich auch zur Finanzkrise 2007 geführt. Es spielt dabei keine Rolle, ob man toxische Wertpapiere durch urkundlich verbriefte Wertpapiere oder digitale Token bündelt. Der einzige Unterschied liegt hier, sofern es sich um eine öffentliche Blockchain handelt, im Monitoring der Assets. Unter der Annahme einer größeren Transparenz kann man Warnsignale hier früher erkennen.

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